laut.de-Kritik

Psychedelic-R'n'B garniert mit einer großen Portion Prince.

Review von

"Too proper for the black kids, too black for the mexicans, too square to be a hood nigger, […] too out of touch to be in style, too broke for the rich kids – what's normal anyway?" fragt Miguel auf seinem dritten Werk "Wildheart". Im Pop-Kosmos predigen Künstler ja gerne mal für die Außenseiter der Gesellschaft, nur um im Anschluss mit klischeehaften Phrasen wie "Folge deinen Träumen" und "Bleib dir selbst treu" um sich zu werfen. Miguel beweist allein mit seiner Biographie, dass er dort nie wirklich reingepasst hat und sich deshalb zurecht im Selbstmitleid suhlen darf. Auch sein Drittling lässt sich nur schwer in Genre-Vorgaben pressen, "Wildheart" klingt anders und genau das macht es zu einem bemerkenswerten Stück Musik.

Mit seinem 2010er-Debüt wurde er noch als radiotauglicher Frauenheld beworben. Aber der Sound mit seinen vielen bizarren Momenten wollte nicht so recht zum Image passen. Nach seinem Durchbruch "Kaleidoscope Dream" von 2012 steckte man Miguel auch gerne mal in eine Schublade mit Drake, The Weeknd oder Frank Ocean. Aber auch das Korsett des depressiven R&B-Sängers scheint zu eng: Zu viele Ecken und Kanten, zu viel Weirdness kennzeichnen das psychedelisch angehauchte Soundbild.

Die beiden Vorgänger kamen zwar mit vielen guten Ideen daher, wirkten aber wie von einer unentschlossenen Zerstreutheit gekennzeichnet. R&B-Hits wie "Adorn" fanden genauso ihren Platz in der Diskographie wie skizzenhafte Versuche, die schon andeuteten, dass man es bei Miguel mit mehr als dem modernen R&B-Sternchen à la Chris Brown und Co. zu tun hat.

Sein Potenzial schöpft der 29-Jährige aber erst im dritten Anlauf so richtig aus. Mit "Wildheart" gelingt Miguel der Sprung zu einer stringenteren, konsequenten Platte, die die Andersartigkeit im Sound dieses Künstlers auf Albumlänge kompromisslos zu verkaufen weiß.

Schon das Artwork offenbart die erste Weiterentwicklung. Statt dem unansehnlichen Photoshop-Fehlversuch von "Kaleidoscope Dream", ist "Wildheart" in wunderschöner Cinemascope-Optik gehalten. Miguel inszeniert sich oben ohne, in zerrissener Jeans, als charmanter Gigolo, dem das weibliche Geschlecht schon beim ersten Augenkontakt willenlos zu verfallen scheint. Die Frau, die vor ihm liegend das Cover ziert, lässt dabei keinen Zweifel an den Liebhaberqualitäten des 29-Jährigen.

Auf gut der Hälfte des Langspielers geht es auch fast ausschließlich um Freud und Leid, die das Spiel mit den immer falschen Frauen nun mal so mit sich bringt. Mal streift sich Miguel den Satin-Morgenmantel über und fantasiert beim Anblick seiner schlafenden Liebhaberin über den nächsten Morgenfick, mal wünscht er sich endlich die Richtige zu treffen. Auf Subtilität legt Pimentel dabei keinen Wert: "I wanna fuck, like we're filming in the valley". Der Sänger aus Los Angeles nennt die Dinge lieber beim Namen statt sich in augenzwinkernden Anspielungen zu verlieren. "Lips, Tits, Clit" - auf "NWA" wirkt er dank roboterhaftem Vortrag dabei fast schon wie ein Mechaniker der sein Auto auf alle Einzelteile checkt, statt wie der heißblütige Hengst, als den er sich eigentlich inszenieren will.

Der junge Mann aus dem Westen der USA gibt zwar einen passablen Liebhaber ab, im modernen R&B-Morast ginge Miguel damit aber schnell unter. Neben Kollegen wie Frank Ocean reicht es eben nicht mehr, sich wie auf "Coffee" oder "Waves" am US-Pop der Achtziger die Zähne auszubeißen.

Die große Stärke offenbart Miguel auf "Wildheart", wenn er als vernebelter und zugekiffter Beobachter das Treiben in Los Angeles in sich aufsaugt. Mit viel Empathie erzählt der Sänger von schwindendem Hollywood-Ruhm, vergleicht Drogendealer mit Politikern oder hat Todessehnsüchte wie in Opener "A Beautiful Exit" und "Destinado A Morir". Das von P-Funk beeinflusste "Deal" funktioniert dabei genauso gut wie die albtraumhafte Höllen-Phantasie "Flesh".

Mal scheint das Selbstbewusstein unerschütterlich. "Damned" oder "Face The Sun", inklusive Lenny Kravitz-Gitarrensolo, könnten ohne Weiteres im nächsten Hollywood-Blockbuster als Soundtrack dienen, wenn der Held seine Prinzessin zurückerobert. Genauso liefert Miguel aber mit "...Goingtohell" oder "Leaves" traurige Balladen, die im Hintergrund des obligatorischen Tiefpunkts spielen, kurz bevor sich besagter Held zum fulminanten Finale aufmacht.

Was sein drittes Werk aber zu seinem bisher besten macht, ist die stimmige Verpackung dieser Gegensätzlichkeiten. Eingängige Singles wie "Coffee" oder "Waves" treiben in fließendem Übergang neben den vertrackteren Titeln. Zerklüftete E-Gitarren unterstreichen die kraftvollen Vocals, die trotz des sebstbewussten Vortrags nie prahlerisch rüber kommen, denn Miguel weiß durchaus mit seinem Falsetto umzugehen. Echte Emotionen stehen glaubhaft im Vordergrund, nie kommt das Gefühl auf, Miguel wolle, wie viele seiner Genre-Kollegen, einfach nur mit Gesangskünsten blenden.

Genretechnisch lässt sich "Wildheart" dabei kaum zuordnen. Unter dem R&B-Deckmantel schraubt der Singer-Songwriter eine wabernde Mixtur aus Funk, Psychedelic-Rock und Hip Hop zusammen. Das alles garniert er mit einer großen Portion Prince. Heraus kommt eine unberechenbare Mischung, die man so selten im verwässerten R&B-Kosmos hört.

Trackliste

  1. 1. A Beautiful Exit
  2. 2. Deal
  3. 3. The Valley
  4. 4. Coffee
  5. 5. NWA feat. Kurupt
  6. 6. Waves
  7. 7. What's Normal Anyway
  8. 8. Hollywood Dreams
  9. 9. ...Goingtohell
  10. 10. Flesh
  11. 11. Leaves
  12. 12. Face The Sun feat. Lenny Kravitz
  13. 13. Gfg
  14. 14. Destinado A Morir
  15. 15. Simple Things
  16. 16. Damned

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