laut.de-Kritik

TikTok hat Belarus den Coldwave gestohlen.

Review von

Molchat Doma wurde ein Album gestohlen. Die weißrussische Coldwave-Band veröffentlichte ihr zweites Album "Судно" und hoffte wohl auf kaum mehr als ein paar Bela Lugosi-Vibes für die nationalen Goth-Russendiscos. Und plötzlich kraxeln ihre Streamingzahlen in die zweistellige Millionenhöhe. Aus Versehen und über Nacht wurde die Band ein Tik Tok-Star. Weil die amerikanische Gen Z den Vibe der vermeintlichen Sowjetunion ein bisschen spooky und ein bisschen geil findet. Wie reagiert man auf so etwas? Ein neues Album muss also her, unterstehen Molchat Doma jetzt doch dem beachtlichen kulturellen Druck, gegen ihren Willen kulturelle Repräsentanten eines Post-Soviet-Lebensgefühls für amerikanische Teenie-Augen zu sein. "Monument" versucht sich an einen Kommunikationsakt, im Bewusstsein dessen, dass ihre neue Hörerschaft dafür die falsche Sprache spricht.

Das fängt mit dem Cover an: Hammer und Sichel, gemeißelt in monumentalen Stein, prangern über russischen Lettern, gerade gewohnt genug, dass sie auch westliche Augen entziffern können. In ihrer lesenswerten Review über dieses Album illustriert Pitchfork-Autorin Ashley Bardhan Mechanismen, wie diese Form der primitiven Transkulturalität funktioniert. Wie etwas unwillentlich zum Aushängeschild eines Ortes wird und dabei den Ort irgendwie sogar noch zum Sehnsuchtsort verklärt. "Monument" darf also erwarten, ebenfalls als ästhetischer Statusbericht aus Osteuropa verstanden zu werden. Entsprechend spielt die Platte klanglich mit diesem neuen Post-Sowjet-Sehnsuchtsort, bitter ironisch, denn die emotionalen Bezüge zur derzeit hochkritischen Situation im Belarus werden gar nicht erst mit übersetzt.

Können internationale Hörer überhaupt Russland und Belarus auseinanderhalten? Bemerken sie überhaupt, dass in Molchat Doma essentiell nicht wahnsinnig viel russische Musikkultur steckt? Das ist das eigentlich Faszinierende an diesem Fall: Im Gegensatz zu Berufs-Exotisierern wie Die Antwoord, Tommy Cash oder Ic3peak findet bei Molchat Doma wenig statt, das slawische Identität wirklich in den Fokus rücken würde. Sie sind keine Parodie oder Groteske auf das belarussische oder sowjetische Leben, sie sind im Kern ein Grüppchen Musiker aus dem Niemandsland, die britischen Düsterrock in ihre Landessprache übersetzt haben.

Mag sein, dass gerade in Nummern wie "Discoteque" ein Quäntchen der Essenz der russischen New Wave-Schule steckt, die Bands wie Forum in den Achtzigern zu massiven Bangern verwendeten. Aber von Forum zu Molchat Doma ist es gleich weit zu modernem russischen Mainstream-Pop. Hört man den Vorgänger und dieses neue Album, schlägt allen voran eine gehörige Portion Joy Division, New Order und The Cure entgegen.

Das ist vielleicht auch, was diese Platte letztlich zurückhält. Klanglich entwickelt sie "Судно" kaum weiter, unterwandert deren Stärken aber mit einem neuen, postironischen Maximalismus. Die introvertierte Graumeliertheit im Gleichschritt mit dem hochhackig schreitenden Gegrummel machte die letzte Platte überhaupt erst immersiv. "Monument" liefert weniger Musik für Romanprotagonisten, die an einem Regentag in den Mantelsaum murmeln. Hier klingt alles ein bisschen offener, halliger, leerer. Wenn etwas kommentiert werden soll, ist nicht klar, was. Und soll nichts kommentiert werden, erschließt sich nicht, warum die letzte Platte noch so viel ernster klang.

Wahrscheinlich sollen das kahle Mixing und der zynisch aufflackernde Armeeplatz-Optimismus auf "Monument" diese viel-beschworene Post-Sowjet-Atmosphäre zeichnen. Weite Straßen, leerstehende Häuserfronten und bröckelnden Putz kennt ja auch ein jeder, der schon einmal in Chemnitz spazieren war. Aber was "Monument" als elaboriertes Moodboard reinholt, verliert es an der Songwriting-Front, wenn abseits der Highlights fast jeder Song im selben Midtempo-Trott vor sich hin trabt. Die Synth-Bässe haben ihren Moment, klingen aber im skeletthaften Mixing schnell dünn und blechern. Die drängende Dichte des Vorgängers verliert sich in großen Ästhetik-Träumen. Über diesem Monument weht nur ein hallender, monotoner Luftzug.

Solide Stellen finden sich natürlich trotzdem: "Zvezdy" und "Otveta Net" kommen am ehesten an das gewohnte Groove-Level, "Discoteque" gebärdet sich als zynischer Synthwave-Stomper. Trotzdem agieren viele Elemente hier als musikalische Gleichmacher. Sänger Egor Shkutko, von TikTok längst als Soviet-Ian Curtis geadelt, besitzt immer noch ein faszinierendes Händchen für angsty Gegrummel. Wenn er aus diesem Register mit "Leningradskiy Blues" effektiv aber nur ein einziges Mal ausbricht, geht die Magie über kurz oder lang unter. Zu viele Elemente rangieren sich über die Laufzeit schlicht aus, die Abwechslung fehlt dem Album, das sich zu sicher war, Vibe alleine würde es schon tragen.

"Monument" scheint an vielen Fronten einen Magieverlust zu dokumentieren. Das Album will sich gleichzeitig auf das eigene Mojo konzentrieren und trotzdem deuten viele kleine Änderungen der Ästhetik auf eine Anpassung an das internationale Format. Man kann schlecht Selbstgespräche führen, hat man einmal festgestellt, dass man in einem Fernseher lebt. Noch schlimmer wird es, wenn man merkt, dass man die vierte Wand nicht brechen kann, weil man die Sprache der Zuschauer nicht spricht. Molchat Doma versuchen entweder einen Spagat und scheitern, oder versuchen ihn nicht und bereuen, ihn ausgelassen zu haben. Nicht ganz imstande, ihre bisherige Energie weiter zu kanalisieren, endet "Monument" tatsächlich ein bisschen wie ein verwitterndes Denkmal. Ein bisschen megalomanisch, ein bisschen Goth – und in einer Erinnerung schwelgend, die der Beobachter nicht teilen kann.

Trackliste

  1. 1. Utonut'
  2. 2. Obrechen
  3. 3. Discoteque
  4. 4. Ne Smeshno
  5. 5. Otveta Net
  6. 6. Zvezdy
  7. 7. Udalil Tvoy Nomer
  8. 8. Leningradskiy Blues
  9. 9. Lubit' I Vypolnyat

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