laut.de-Kritik
Die Symbiose unterschiedlicher Stile und Kulturen.
Review von Manuel BergerEigentlich wies nach "All Is One" und dem in Kollaboration mit Amaseffer sowie dem Stadttheater Memmingen entstandenen Werk "Kna'an" alles darauf hin, dass Orphaned Land fortan auf weniger komplexen, ruhigeren Pfaden wandeln würden. Von wegen. Mit "Unsung Prophets & Dead Messiahs" legen die Isaelis ein anspruchsvolles Konzeptalbum vor, bei dem sowohl Folk- als auch Death Metal-Elemente viel Raum haben.
Es beginnt mit einem absoluten Hammer: Möchte man wissen, wofür Orphaned Land musikalisch und lyrisch stehen, bietet sich "The Cave" als Anspieltipp an: So gut ausgereift wie wohl nie zuvor, bringen Kobi Farhi und Co. alle ihre Trademarks auf einen Nenner. Orientchöre, Bouzouki und sehr dominante Streicherparts vereinen sich mit Metalgitarren, aggressiven Growls und einem mit dem musikalischen Kernmotiv spielenden Rockstar-Solo.
Was Sound und Eingängigkeit angeht, fühlt man sich an "All Is One" erinnert, die Spielzeit von über acht Minuten weist mehr auf "Mabool: The Story Of The Three Sons Of Seven" oder "The Never Ending Way Of ORWarriOR" hin. Und über allem thront Farhis majestätische Refrain-Hook: "One can easily forgive a child who is afraid of the dark / The real tragedy of life is when men are afraid of the light".
Ein Problem mit Pathos sollte man gleichwohl nicht haben, will man "Unsung Prophets & Dead Messiahs" in vollen Zügen genießen: Eine dicke Schicht liegt selbst über den brutalen Auswüchsen "We Do Not Resist" und "Only The Dead Have Seen The End Of War". Teils ist das natürlich der hörbaren Überzeugung Farhis in seine Worte geschuldet, der nie einen Hehl aus seiner aufklärerischen Botschaft macht.
Aber statt mit erhobenem Zeigefinger zu predigen, veranschaulicht er mithilfe der Musik lieber, welch überwältigende Schönheit sich aus der Symbiose unterschiedlicher Stile und Kulturgüter ergeben kann. Orphaned Land ordnen die Musik nicht der Message unter, sondern sehen zu, dass beides Hand in Hand geht.
Tatsächlich scheint es mittlerweile nichts mehr zu geben, was Orphaned Land nicht schlüssig in ihre Kompositionen integrieren könnten. In drei Songs ("We Do Not Resist", "Left Behind", "My Brother's Keeper") zensieren sie sich punktuell mit dem typischen Piepsen selbst, unter anderem die Zeile "Our voice is taken away". Den Metal-Brecher "We Do Not Resist" lockern sie mit volkstümlichem Klatschen auf. Selbst das dramatische Rezitativ eines Gedichts des Chilenen Victor Jara in "The Manifest – Epilogue" funktioniert dank passender musikalischer Begleitung.
Repräsentativ für die stilistische Bandbreite Orphaned Lands stehen drei Gastmusiker: Hansi Kürsch (Blind Guardian), Tomas Lindberg (At The Gates) und Steve Hackett (Ex-Genesis). Sie kommen aus den unterschiedlichsten musikalischen Bereichen, verbiegen sich für ihren Auftritt auf "Unsung Prophets & Dead Messiahs" keineswegs und fügen sich trotzdem wunderbar in die Songs ein. Kürsch ("Like Orpheus") könnte gar direkt als festes Bandmitglied einsteigen. Hacketts Gitarrensolo in "Chains Fall To Gravity" hebt sich durch den technischeren Ansatz zwar deutlich von den bandeigenen Leads ab, ist aber nicht zuletzt dank toller Streicher-Interaktionein Highlight. Dass sich Orphaned Lands Gitarristen Chen Balbus und Iran Amsalem nicht vor dem Altmeister verstecken brauchen, demonstrieren sie in der Ballade "All Knowing Eye".
"All Knowing Eye" entpuppt sich im Vergleich mit den anderen Songs als wesentlich sparsamer instrumentiert. Hier dominiert die Akustikgitarre, Farhi singt in der Manier eines Singer/Songwriters. Auch in "Chains Fall To Gravity" und "Poets Of Prophetic Messianism" fahren Orphaned Land diese zurückhaltende Schiene, was im Albumkontext auch notwendig ist. Denn die Arrangements, die der grenzenlose Stilmix nach sich zieht, können bei aller Macht auf Dauer auch überfordern. Da tut es gut, wenn ruhigere Stücke die Dichte der Platte etwas zersetzen und statt epischer Chöre mal nur eine klar definierte Singstimme zu hören ist.
Der zweite Grund, warum "Unsung Prophets & Dead Messiahs" auch in den instrumental vollsten Momenten nie überladen klingt, ist Jens Bogren. Der Mann, der unter anderem Opeths "Ghost Reveries" zu seinem edlen Klang verhalf, zeigt auch hier wieder, welch herausragender Prog Metal-Produzent er ist. Je vielschichtiger die Tracks, desto mehr blüht er auf.
Orphaned Land gebührt schon durch ihre Bemühungen um den Dialog zwischen arabischer und westlicher Welt eine Ausnahmestellung in der Metalszene. "Unsung Prophets & Dead Messiahs" zeigt, dass sie unabhängig davon auch musikalisch zu den eigenständigsten und interessantesten Gruppen des Genres gehören. Die kompositorische Dringlichkeit, die "All Is One" stellenweise abging, ist nun wieder da. Mit dem um Platons Höhlengleichnis rotierenden Konzept wählte die Band eine starke, zeitlose Storyline für die Texte. Obendrein musiziert sie so facettenreich wie nie zuvor. Besser gehts kaum.
2 Kommentare mit 3 Antworten
Und warum nur vier Sterne bei der Kritik? Man weiß es nicht...
ich kann die bewertung gut nachvollziehen. sehr, sehr gutes album. aber eben nicht ganz die brillanz vom überalbum "orwarrior".
Die 4 Sterne an sich will ich gar nicht in Abrede stellen (kann ich auch nicht, das Album wird mir nämlich erst morgen geliefert), aber die Rezension ist so formuliert, dass man eindeutig fünf Sterne erwartet. Mal ein paar Beispiele: "Es beginnt mit einem absoluten Hammer: [...] So gut ausgereift wie wohl nie zuvor, bringen Kobi Farhi und Co. alle ihre Trademarks auf einen Nenner", "Orphaned Land ordnen die Musik nicht der Message unter, sondern sehen zu, dass beides Hand in Hand geht", "Tatsächlich scheint es mittlerweile nichts mehr zu geben, was Orphaned Land nicht schlüssig in ihre Kompositionen integrieren könnten", "Obendrein musiziert sie so facettenreich wie nie zuvor. Besser gehts kaum." - Eine Lobeshymne von vorne bis hinten
Herr Berger mag nun einmal keinen Pathos...
Wie ich einfach schon im Januar wusste, dass dies mein absolutes Lieblingsalbum 2018 ist. Dieser ohnehin einzigartigen Band gelingt es auf "Unsung Prophets & Dead Messiahs", alles - auch scheinbar auf ewig Widersprüchliches - zu unglaublich ausdrucksstarken Ohrwürmern mit Inhalt zu vereinen und dabei noch Referenzen zu den größten aller großen Denker zu ziehen.
Man nehme nur die in der Rezension erwähnten Parallelen zu Platon ("The Cave" und "Only the Dead Have Seen the End of War") oder den Chor, der im Epilog Hoffnung weckend "Canto que ha sido valiente, siempre será canción nueva." konstatiert.