laut.de-Kritik

Identitätssuche, große Emotionen und ein überraschendes Feature.

Review von

Denkt man an Namika, so denkt man unweigerlich an ihren 2015er-Sommerhit "Lieblingsmensch". Knapp 80 Millionen Klicks auf YouTube konnte die Frankfurterin mit marokkanischen Wurzeln bisher dafür einheimsen. Doch "ist das alles was zählt?"

Und schon geleitet uns diese Fragestellung hinein, in eines der Haupt-Themenfelder ihres zweiten Albums "Que Walou". Das Suchen und Finden des Glücks sowie der eigenen Identität schreibt sie auf dem Nachfolger von "Nador" buchstäblich groß.

Besagter Song "Alles Was Zählt" befasst sich mit einer Welt, die von Daten und Zahlen vor sich her getrieben wird. Sie entflieht diesem Zwang allerdings und lässt wissen: "Mit Zahlen konnt' ich noch nie" und "Alles was zählt, das kann man nicht zählen". Ein passend arrangiertes Saxophon als Hintergrund-Kulisse macht das Lied zur eingängigen Pop-Nummer.

Zuvor begibt sich jedoch der Titeltrack auf Identitätssuche. In "Que Walou" erzählt sie verkürzt ihre Lebensgeschichte und ihren Antrieb für die Musik, spinnt darüber hinaus sogar ihre Zukunft als ältere Frau weiter. Sie plädiert dafür, sich nicht immer mit einer Situation zufrieden zu geben, aber dennoch den Moment zu schätzen. Der Song bekommt aufgrund der musikalischen Untermalung eine schöne doppelte Ebene und vereint all das, wofür Namika steht. Über das Boom Bap-Instrumental fliegt ein Piano, eine orientalische Note macht sich ebenfalls bemerkbar. Die Strophen rappt sie auf deutsch, die Hook singt sie auf marokkanisch.

Die Sängerin lässt sich in keine musikalische Schublade stecken. Schon im Pressetext zu "Que Walou" ist die Rede von einem "hypermodernen Pop-Narrativ, das seine Kraft aus der Hip Hop-Sozialisation der Protagonistin bezieht". Die zweite Platte klingt überwiegend sommerlich, was daran liegen mag, dass viele Songs im Ausland entstanden sind, wie sie jüngst im Interview erzählte.

Die BeatGees haben ihr zeitlose Produktionen ausgerollt, die die Protagonistin in der Regel radiotauglich verwandelt. So etwa das mitwippende "Programm", das textlich sehr einfach gestrickte "Ok", wo sie von Lary unterstützt wird und den Partytrack "Zirkus".

Unter den 16 Anspiel-Stationen ist dann auch ein neues "Lieblingsmensch" auszumachen. "Je Ne Parle Pas Francais" erinnert sowohl vom Rhythmus als auch von der Struktur mit zwei Strophen, Hook und einer Bridge stark an die 3-fach-Gold-Single. Zudem verstrickt sie sich textlich wieder einmal in einem Geflecht aus Komplimenten an eine andere Person. Als letztes Indiz dürfte das folgende herhalten: Lautete es in "Lieblingsmensch" "Na-na-na-na-na-na" heißt es jetzt: "Oh-la-la-la-la-la-la-la-la-la".

An sich ist "Je Ne Parle Pas Francais" kein schlechter Song und hat sicherlich erneuten Ohrwurm-Charakter. Eine Art Abklatsch ihres Hits hätte es aber trotzdem nicht gebraucht, denn Namika pflegt gleich in mehreren Liedern starke sprachliche Bilder.

So beschreibt sie in "Parkbank" eine Sitzfläche, die sich stets offen für jedermann präsentiert und auf der sie in all den Jahren schon viel erlebt hat. "Dschungel Im Kopf" befasst sich mit dem ständigen Wirrwarr bzw. den vielen Terminen und Aufgaben, die man tagtäglich so im Kopf hat: "Auch wenn ich den Himmel nicht sehe / Ich find' meine Wege / Mit Instinkt und Machete / Ich überlebe".

Am spannendsten gerät "Que Walou" jedoch dann, wenn Namika über die Liebe, Gefühle und Emotionen singt und dabei Tiefgang beweist. In "Ahmed (1960-2002") verarbeitet sie schonungslos die Geschichte ihres Vaters. Komplett ohne Refrain durch getaktet, sorgt der Track für Gänsehaut-Feeling: "Ich hab' ihn nie gesehen, nie gehört, nie begriffen / Doch alle meinen, ich sei ihm wie aus dem Gesicht geschnitten / Als er starb, war es für mich gar kein großer Schnitt / Ich war zu jung und er schon immer tot für mich / Und jetzt frage ich mich, wie man über Tote spricht / Ich hör' so viel, aber bekam seine Version nie mit / Wie die Zeit auch verstreicht, ein Teil von ihm bleibt / Ahmed - 1960-2002".

Persönlich geht es auch in der Ballade "Ich Will Dich Vermissen" zu. Sie möchte sich in einer Beziehung noch einen Funken an Neugierde und Mysterium am Partner bewahren: "Was ich sofort haben kann / Ist nicht so interessant / Und ich erkenn' dich nicht ganz / Bist du zu nah an mir dran".

Eine kleine bis mittelgroße Überraschung hält abschließend "Hände" bereit: Ein Farid Bang-Feature, das man so nicht unbedingt erwartet hätte. Wer Farids Diskografie kennt, weiß, dass das Banger Musik-Oberhaupt hier und da zwar auch schon mal einige persönlichere Zeilen gespittet hat. Zu seinen Lieblingsdisziplinen dürfte es aber nicht gehören. So steigt Farid dann auch gewohnt augenzwinkernd in seinen Part ein: "Und es muss um sie gehen, wenn ich über Liebe rappe".

Der gleiche Nenner für den Track sind zum einen Farids und Namikas marokkanische Wurzeln. Zum anderen, dass beide bei ihren Großmüttern aufgewachsen sind. So befinden sie: "Großmutters Hände geben viel und nehmen so wenig / Großmutters Hände halten alles hier zusammen". Getreu dem Motto: Zwei liebevolle Hände zählen mehr als 80 Millionen Klicks.

Trackliste

  1. 1. Que Walou
  2. 2. Alles Was Zählt
  3. 3. Je Ne Parle Pas Francais
  4. 4. Ok feat. Lary
  5. 5. Programm
  6. 6. Liebe Liebe
  7. 7. Dschungel Im Kopf
  8. 8. Parkbank
  9. 9. DNA
  10. 10. Ahmed (1960-2002)
  11. 11. Hände feat. Farid Bang
  12. 12. Comic
  13. 13. Roboterliebe
  14. 14. Kronleuchterlicht
  15. 15. Ich Will Dich Vermissen
  16. 16. Zirkus

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