In einem kompakten Buch erzählt der Schriftsteller von seiner Jugend in Bonn und der Studienzeit in Austin. Die New Yorker Band verkommt leider zu Nebenfiguren.

Austin/Bonn (rnk) - "Es ist 1996 ..." Leute ab 40 kennen diese Zeile und outen sich damit als Menschen, die diese Nummer einen Sommer ertragen mussten oder tatsächlich die Meinung vertraten, dass wir mit dem Studenten-Pop von Fettes Brot unsere deutschen Beastie Boys fanden. Nee, niemals nicht. Sure Shot. Thomas Melle, der für seine Romane "Sickster", "3000 Euro" und "Die Welt Im Rücken" mehrfach auf der Nominierungsliste für den Deutschen Buchpreis landete, erinnert sich jedoch sehr gerne an dieses Jahr inmitten der Neunziger. Er studierte in Austin/Texas und kaufte in der Guadalupe Street ein Beastie Boys-Shirt. Ein Shirt mit der Typografie "Atwater" und einem Basketball drauf. Wahrscheinlich zu "Check Your Head" und dem Tonstudio im Atwater Park enstanden. Irgendwann verlor er dieses Shirt, das heute auf Ebay einen Verkaufspreis von bis zu 400 Euro erzielt. Aktuell bietet es jemand für 226 Euro an.

So oder so ein teures Vergnügen. Also muss Melle dann doch in die Tasten hauen und ein kleines Büchlein über die New Yorker Hip Hop-Gruppe schreiben. Es erscheint im Rahmen der Kiwi Musikbibliothek, in der Promis über die musikalische Liebe ihres Lebens kleine Essays schreiben. Die 84 Seiten sind prädestiniert für Zugfahrten oder die leichte Sommerlektüre. In seiner handlichen Kompaktheit von 11,5 x 17 cm passt es auch in die große Jackentasche oder aber in eine Baggypants. Die trug man in den Neunzigern noch gerne, sah zwar nie schön aus, aber man konnte doch allerhand drin verstauen. Das Shirt jedenfalls ist wichtig, und die Fan-Story von Melle hangelt sich daran entlang auf der Suche nach dem Heiligen Gral der Jugend.

Eine Jugend in einem Bonner Internat, die Melle als genau so ungeil beschreibt, wie man sich eben eine Kindheit in so einer Einrichtung vorstellt. "Sure Shot" ist jedenfalls ein Song, der Melle im Kopf bleibt. Er ist der Soundtrack einer Nacht, in der er aus seinem Internat in Bonn abhaut und diesen Song mit dem Jeremy Steig-Flöten-Sample hört. Der Beastie-Virus hat ihn erfasst, seitdem ein Mitschüler ihm die Platte "Check Your Head" empfahl.

Die Texte und Erinnerungen bei Melle funktionieren wie Samples, und wirken wie in seinem Roman "Sickster" überdreht und wild, ähnlich dieser unfassbar vielen Samples und Instrumentals auf "Paul's Boutique", dem Album, das die Beasties von ihrem frühen Party-Proll-Image befreite und junge Männer mit Attitüde zeigte. "Sure Shot" ist praktisch eine Abrechnung mit dem Sexismus früherer Tage, als man Stripperinnen in Käfigen auf die Bühne holte (der angeblich so ironische Track "Girls" aus dieser prolligen Jungpsphase ist mindestens genau so unangenehm). "I want to say a little something that's long overdue / The disrespect to women has got to be through / To all the mothers and the sisters and the wives and friends / want to offer my love and respect to the end". Fair enough, nachdem man auf der "Licenced To Ill"-Tour noch einen aufblasbaren Riesenpenis auf der Bühne parkte. In der von Spike Jonze produzierten Doku leisten Ad Rock und Mike D deswegen auch mehrfach und absolut glaubwürdig Abbitte.

Man konnte also praktisch zusammen mit den Beastie Boys vom Party-Dude zu einem reflektierten Mann wachsen. Melles Schilderungen aus seiner Studiennzeit klingen dagegen eher nach American Pie und dem typischen Jungs-Geprolle. Partys, bei denen "die Luzie abging" und Frauen angeblich, wahrscheinlich oder vielleicht auch nicht, "auf dem Sofa masturbierten". Eine Info, die eigentlich nur herausstellt, wie krass diese Zeit war.

Das ist ein Schwachpunkt der KiWi-Reihe, die in großen Momenten noch einmal die Perspektive der Fanliebe reproduziert, aber auch häufig die Künstler zum Etikett der eigenen Coolness degradiert. Die ständigen ungelenken Wechsel zwischen Austin und Bonn stören zudem den Lesefluss extrem. Der Verlag verkauft es als Kunstgriff, der praktisch wie Sampling funktioniert. Das funktionierte bei den Beastie Boys auf "Paul's Boutique" auch hervorragend, weil die Samples selbst schon großartig waren. Hier sind es leider nur Fetzen aus dem unspannenden Leben in einer piefigen Rheinstadt.

Der Mann hat übrigens Germanistik studiert, wie er nicht müde wird zu betonen. Erich Kästners "Fabian" (war wie die Beasties jüdisch) oder Goethe (weil Sprachkünstler) bekommen so ihren erzwungenen Gastaufritt in der Selbsthuldigung. So erfährt man am Schluss viel zu viel über den unspannenden Melle und gar nicht mal so viel über die Hip Hop-Legenden aus New York. Zehn Euro kostet das Buch, genau wie ein Streaming-Abo. Da kann man die kurz angerissenen Alben komplett anhören und durchaus Tränen vergießen, dass die Beastie Boys seit dem Tod von Adam Yauch nur noch in den Erinnerungen existieren.

Thomas Melle: Beastie Boys*

Wenn du über diesen Link etwas bei amazon.de bestellst, unterstützt du laut.de mit ein paar Cent. Dankeschön!

Weiterlesen

laut.de-Porträt Beastie Boys

Oh Gott, weiße Jungs produzieren Hip Hop. No Chance. So oder so ähnlich muss die Öffentlichkeit geurteilt haben, als die Beastie Boys im November 1986 …

Noch keine Kommentare