laut.de-Kritik
Von der Netflix-Doku direkt in die Mittelmäßigkeit.
Review von Yannik Gölz"Erst das Produkt, dann der Hype", zitiert Charli XCX in der ersten Folge der Netflix-Dokusoap "I'm With The Band: Nasty Cherry" die gängige Showgeschäft-Regel zur Vermarktung eines neuen Produkts. Dann lacht sie. Nasty Cherry ist hundert Prozent Hype, bevor auch nur eine Note gespielt wird.
Das Quartett, von dem zwei Mitglieder vor ihrer Aufnahme noch nicht einmal ihr Instrument beherrschen, will die revoltierende Vision der saucoolen Girlgroup sein, die Mentorin Charli sich mit vierzehn immer gewünscht hat. Aber was mit "Empowerment" und "Inspiration" mittels großer Schlagworte ins Leben gesprochen werden will, gerät holprig und ungelenk.
Es stecken viele Ideen im Konzept Nasty Cherry, die sich manchmal nicht ergänzen und sich manchmal aktiv im Weg stehen. Zum einen schwelt die Gruppe in einer LA-Wolke der aspirierenden Pop-Grandeur, die trotz ironischer Brechung Ikonographie und Vermarktung der modernen Popstars auf diese vier Musiker projiziert. Gleichzeitig will sie den DIY-Flair der kalifornischen Alt-Pop-Szene versprühen, was vor allem durch einen an die musikalische Unerfahrenheit der Akteure funktionieren soll.
Das heißt, Nasty Cherry will gleichzeitig diese alternative, queere Modernisierung von feministischer Indie-Musik zwischen den Runaways und Sleater Kinney sein, das Ganze dann aber mit dem Glamour neuer Popstars wie Charli XCX oder Troye Sivan bestäuben, während sie das musikalische Handwerkszeug wie Lil Yachty oder Clairo in ihren Händen halten.
Eine Sisyphos-Aufgabe, die auch musikalische Ratlosigkeit nach sich zieht. "Win" mag musikalisch nicht inkompetent geschrieben sein, fasst aber all die Widersprüche nur mit einem phrasenhaften "All I do is win" zusammen. Man meint fast, im selben Atemzug noch ein "auch wenn ich noch nicht so recht weiß, wie" herauszuhören. Ähnlich trägt es sich mit den anderen Nummern der EP zu. Es gibt zwar immer die ein oder andere Idee, die besticht, die inspiriert und tragend wirkt, aber dann einfach zu wenig Überbau, um einen zufriedenstellenden Song daraus zu kristallisieren.
Die bubblige Bassline auf "Music With Your Dad", die punkigen Chants am Ende von "Live Forever", es gibt diese Versatzstücke, diese Ideen, die rechtfertigen, in Nasty Cherry einen Rohdiamanten zu vermuten. Zynischer könnte man aber auch einwenden, dass es mit dem Involvement von größeren Labels und mit zwei hochkompetenten Popsong-Ingenieuren in der Form Charli XCX und Justin Raisen am Drücker ja auch seltsam wäre, wenn es diese Elemente nicht gäbe.
Stattdessen bringen eine Menge deplatzierter und etwas liebloser Synth-Arrangements die Songs zur Vollständigkeit. Oftmals hat man nicht einmal das Gefühl, mehr als einen der Instrumentisten der Gruppe gleichzeitig zu hören. Man merkt dem Projekt nicht nur ein straffes Zeitfenster an, sondern auch die Limitationen der sonderbaren Idee. Es gibt zu viele Momente, die sich wie Kompromisse anfühlen, zu viele, in denen die Band dringende Fragen an den eigenen Ethos nur mit Phrasen beantworten kann.
Darum verwundert "Season 1" eher, als dass es überzeugt. Da ist eine Spur von Bedroom-Pop-Radikalität, ein Funken des unfehlbaren Cools der Jetztzeit in dieser EP. Vor allem hat Frontfrau Gabriella Bechtel die unterkühlte Stimme und unverwüstliche Delivery, durch die viele Ideen doch ein bisschen funktionieren. Aber statt die Widersprüche in der Synergie ihrer Elemente verschwinden zu lassen, stolpern die vier talentierten Frauen der Gruppe durch eine holprige Projektarbeit, die am Ende allzu oft auf der Beschwörung von Begrifflichkeiten beharrt, dass diese sich fast schon hohl anfühlen.
Nasty Cherry ist ein offensichtliches Industrieprodukt, das mit kalkulierten handwerklichen Schwächen versucht, sich als Underdog darzustellen, damit die Rohheit des Projektes nicht zu sehr durchschlägt. Doch ignoriert man Geglitzer und Kontext, bleibt von "Season 1" ernüchtern wenig über.
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