laut.de-Kritik
Linkssein als Lifestyle? Nicht so Ok, Kid.
Review von Hannes HußBisschen dummer Zeitpunkt, im Mai 2022 auf Fynn Kliemann zu machen. Das war ein bisschen anders geplant. Ok Kid haben sich seit "Sensation" von Label, Managment, Bookingagentur und Co. getrennt. Jetzt machen sie alles DIY. Mit Unterstützung von ... (sehr lauter Trommelwirbel) Fynn Kliemann und Global Tactics. (Jubel in der Menge, ich erhalte das Bundesverdienstkreuz für meine Meisterleistung an Investigativjournalismus) Naja, sei's drum. Wollte ich einfach mal erwähnt haben. Die Beziehung eines musikalischen Produkts zu seinen Produktionsbedingungen ist ja durchaus von Relevanz. Da würden mir Jonas, Raffi und Moritz sicherlich zustimmen. Sie bekommen ja auch keine Morrissey-Referenz ohne Morrissey-Kritik hin: "Morrissey Charming Man, aber leider auch Rassist" Kunst ist politisch, daran besteht auf "Drei" kein Zweifel.
Also prinzipiell ja etwas, das mir gefällt. Ich hab auf dieser Seite ja "Sensation" ziemlich bejubelt. Im Nachhinein unverdient, aber ich war jung, dumm und brauchte das Geld ;) Aber zurück zur Kritik. Politische Musik kann fantastisch sein. Die Goldenen Zitronen, Hannes Wader, Tocotronic. Gib mir mehr davon. Könnt ihr das, liebe Gießener?
Können sie nicht. "Drei" ist durchzogen von dem, was ich Virtue Signaling und Links als Lifestyle nenne. Überall flirren Buzzwords wie "Der Herr ist eine Frau" herum. Bitte, da mach ich nen ganz geschwinden U-Turn.
Den will ich auch hinlegen, sobald mir irgendwas mit Nähe zu Jeremias präsentiert wird. Ich muss hier vorsichtig sein, mein Bruder ist fanatischer Jeremias-Fan. Ach, was erzähl ich da, der interessiert sich eh nicht für meine Kritiken. Deshalb: Diese Deutschpop-Belanglosigkeit in der Second Hand-Levis bei Jeremias, Provinz und sonstigen Bestandteilen des Das Ding-Festival-Lineups nervt mich massiv. Dagegen ist die letzte Drangsal-Platte echt gut.
Ich schweife schon wieder ab. Jeremias-Sänger Jeremias ist Featuregast auf "Das Letzte (feat. Jeremias)" und der Song ist das Schlechteste, was Ok Kid bisher herausgebracht haben. Eine saft- und kraftlose Melange aus Autotune-Lo-Fi Hip Hop und dieser ganzen kitschigen Beziehungslyrik der Provinzschule. Alles hier nimmt den billigsten Wortwitz bereitwillig mit, es fallen Zeilen wie "Wenn das Leben ..." Klar, das ist irgendwo clever und ein gewitztes Wortspiel, aber auch letztendlich nichts als platt.
Zumindest musikalisch wird es bei "Kein Mensch" besser. Der Beat ballert, Bruder. Wirklich, ich bin vollends begeistert davon. So leichte Jazzanleihen im Schlagzeug. Dezentes Klavier. Saxofon! Ich könnte mich stundenlang darin verlieren. Wäre da nicht schon wieder der Text. Der ärgerlichste Teil ist sicherlich der Refrain. "Wenn das, was ihr seid, wirklich Mensch sein soll / dann wurde ich falsch programmiert"
Ich weiß, dass diese Kritik bis jetzt wahnsinnig negativ und auch ein bisschen ungerecht war. Ok Kid sind irgendwo grundsolide Typen, engagieren sich für Fridays For Future, reden über toxische Männlichkeit und stehen generell für das gute Leben im Falschen. Nur: Das ist einfach nicht das Richtige. Ok Kid stehen für grünen Wohlfühlkapitalismus und "Nazis sind doof, hihi". Rechte Menschen kommen auf "Drei" immer wieder vor. Allerdings nicht als Symptome von rechtsextremen Strukturen, sondern als bloße Trottel. Nazi sein bedeutet hier, dass jemand ein bisschen dumm ist. "Komm raus, es regnet Hirn", rufen Ok Kid ihm zu, dann wird sich das schon lösen.
Rechtsextremismus ist nur leider nicht so simpel zu lösen. Der Kampf gegen Rechts ist langwierig, Bildung spielt sicherlich eine Rolle, ist aber kein Allheilmittel. Klar, ich finde Götz Kubitscheck lächerlich. Aber seine Intelligenz kann ich ihm nicht absprechen. Das ist irgendwo frustrierend, aber so ist das Leben nun mal. Die Verhältnisse sind komplex, Lösungen sind nicht simpel und ergeben sich erst recht nicht von selbst.
Diese Unterkomplexität der menschlichen Beziehungen untergräbt regelmäßig eigentlich wohlgemeinte Ansätze. "Leben Leicht" und "Hausboot Am See" wollen beide mit toxischer Maskulinität abrechnen. Schön und gut und irgendwo wichtig. Nur: Dieser intellektuelle Kampf wurde vor Jahren wirklich verhandelt. Dass der Polizist auf dem Hausboot, der den Erzähler überwältigt wegen eines Joints, ein rückständiger Idiot ist, ist seit mehreren Jahren bekannt. Toxische Männlichkeit ist aber so viel mehr als physisch gewalttätige Männlichkeit. Auch weichere Formen der Maskulinität können toxisch sein. Dafür interessiert sich "Drei" aber überhaupt nicht. Hier reichen Zeilen wie "Ich bin nicht das, was deine Leute sagen, was ein echter Mann ist / weiche Schale, weicher Kern", um toxische Tendenzen von sich zu weisen. Das ist viel zu simpel und bereitet irgendwelchen manipulativen sad boys den Weg, sich selbst als Opfer denn als Täter zu beschreiben.
Das ist die eigentliche Arbeit, die kontemporäre Maskulinitätsreflexion leisten muss. Aber diese Arbeit ist komplex und anstrengend und daran ist "Drei" nicht wirklich interessiert. Das zeigt sich auch in Songs wie "Bubblegum" oder "Frühling Winter", die im Sinne einer diskursiven Vorwegnahme mögliche Filterblasenkritik beantworten sollen. Kein schlechter Ansatz. Immerhin ist die Meinungsstärke der linksliberalen Blase immer wieder in der Kritik und das häufig auch zu Recht. Avocado-Toast essen ist eben keine Systemkritik. Das Problem daran, neben zu vielen billigen Wortspielen in "Bubblegum", ist, dass das Album keine politischen Überzeugungen außerhalb dieser Filterblase anbietet. Alles auf "Drei" riecht nach Wohlfühlkapitalismus und Linkssein als Lifestyle.
Stellenweise gut ist das Album dennoch. "Cold Brew (Kaffee Warm 4)" ist tatsächlich berührend. Die Geschichte von einem Paar, das sich langsam auflöst, mag keine neue sein. Die Verknüpfung von sanfter Electronica, Backgroundchören und Basedrum macht Laune. Die Lyrics sind befreit von krampfhaften Verweisen auf politische Themen oder billigen Wortspielen. Der Closer "Dinner For One" schafft es ebenso, endlich mal so etwas wie innere Einkehr zu finden. Die langsame, getragene Instrumentierung vermittelt eine angemessen verschleppte Atmosphäre für den Song. Der Text über die Abkehr von der Außenwelt gewinnt so an Profil und Aussage.
Dieses Herausarbeiten innerer Verletzlichkeit steht Ok Kid gut zu Gesicht. Hier verstricken sie sich nicht in Autotune-Experimenten oder so gutgemeinten wie letztendlich fehlgeleiteten politischen Aussagen.
5 Kommentare mit 12 Antworten
Habe es gehört und es ist richtig langweilig. Früher halbwegs witzige Texte die zeigten das die zumindest kognitiv nen bissel was auf dem Kasten haben und wissen was hier so passiert.Das Album ist ein so öder grauer Brei,als hätte sich die Band einschläfern lassen.
Überall flirren Buzzwords wie "Der Herr ist eine Frau" herum.
Was bitte ist daran das Buzzzword?
Album ist langweilig nach dem was ich gehört habe, aber der gesamte Ton der Rezi ist so dermaßen cringe dass ichs schon wieder mögen will.
Abgesehen von dem Absatz über Rechtsextremismus sehe ich das genau so. Richtig peinliches Getue... Bei "ich schweife schon wieder ab" hätte ich fast geschrien: Dann fang doch nochmal von vorne an, wenn du es selber merkst Hannes! Über das Album kann ich nichts sagen, da ich schon die Antilopen kacke finde. Und die sind wenigstens noch witzig. Werde es mir nicht anhören.
Hast schon recht, ist eher eine Buzz-Phrase.
Hannes hätte ruhig mal erwähnen können, wie furchtbar die Instrumentalisierung ist. Album und Rezi 1/5
Musik natürlich Sondermüll. Aber vielleicht kommt ja mal einer von meinen werten linken Kollegen darauf, daß mit Begriffen wie "toxische Männlichkeit" deshalb so viel Mumpitz getrieben werden kann, eben sie kaum etwas Konkretes bedeuten. Siehe auch: "Patriarchat". Kann man halt immer sagen, wenn man nicht genau weiß, was man eigentlich sagen soll. So wie "Kommt Zeit, kommt Rat". "Ein Stück weit". "Auf nem guten Weg". "Rheuma". Und so weiter.
Ohne ausführliche Beschreibung, was damit genau gemeint ist, sind das mehr so gefühlte als beschreibende Worte. Weswegen z.B. die wohl besten Texter des Landes, die erwähnten Goldenen Zitronen, sie wohl auch niemals unironisch benutzen würden.
Wie gewohnt lieferst du den Beleg, dass man dafür gar keine dezidierten Begriffe oder Phrasen braucht, auch gleich mit.
Hab aber gar kein Rheuma!
"Hab aber gar kein Rheuma!"
Sag einem schländischem Boomer, dass Du Ü30 und in Deutschland aufgewachsen bist ohne bisher auch nur einen Tag lang was vernünftiges geschafft zu haben ohne zu sagen, dass Du Ü30 und in Deutschland aufgewachsen bist ohne bisher auch nur einen Tag lang was vernünftiges geschafft zu haben...
Rheuma bekommt man ohne Vorerkrankungen aber meistens erst in einem höheren Alter, und betrifft leider auch Menschen, die nicht das Pech hatten, in Dorschland aufgewachsen zu sein.
Streng genommen ja von Anfang an dein Fehler, diese sehr typisch deutsche Fehlannahme, jeder schländisch geprägte muskelschwache Ü30-Rücken könne nur Rheuma und dies wiederum nichts anderes als die rühmliche Quittung für das eigene jahrelange vernünftige Wegschaffen körperlich anspruchsvoller Arbeit in diesem Land sein, zunächst im OP zu verklausulieren und nach Anfeindung durch andere user humoristisch auf sich selbst rückzuprojizieren... ^^
Ich recherchiere mal eben, ob ich tatsächlich "immer" statt "meistens" geschrieben hab. Melde mich dann zur humoristischen Qualitätskontrolle zurück, Hasi ♥
V.a. hast Du doch geschrieben gar kein Rheuma zu haben, verstehe also den Einsatz für die Rücken-Lobby des Facharztverbandes deutscher Orthopäden gerade irgendwie nicht? Heimlich Meistermarburger beim Hartmannsbund oder was?
Rückblickend war das bündische Binnen-s auch wirklich verzichtbarer als "den Lobby-Rücken der Rücken-Lobby" zu schreiben.
Recherche ist durch: Ungelacht 3/5. Aber prinzipiell ganz gute Moves allerseits, auf Rheuma anstatt auf die anderen Firlefanzen umzuschwenken.