laut.de-Kritik
Ein melancholischer Tagtraum.
Review von Rinko HeidrichNoch im Sommer des letzten Jahres konnte man sich von den quirligen Live-Qualitäten von The Mars Volta und ihrem musikalischen Mastermind Omar Rodriguez-Lopez überzeugen. Ein Jam-Wirbelsturm aus Prog, Latin-Jazz und kaum fassbarer Stilwechsel innerhalb kürzester Zeit fegte da über die teilweise überforderten Fans der Hauptgruppe Red Hot Chili Peppers-Fans hinweg. Seine Solowerke geht der hyperaktive Multiinstrumentalist dagegen mittlerweile ruhiger und entspannter an. Die intimen Cloud Hill Recordings, produziert vom Labelchef und Intimus Johannes Scheerer, überzeugten mit einer ruhigen, sehr intimen Neu-Interpretationen seiner mitunter sehr frickeligen Werke.
Nun erscheint mit "Is It The Clouds?" die mittlerweile schon 57. Veröffentlichung des Workaholics, die ganzen Nebenprojekte gar nicht mit eingerechnet. Wer den Überblick behalten möchte: Die Box "Amor De Frances" enthält nun alle bisherigen Veröffentlichungen auf Vinyl, inklusive natürlich des neues Albums. Selbst der mieseste Matheschüler kann ausrechnen, dass bei einem Durchschnittspreis von 25 Euro und diesem gigantischen Berg an Releases ein ebenso hoher Preis entsteht. In Zeiten der Inflation auch eine Kostenfrage: Sieben Tage Sommerurlaub am Meer oder doch lieber für eine lange Zeit in den unendlichen Soundkosmos von Rodriguez eintauchen.
Wer überhaupt keine finanziellen Möglichkeiten besitzt oder auch nur partiell den Wegen des Meisters folgen kann, dem bleibt noch das neue Solo-Album, das nach den Cloud Hill Tapes abermals das Tempo drosselt. Abgesehen davon, dass Omar nun auch kein Hardcore-Kid in seinen 20er mehr ist, liegt über dem Album ein großer Schatten. Den Tod seiner geliebten Mutter versuchte er schon mit den letzten Arbeiten therapeutisch zu verarbeiten, nun setzt er sich mit den verlorenen Jahren zwischen Abschiedstraum und Lebenskrise auseinander.
Die Songs, die er kurz nach dem Tod der Mutter schrieb, seien "brutal" gewesen, nun hat er zu dem traumatisierenden Ereignis eine gewisse Distanz gewonnen. Und doch klingen die neuen Songs gespenstisch und erinnern nicht wenig an den Goth-Blues von Nick Cave. "Electro-Shock-Blues", ebenfalls eine Trauerverarbeitung von den Eels wäre auch eine passende Referenz, gerade "Mere Centimeter", aber am Ende bleibt es natürlich ein ganz eigener Sound.
"Is It The Clouds?" bleibt ein melancholischer Tagtraum, mit viel Momenten der Vergänglichkeit und zerbrochenen Hoffnungen. Die fast meditative Selbstreflexion "Once A Broken Human" beschreibt eine Abwärtsspirale, die er gar nicht durchbrechen kann und der er auch letztendlich ausgeliefert bleibt.
Den Auslöser sieht er in "Your Own Worst Enemy" selbstkritisch in seiner eigenen Person. "Your love for putting others down / Will someday come back to haunt your soul / So we feel no resentment now we wish you no harm / Your life’s your punishment." Brutal, wie er seine ersten Song-Skizzen nach dem Tod seiner Mom beschrieb, bleibt auch die schonungslose Abrechnung mit sich selbst, ansonsten dürfte das der zärtlichste und schönste Omar-Song überhaupt sein.
Ein langer Weg für jemand, der auch gerne mal impulsiv Klänge in ihre Einzelteile zerbrach und für den der Weg öfter das Ziel war. Omar ist bei sich angekommen und vermittelt den Weg einer Person, die mit sich nun endlich im Frieden leben kann. So verhält es sich wohl auch mit Wolken: Dunkel, Unheil bringend und doch vergänglich.
2 Kommentare mit 3 Antworten
Die Kollaboration mit Johannes ist genau das, was seine Musik schon immer gebraucht hat. Jetzt strahlen seine Ideen so wie sie es immer verdient hatten. Ich hoffe, bei der nächsten Mars Volta geht es in die wildere, energischere Richtung, wie es sich bei zwei-drei Tracks schon anhedeutet hatte...
Diese Scheibe ist düster, groovig, verträumt. Macht allein schon als Audiophiler Spaß!
seine Name ist Johann
Korrekt!
Unerwartet gut; man will direkt schon beim reinhören auf die 5 drücken.
das nette an Mere Centimeter`s Hauptteil ist ein Ausschnitt aus dem tollen Teil aus Interpol - Hands away. Klasse.