Die Charts scheinen zu einem willfährigen Konzern-Werkzeug ohne Aussagekraft verkommen zu sein. Gracia darf trotzdem für Deutschland antreten.
Berlin (mma) - Am Montag nahm der deutsche Phonoverband als Konsequenz eines offenbar erfolgreichen Chartbetrugs sechs CDs des Labels Bros Music aus der Hitparade. Besonders brisant: Deutschlands Grand Prix-Export Gracia durfte nur aufgrund ihrer hohen Chartsplatzierung überhaupt am Vorentscheid des Eurovision Song Contest teilnehmen. Jetzt diskutieren Medien und Fanforen eifrigst, ob die Siegerin des Wettbewerbs zum Finale nach Kiew oder disqualifiziert gehört.
Stellvertretend für viele Medien empört sich Dieter Thomas Heck in der Bild-Zeitung. "Wenn gemogelt worden ist, dann ist Gracia raus. Dann darf sie nicht nach Kiew", meint der TV-Moderator. Der NDR beharrt dagegen auf der Teilnahme der 22-Jährigen. Denn für Unterhaltungschef Jürgen Meier-Beer hängen Chartsplatzierung und Vorentscheid-Sieg nicht unmittelbar zusammen. Auch bei einer "normalen" Anmeldung hätten die Zuschauer Gracia auf Platz eins gewählt. Die Korrektheit des Abstimmungsergebnisses sei zudem nochmals geprüft worden.
Das sieht Gracia selbst ganz genauso. "Im Endeffekt hat mich Deutschland gewählt und nicht eine Chart-Position", zitiert der Kölner Stadtanzeiger. "Ich sehe, dass zu jeder meiner Shows wahnsinnig viele Fans kommen." Ansonsten bläst die gebürtige Münchnerin ins selbe Horn wie ihr Produzent: "Es sind schon viele Große erwischt worden, da ist nichts passiert", betont David Brandes. Media Control habe in der Vergangenheit von mehreren Manipulationen Wind gekriegt, aber nicht gehandelt. Unabhängig davon, ob sich die Vorwürfe gegen den Produzenten bestätigen oder nicht, genieße Brandes weiterhin ihr Vertrauen. Sie wolle ihm "keinen Vorwurf machen. Es ist ja nicht kriminell, höchstenfalls regelwidrig. Es geht schlicht um gekaufte CDs."
Scheint so, als nehme die Hitlisten niemand mehr wirklich ernst. Sie sind zum willfährigen Konzern-Werkzeug ohne Aussagekraft verkommen. Natürlich versucht die Musikwirtschaft, die Präsentationsfläche Charts zu retten. Phonoverbandsprecher Hartmut Spiesecke erklärt gegenüber der Nachrichtenagentur ddp den Skandal zum Ausnahmefall. "So zu tun, als sei das eine kleine Angelegenheit, weil es viele machen, ist unredlich", richtet er an David Brandes' Adresse.
Dagegen spricht der geschäftsführende Gesellschafter von Media Control, Karl-Heinz Kögel, im Fall Brandes sogar von "mafiösen Strukturen". Um kein Misstrauen zu erregen, hätten die Käufer "Reisepläne und detaillierte Anleitungen" bekommen. Weiter sagte Kögel zur Süddeutschen Zeitung, dass Betrugsversuche bei den Charts regelmäßig vorkämen. Zum Beispiel habe der Manager von Jeanette Biedermann 2002 Hunderte ihrer CDs in einem Plattenladen gekauft. Derartige Häufungen gingen jedoch nicht in die Statistik ein. Schwieriger sei der Fall, wenn viele einzelne Käufer in vielen Geschäften geringe Mengen mitnähmen. Dafür lägen Media Control im aktuellen Fall handfeste Indizien vor.
Noch keine Kommentare