laut.de-Kritik
Eine musikalische Odyssee durch die Südstaaten der USA.
Review von Giuliano Benassi2000 schickten die Gebrüder Coen den armen George Clooney auf eine Odyssee durch das Mississippi der 1930er. Sie ließen sich tatsächlich von Homers epischem Werk inspirieren, wie auch der Name des Hauptdarstellers, Ulysses Everett McGill, zeigt. Doch wie gewohnt webte das Duo viele weitere Stränge in die Handlung ein, etwa die wirtschaftliche Krise in jener Zeit, die Rassentrennung oder die verbreitete politische Willkür - alles mit einer ordentlichen Portion Slapstick versehen.
Als genialer Schachzug erwies sich die Entscheidung, der Musik eine zentrale Rolle einzuräumen, so wie es im täglichen Leben damals auch war. Mit T Bone Burnett, der die Coens schon beim Kultstreifen "The Big Lebowski" (1998) unterstützt hatte, stellten sie den Soundtrack noch vor den Dreharbeiten zusammen. So setzten sie die bereits aufgenommenen Stücke in die Handlung ein und nicht umgekehrt, wie sonst üblich.
Soundtrack und Film beginnen mit angeketteten Gefangenen, die am Straßenrand Felsen klein hacken. Der monotone Gesang liefert den Rhythmus für die Arbeit, so wie es auch in den umliegenden Baumwollfeldern war. Tatsächlich stammt die Aufnahme aus dem Jahr 1959, als Alan Lomax den Sänger James Carter in einem Gefängnis in Mississippi aufnahm, während er mit Mitinsassen Holz hackte. Lomax hatte die Tätigkeit seines Vaters John übernommen, der ab den 1920er-Jahren die ländlichen Gebiete der USA bereiste, um für die Library of Congress, der Bibliothek des Bundesparlaments in Washington, traditionelle Musik zu erforschen und festzuhalten.
Lieblicher hört sich Harry McClintock an, ein Abenteurer mit Gitarre, der 1928 "Big Rock Candy Mountain" eingespielt hatte. Darin träumte er von einem Märchenland, in dem es unter anderem Zigarettenbäume gibt, Hunde mit Gummizähnen, einen See aus Whiskey und stets schönes Wetter. Auch ein Zeichen dafür, dass die Lebensumstände alles andere als einfach waren.
Bis auf eines nahm Burnett die weiteren Stücke, ebenfalls Traditionals, in Nashville und Los Angeles neu auf. Dazu lud er hochkarätige Musiker ein, darunter Gillian Welch und ihren Partner David Rawlings, deren Debüt "Revival" er 1996 produziert hatte. Oder auch Bluegrass-Superstar Alison Krauss und ihre Begleitband Union Station.
Deren Mitglied Dan Tyminski fiel die Rolle zu, den bekanntesten Track des Albums einzusingen: "I Am A Man Of Constant Sorrow", ein Stück, das seit 1913 oft aufgenommen wurde und in den Country-Charts landete. So interpretierte es auch Bob Dylan auf seinem Debüt 1962. Im Film ist es Hauptdarsteller Clooney, der den Sänger mimt, was Tyminskis Frau zur Aussage bewegte: "Deine Stimme in George Clooneys Körper? Davon habe ich geträumt!". Auch Tyminski freute sich, denn er holtre sich einen Grammy ab, gemeinsam mit den anderen Sängern Harley Allen und Pat Enright.
Krauss selbst ist im Gospel "Down to The River To Pray" und im träumerischen "Didn't Leave Nobody But The Baby" zu hören. Begleitet von Welch und dem zweiten Stargast des Soundtracks, Emmylou Harris, lassen sich Clooney und seine Mitstreiter Pete Hogwallop (John Turturro) sowie Delmar O'Donnell (der brillante Tim Blake Nelson) im zweiten Stück von drei Frauen bezirzen. Mit selbstverständlich schwerwiegenden Folgen.
Doch stehen sie schließlich auf der Bühne, um "Man Of Constant Sorrow" zum Besten zu geben, das zu Beginn des Films in einer Radiostation aufgenommen wurde und sich ohne ihr Wissen zu einem Riesenhit entwickelte. Der Bandname Soggy Bottom Boys spielt auf ihre nassen Klamotten an, ist gleichzeitig aber eine Hommage an den frühen Bluegrass-Star Earl Scruggs, der bei den Foggy Mountain Boys gespielt hatte.
Ein weiterer Verweis findet sich im Namen des einzigen Schwarzen wieder, der im Film eine der wichtigeren Rollen spielt: Gitarrist Tommy Johnson, der dem Teufel seine Seele verkauft hat, um ein Meister seines Instruments zu werden. Diese Legende wird in der Regel Robert Johnson zugeschrieben, doch stammt sie von einem Blues-Musiker, der tatsächlich Tommy Johnson hieß.
Bei den Dreharbeiten spielte Schauspieler und Musiker Chris Thomas, der ihn verkörperte, Skip James' "Hard Time Killing Floor Blues" in einer Szene am Lagerfeuer. So eindringlich, dass es sich in dieser Version auf Soundtrack und im Film wiederfand. Eine Feld-Aufnahme im Stil von Vater und Sohn Lomax.
Lückenfüller sind auf diesem Soundtrack, wie sonst allzu oft üblich, nicht zu finden. Schauspieler Nelson ist in einem Stück selbst zu hören, "In The Jailhouse Now", mit einer jodelnden Einlage von John Turturro (in Wirklichkeit Pat Enright). Norman Blake, der viele Jahre mit Johnny Cash unterwegs war, singt "You Are My Sunshine", im Film eine Hymne für den widerwärtigen Gouverneur, dem der Erfolg der Soggy Bottom Boys für die anstehenden Wahlen nutzt.
Er begnadigt die Protagonisten allerdings auch. Was wiederum einen doppelten Querverweis darstellt, denn das Stück stammt tatsächlich von einem Musiker, der Gouverneur war, Jimmie Davies. Ein Sänger, der aufgrund seiner musikalischen Wirkung von einem Gouverneur begnadigt wurde, gab es auch: Lead Belly.
Musik war damals Unterhaltung für die ganze Familie. The Whites erinnern mit "Keep On The Sunny Side" an die Carter Family. Die drei jungen Mädchen der Peasall Sisters stimmen das fröhlich schräge "In The Highways" an, die Cox Family das nachdenkliche "I Am Weary (Let Me Rest)".
Eine besondere Stellung nehmen die verbleibenden drei Interpretationen ein. Ralph Stanley blickte auf eine fünfzigjährige Karriere als Banjo-Spieler und Sänger zurück, als er ohne Instrumente "O Death" einspielte. 2001 erhielt er dafür einen Grammy. Ebenfalls ohne Instrumente kommen die Fairfield Four aus, die seit 1921 bestehen und im Film beim Gräber ausheben eine fast schon beängstigende Version von "Lonesome Valley" zum Besten geben. Schließlich John Hartford, der für den Hit "Gentle On My Mind" verantwortlich zeichnet und hier Instrumentalversionen von "Man Of Constant Sorrow" und "Indian War Whoop" einspielte. 2001 starb er an Krebs und erlebte so nur noch am Rande, welche Eigendynamik das Album entwickelte.
Der Film wurde zum Erfolg, Clooney erhielt für seine geniale Interpretation einen Golden Globe. Der wahre Star war jedoch der Soundtrack, der völlig unerwartet die Spitze der US-Charts erklomm und sich bis zu den Grammys 2001 vier Millionen Mal verkaufte. Dort erhielt holte er drei Preise, darunter den wichtigsten für das Album des Jahres.
Selbst "Man Of Constant Sorrow" kletterte auf den 35. Platz der US-Single-Charts. Traditionelle US-Musik war plötzlich wieder in, was in den folgenden Jahren zu vielen weiteren erfolgreichen Projekten führte, nicht zuletzt das von Burnett produzierte "Raising Sand" (2007) mit Alison Krauss und Robert Plant.
Bereits vor der Veröffentlichung des Films hatten viele der beteiligten Musiker in Nashville den Soundtrack schon aufgeführt. Die Tonspuren des dabei entstandenen Dokumentarfilms, "Down From The Mountain", erhielt ebenfalls einen Grammy. 2002 gingen Emmylou Harris, Krauss samt Union Station und andere mit dem Soundtrack dann auf US-Tour.
Der Erfolg der Platte lässt sich jedoch nicht an einzelnen Namen festmachen, sondern an den Stücken, wie Produzent und Co-Autor Ethan Coen bei der Grammy-Verleihung betonte: "Der Grund, soviel Musik aus der Zeit der Handlung zu verwenden, ist ganz einfach: Sie reißt einen mit und erinnert an eine Zeit, in der Musik Teil des täglichen Lebens war und nicht etwas, das von berühmten Künstlern interpretiert wurde".
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
6 Kommentare mit 2 Antworten
Grandioser Film, perfekter Soundtrack. I'm a Dapper Dan Man!
in zeiten des drölfundachtzigsten starwars sequel/prequel/spinoffs sonstwas gedöhns blicke ich wehleidig auf solch cineastische lichtblicke zurück.
dito
Im Independent Bereich werden und wurden am laufenden Band hochinteressante Filme rausgebracht. Man muss halt die Augen aufsperren.
Damals raus aus dem Kino und CD geholt. Hole ich immer noch gerne aus dem Schrank
Down to the river to pray ...wunderbar
Oh ja. Sowohl Film als auch Soundtrack sind großartig!
Mit dem Sound dachte ich kann ich nix anfangen, und hör die Platte echt oft. Thanx ton Mr. Danchichi!!