laut.de-Kritik

Ein großer Schritt in Richtung Eigenständigkeit.

Review von

In früheren Rezensionen bemängelte man, dass sich Milliarden bei der Stimmführung Rio Reisers, beim Pathos Seligs und bei dem Rotz Wandas bedient hätten. So richtig lässt sich das auch nicht bestreiten. Dennoch machen die Berliner mit "Schuldig" einen großen Schritt in Richtung Authentizität und Eigenständigkeit.

Nicht nur hatten Sänger und Gitarrist Ben Hartmann und Pianist Johannes Aue zum ersten Mal die volle künstlerische Kontrolle über ihr Werk, unabhängig von den Meinungen der Leute bei den Major-Labels. Das Album erscheint auch auf dem eigenen Label Zuckerplatte.

Dementsprechend klingt es handgemachter und eckiger als die beiden Vorgänger "Betrüger" und "Berlin". Das Titelstück leitet die Platte zwar bedächtig mit dem Mantra "los, leise, langsam, laut" ein, das man auch im weiteren Verlauf hier und da vernimmt. Dafür springt einen das Dringliche im Refrain förmlich an: "Schuldig sein, ich will schuldig sein, als ein fliegender Stein." Dabei kommt dank der kantigen Gitarrenarbeit und dem kratzigen Gesang Punk-Flair nicht zu kurz.

Textlich geht es darum, Masken abzustreifen, aus dem eigenen Leben auszubrechen und sich immer wieder als Mensch neu zu verorten, wie vor allem das trotz aller Eingängigkeit überaus rotzig klingende "Die Fälschungen Sind Echt" verdeutlicht, das unter knapp drei Minuten über die Ziellinie läuft. Dabei schwingt Kritik an den bestehenden Verhältnissen deutlich mit, wie auch in vielen weiteren Songs der Platte. Demgegenüber stehen aber auch bittersüße Herzschmerz-Themen.

In "Swing" und "Neues Leben" greift das Duo etwas zu tief in den Pathos-Kübel, aber wenn Hartmann in "Ich Schieß Dir In Dein Herz" zu melancholischen Piano-Klängen das Nichtgesehenwerden in einer Beziehung beklagt, ohne dabei ins Peinliche abzugleiten, dann bietet das gegenüber dem revolutionären Gestus, der immer wieder mitschwingt, einen angenehmen Kontrast. Dass der Sänger mit Mitte Dreißig immer noch wie ein junger Rio Reiser klingen möchte, wirkt trotz aller musikalischen Ecken und Kanten etwas unglaubwürdig. Darüber täuschen auch nicht die vielen offenen Fragen über das Menschsein hinweg, die sich beim Hören auftun.

Trotzdem handelt es sich bei "Schuldig" nicht um ein schlechtes Album, zum einen, weil es unter Livebedingungen entstand und sich die Berliner dadurch fast genauso energetisch wie auf der Bühne anhören, zum anderen, weil es gegenüber den beiden Vorgängern vermehrt reflektierter zur Sache geht. Ob "leise, langsam" oder "laut": Alles mit dabei.

So erweist sich "Himmelblick" als folkiger Abgesang auf die kollektive Selbstbetäubung, wobei Hartmann auch sein eigenes Verhalten kritisch hinterfragt, und "Wonderland" pendelt als schunkeliger Blues-Rocker zwischen Leichtfüßigkeit und Melancholie gelungen hin und her. Am Ende bildet "Trenn Dich" einen tollen Beweis dafür, wie man Sozialkritik auch ohne Brechstange vermitteln kann, wenn die Berliner dazu appellieren, in Zeiten von Smartphones und Social Media das eigene Konsumverhalten zu hinterfragen, ohne mit dem erhobenen Zeigefinger zu wedeln. Dazu treiben die Gitarre und der Gesang so ungestüm punkig nach vorne, dass es eine helle Freude ist.

Gerade in solchen Momenten merkt man, dass Milliarden das Wechselspiel zwischen Aufmüpfigkeit, Anspruch und der ein oder anderen großen Geste auch völlig unverkrampft beherrschen. Sicherlich läuft auf "Schuldig" noch nicht alles rund, aber den Grundstein für eine hoffentlich noch bessere Zukunft legen die Berliner mit der Platte allemal.

Trackliste

  1. 1. Schuldig
  2. 2. Die Gedanken Sind Frei
  3. 3. Die Fälschungen Sind Echt
  4. 4. Wenn Ich An Dich Denke
  5. 5. Swing
  6. 6. Himmelblick
  7. 7. LLLL
  8. 8. Neues Leben
  9. 9. Ich Schieß Dir In Dein Herz
  10. 10. Wonderland
  11. 11. Trenn Dich

Preisvergleich

Shop Titel Preis Porto Gesamt
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Milliarden – Schuldig [Vinyl LP] €22,99 €3,00 €25,99

Videos

Video Video wird geladen ...

2 Kommentare mit 3 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    Hatte die Band nach Hören von "Himmelblick" hier mal nachgeschaut und mit dem Song als Referenzpunkt wirkte der eine Stern für's letzte Album auf mich etwas sehr hart. Scheinen ja aber seitdem auch eine ordentliche Entwicklung durchgemacht zu haben. Kenne bisher sonst noch "Wenn Ich An Dich Denke", das ich sehr belanglos finde und noch einen weiteren Titel, der mir jetzt nicht einfällt, den ich eher durchwachsen fand, wenn auch mit Potenzial nach oben. Himmelblick finde ich aber noch immer ganz ordentlich, wenn auch nicht so super getextet mMn. Lohnt dich das, da noch ein weiteres Ohr zu riskieren oder ist das eher der Ausreißer nach oben?

  • Vor 3 Jahren

    Bleibt für mich ein klarer Wanda-Abklatsch.