laut.de-Kritik
Zurück in die Zukunft – im Volvo statt DeLorean.
Review von Alex Klug"Dass ich das noch erleben darf: Im Sartory zu spielen und die Leute schunkeln mit." – Ja, es sind ein paar Jährchen vergangen, seit Wolfgang Niedecken die karnevalskritische 80er-Perle "Nit Für Kooche" mit ernsterer Miene vortrug. Zwischen Ironie und Zynismus hat sich die Altersmilde ein warmes Plätzchen eingerichtet, auf dem glücklicherweise auch augenzwinkernde Weisheit ihren Platz findet. Die braucht es wohl auch, wenn man sich mit 72 Jahren entscheidet, gleich zwei von den Fans favorisierte Langspielplatten in Gänze auf die Bühne zu bringen.
August 2023: Viel Zeit vergeht nicht, bis der BAP-Webshop infolge der äußerst spontanen Ankündigung von vier Konzerten in den Kölner Sartory-Sälen ein knappes AUSVERKAUFT hervorächzt. Unmut und Ungläubigkeit der Zuspätkommenden bettet Wolfgang Niedecken noch am selben Abend in weiche Daunen des Trosts: 2024 kommt das ganze Ding auf Tour.
Für Usszeschnigge" und "Vun Drinne Noh Drusse" in voller Länge. Säckeweise Fan-Favorites, die in den letzten Dekaden teils unter stiefmütterlicher Behandlung gelitten hatten. Es ist der letzte Schritt eines Prozesses, den BAP mit den letzten Setlists eingeleitet und mit der Geheimzugabe "Wenn Et Bedde Sich Lohne Däät" schließlich die Krone aufgesetzt haben: Gib den Leuten, was sie wollen.
Ein kurzer Tracklist-Scan zeigt schnell, dass mindestens ein Drittel der Songs ohnehin tiefe Brandflecken in den Setlists und Live-Alben der letzten vierzig Jahre hinterlassen hat. Versionen von "Verdamp Lang Her" hat die Band mittlerweile wohl doppelt so viele angesammelt, wie der Song Strophen hat. Apropos Versionen: Nachdem man sich zuvor von der gitarrenlastigen zur sehr gitarrenlastigen Kapelle entwickelt hatte, nähern sich BAP schon seit der großen Umbesetzung 2014 wieder den Originalen an. Zitat: "Das Bewahrenswerte bewahren."
Diese Taktik kommt hier gerade den weniger geläufigen ruhigen Tracks zugute, die der "Zeitreise" ihren klaren nostalgischen Farbtupfer aufdrücken: Im Mandolinen-Ohrwurm "Eins Für Carmen Un En Insel" schenkt uns die griechische Abendsonne noch mal einen extra warmen Kuss, "Fuhl Am Strand" bietet den meist in ähnlicher Würde gealterten Fans Zeit für ähnlich schwelgerische Beach-Life-Resümees. Carribean BAP – alleine für diese vergessenen Goldtaler hat sich das Brecheisen an der Pandorabüchse gelohnt.
Natürlich jubelt das Retroherz auch, wenn BAP im (wie erwähnt inzwischen sehr augenzwinkernden) Karnevalsdiss "Nit Für Kooche" um keinen Mono-Synthesizer verlegen sind. In ähnlich tastenlastigen Nummern wie "Frau, Ich Freu Mich" hat hingegen das längst festintegrierte Bläsertrio das Ruder an sich gerissen. Das ist es dann wohl, was Niedecken regelmäßig als "deutlich musikalischer als zuvor" beschreibt: Die brave, aber bravouröse Virtuosität der Berufsmusizierenden, die den BAP-Sound inzwischen ausmachen.
Das mag und darf manchem Alt-Fan zu handzahm erscheinen. Gerade aber Freundinnen und Freunden des Songwriting-Aspekts, die BAP in höherem Lichte als einfach nur "solide kölsche Rockmusik" sehen, dürfte das um so fruchtiger munden: Die Gitarrenlastigkeit der Vorgänger ist passé, Solopassagen teilen sich mittlerweile auf besaitetes und nicht-besaitetes Instrumentarium auf – eine klare Verbesserung zu manch heroischer Mucker-Eskapade früherer Livealben.
So gesellt sich "Zeitreise" als vernünftigerer älterer Bruder (vielleicht den, den die Eltern immer gewollt hatten) zum jugendlich ungestümen "Bess Demnähx" – der Referenz-Live-Scheibe von 1983. Dabei liegen sich Profi-Arrangements und Bühnenklamauk (ja, samt Schmal'scher Fahrradklingel auf "Wo Mer Endlich Sommer Han") hier in den besten Momenten näher, als mancher Major-Veteran das wahrhaben will. Auch "Müsli-Män" tönt als aufgeräumte Reggaeversion ohne Zweifel unterhaltsam – den Mut zur wirklich beachtlichen Jazz-Version des zweiten großen Bandkonstrukts (1999, "Tonfilm"-Album) haben BAP aber ein Stückweit abgelegt. Dafür besticht eine nicht minder gefühlige, cellogeladene Version von "Ahn 'Ner Leitplank".
Ach so, und natürlich "Kristallnaach", "Jraaduss", "Stell Dir Vüür", "Do Kanns Zaubere", "Anna" und und und. Ein bisschen Musikbox, die Niedecken laut Opener "Koot Vüür Aach" nicht sein will, muss man auf so einer Zeitreise dann eben doch spielen. Wenn auch eine halbe Oktave tiefer als zuvor.
2 Kommentare mit einer Antwort
Es ist eine der besten Live-Aufnahmen die ich in letzter Zeit gehört habe. Ob man die Band nun mag oder nicht - aber hier haben alle ein tolles Werk abgeliefert. Danke an die Tontechnik. Inhaltlich eine Reise durch die Bandgeschichte und das hier und da mit Augenzwinkern aber wie gesagt mit hervorragenden Musikern und einer tollen Stimmung bis zum Schluss.
in der Tat; auf YT gibt es den Videomitschnitt und der klingt sehr gut.
bemerkenswert der mentale Spagat den der Mindset dieser Klientel derzeit durchmachen muss