laut.de-Kritik
Power-Soul in der Tradition Curtis Mayfields.
Review von Philipp KauseEin Musical über das legendäre Motown-Label verschlug die New Yorkerin Michelle David einst nach Utrecht, Holland. Dort lebt sie, nach Alben, auf denen sie die eigene Krebserkrankung sowie den Tod ihrer Mutter thematisierte, eine neue Seite aus. "Brothers & Sisters" behandelt Soul weniger von der kontemplativen Warte aus, sondern phasenweise wild und ansteckend.
Dafür bringt Michelle ihre kirchengeschulte Phrasierung ein. Die Singer/Songwriterin setzt warme und starke Bläser-Arrangements oben drauf, z.B. in "That Is You". Sie textet über Formen der Verbundenheit in einer "Cold Cold World". Die Frage, die das Album stellt, erinnert an die Überschrift "Das Tier, das 'Wir' sagt" eines berühmten Wissenschaftsartikels der Wochenzeitung Die Zeit über den Anthropologen Michael Tomasello, der die soziale Ader des Menschen beleuchtet, die wir mit den den Affen, Ameisen, Bibern und Bienen teilen. Michelle sieht eines der "Miracles" auf diesem Planeten darin, wenn Kinder anfangen, Wörter zu sprechen und Entscheidungen zu verbalisieren. In Tomasellos Sinne fragt die Sängerin "Am I my brother's keeper?"
Dass sie sich laut Promotext "einer kollektiven Erkundung von 'us & we'" zuwendet, überträgt sich mühelos in ihrer Musik auf den Hörer. Das rhythm'n'bluesige "More Grace" stampft ziemlich retro und mitreißend in fortgeschrittenem Tempo. Die Arrangements kommen warm, powerful, manchmal peitschend und schnalzend daher. Michelles Vocals fühlen sich heiß an. Zum Beispiel, wenn sie im kämpferischen "If You Don't Try" leidenschaftlich rört und etwas in uns auslösen will. Wenn Michelle in "Let Me Tell It" kämpferisch dem 'Lord' zur Seite springt und , betont, was Gott für sie getan habe, jener "father to the fatherless". Wenn sie dabei die Wörter so vehement skandiert, als formten ihre Zunge und Lippen ein Schlagzeug-Set.
Im Themenfeld und der Gefühlswelt einer sozial engagierten Konzeptplatte mit Wah Wah-Gitarre und Jungle-Percussion ("Karma") liegt es nahe, auf Curtis Mayfield zu rekiurrieren. Dessen Grund-Groove aus dem enthusiastischen "Move On Up" bekommt im Titeltrack "Brothers And Sisters" die Ehre erwiesen. Sinnfälliges Recycling!
In Sachen Empowerment überrascht dann besonders der Albumcloser "P.U.S.H.". Anders als in der üblichen Grammatik, regnet sich das Stürmische nicht zum Ende hin ab, um in einer Ballade zu münden, sondern umgekehrt: Nach einer langen retardierenden Phase bäumt sich die Trio-Band The True-Tones (Bass, Gitarre, Drums) am Ende noch mal gegen alle sozialen und schicksalsträchtigen Widrigkeiten des Lebens auf und entlässt den Hörer mit einem positiv gestimmten Hammer-Cut bzw. der Aufforderung, Dinge im eigenen, kleinen Umfeld zu verändern.
Introspektion und trauriges Innehalten über den Zustand der Welt auf der Suche nach "Peace" ereignet sich sonst übrigens auf der B-Seite des Albums zuhauf. Denn 'Movement' alleine ist nicht Michelles Rezept. Viel mehr baut sie eine starke und großartige Spannung, bestehend aus Demut und Tristesse einerseits, Action und heiter-gelassenem Optimismus andererseits, auf.
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