laut.de-Kritik
Ein Album für die Geriatrie.
Review von Franz MauererAndrew Watt entwickelt sich langsam zum Spezialisten für alternde Rockstars- 2020 verantwortete er Ozzy Osbournes insgesamt eher verunglücktes "Ordinary Man", dieses Jahr "Earthling" von Eddie Vedder. Diesen Reigen setzt er mit "Patient Number 9" fort, wiederum mit dem Prince of Darkness.
Wie es sich für einen Prinzen gehört, versammelt er einen eindrucksvollen Hofstaat. Neben den altbekannten Gesichtern Tony Iommi (der allerdings zum ersten Mal auf einem Soloalbum des Birminghamers gastiert und mit seiner Teilnahme hier das Wiederaufflammen der Bromance mit Osbourne erneut bestätigt) und Zakk Wylde tauchen auch Eric Clapton, Jeff Beck und Mike McCready auf. Auftritte von Robert Trujilo, Taylor Hakwins und Chad Smith kommen hinzu, ohne jemals als solche erkennbar zu sein. Zusammengehalten wird das Ganze von Watt und seinen Songwriting-Komplizen Ali Tamposi sowie Ryan Tedder, die sonst Bieber und Blake betreuen.
Mit dem Londoner Beck beginnt der Titeltrack und Opener, der Yardbird bleibt aber ein Fremdkörper, auch auf der pathosversoffenen Ballade "A Thousand Shades". Der Opener will alles zugleich sein: große Gefühle, Heavy Metal, Bluesrock. Wumms und Background-Chor wechseln sich im Sekundentakt ab; ein roter Faden fehlt hingegen.
"Immortal" und "Nothing Feels Right" fallen zu keiner Sekunde aus dem selbst gesteckten 0815-Heavy Metal-Rahmen. "Parasite" gibt den Blues-Stampfer mit nettem Outro, dort gelingt immerhin die Zusammenarbeit mit dem Gast Zakk Wylde wie auch mit Iommi auf "No Escape From Now". Über guten Standard kommen die Songs trotzdem nicht hinaus. Zu vorhersehbar fällt jede Note aus, zu wenig befriedigend die blanke Genugtuung, neues Material von Ozzy zu hören. Die Qualität der Gastbeiträge stellt sich dem Hörer sehr unterschiedlich dar, was zum einen am Mix liegt, der stets ein Stück zu flach ausfällt. Zum anderen ist die Anbindung der Gäste schuld, die Gitarristen klatschen meist nach dem eigentlichen Song noch etwas Gitarrengewichse hintenran, weil man das halt so macht. Das Gegniedel ist dann zwar handwerklich fein, gibt dem Song aber nicht mehr Tiefe.
Dem Madman, den der Sänger auf dem phasenweise durch das Gitarrenspiel angenehm szenisch ausufernden, im Refrain aber flach bleibenden "Evil Shuffle" selbst beschwört, fehlt das Verrückte. In der Altherrenrock-Ballade "One Of Those Days" über das eigene Ableben weiß Osbournes Verschmitztheit nach wie vor zu gefallen, das Songwriting taugt nur nichts. "Mr Darkness" bedient das identische Topos, ist trotz supersimpler Struktur das Albumhighlight, da die nach oben gehende Bridge und der Refrain geradezu unverschämt gut zu Ozzys Stimme passen. Egal, durch wie viele Filter die gejagt wurde, ihre Präsenz und Einzigartigkeit verliert sie zu keiner Zeit. Einige seelenlose Songs geben sich dabei beachtenswert viel Mühe: "Degradation Rules" steht auf dem miesen Ende des Spektrums, überproduzierter, zielloser Mist, der irgendwie hart sein will. "God Only Knows" ist käsige Musik für Nachrufe. Damit sind die Komplettausfälle aber schon komplett, der Rest ist zumindest handwerklich in Ordnung.
Cool, dass der das noch kann- so ähnlich fallen die Meinungen schon seit "Under Cover" aus. Und es stimmt freilich, angesichts Ozzys historischer Verdienste und seines seit Jahrzehnten so offenkundigen Verfalls, der keine körperlichen und mentalen Grenzen zu kennen scheint. Es ist schon aberwitzig, dass dieser Mann mit bald 74 Jahren noch ordentliche Alben machen kann, die sich nicht ausschließlich im eigenen Sud wälzen, sondern einfach das sind: ordentliche Alben.
Gut ist "Patient Number 9" dadurch aber halt trotzdem nicht. Im Gegenteil frustriert es, dass der langjährige Junkie Osbourne im völligen Rausch zu Großwerken fähig war, der alte Osbourne seine stimmlichen und sonstigen weiterhin vorhandenen Fähigkeiten, seine in Interviews immer wieder durchscheinenden Kenntnisse der aktuellen Musikszene und die Fähigkeit seiner Frau Sharon, ihren Mann und Klienten vor Väterchen Tod zu verstecken, lediglich dafür nutzt, musikalisch nicht peinlich zu sein, statt es sich und der Welt nochmal zu beweisen.
Denn natürlich braucht ein Osbourne keinen Watt beziehungsweise natürlich kann ein Watt sich nicht aus seinem ewig gleichen Songschema lösen, egal ob er dieses nun mit Keyboard oder E-Gitarre umsetzt. Bei all ihren Verdiensten ist es schon eine ganze Weile her, dass ein McCready oder ein Wylde einem Song ihren Stempel aufgedrückt haben. Qua Ozzfest kennt die alte Fledermaus die halbe Welt, soll er doch mal Wednesday 13, Gast beim Ozzfest 2018, oder Scott Carstairs von Fallujah, 2017 zugegen, anrufen.
7 Kommentare mit 4 Antworten
"Ein Album für die Geriatrie."
Oder anders gesagt: Mucke für den lautuser.
"Denn natürlich braucht ein Osbourne keinen Watt beziehungsweise natürlich kann ein Watt sich nicht aus seinem ewig gleichen Songschema lösen"
Ganz sicher wird er mit 73 sein Songwriting nochmals komplett überdenken und uns zukünftig mit Post-Rock und Trap beglücken.
Wo lebst du?
"Gitarrengewichse", "Gegniedel"...Aussagen wie diese sind es, die immer mehr arglose junge Menschen in die Arme von Mark Forster, Shirin, u.a. treiben. Ihr solltet euch eurer Verantwortung gegenüber diesen Menschen bewusst werden und lieber mal ein Album von Christone „Kingfish“ Ingram rezensieren. So, ich greife jetzt eine meiner Gitarren und eine Rolle extra saugfähiges Küchenpapier!
Ich finde das Album in Ordnung. Es ist defintiv zu lang, was einerseits an ein paar vergessenswerten Tracks, aber auch teils unnötig langen Songs liegt; so wirken die vielen Parts des Titeltracks wenig organisch ineinander laufend, sondern aneinander geklatscht. Die Produktion ist auch viel zu aufgeblasen. Dennoch gibt es einige schöne Soli und herrlich catchye Refrains - Die Melodie von „Parasite“ geht mir so schnell nicht aus dem Ohr.
Stabile 4 von mir. Also, die Schulnote, keine Sterne.
Joah, unterschreib' ich größtenteils, insbesondere das mit der Überproduktion und dem Zusammengestoppel. Ich find's bemerkenswert, daß mich Autotune auf diesem Album bislang ziemlich wenig gestört hat ... könnte allerdings daran liegen, daß an Ozzys Stimme in den letzten Jahrzehten ohnehin so viel rumgepegelt, -geschnippelt und -multilayert wurde, daß es jetzt auch nicht mehr drauf ankommt, wenn der Tontechniker dem Künstler die Töne in den Mund legt.
Bewertung mit der Einschränkung, daß ich die Gästeliste nicht verstanden habe. Die können doch alle so viel mehr und dürfen so wenig zeigen, vermutlich damit sie Ozzy nicht die Butter vom Brot spielen. Entweder hätte man sich einen Großteil der Gäste schlichtweg sparen können oder man hätte bei ein paar ausgewählten Nummern die Laufzeit noch ein wenig erhöhen dürfen, um den Gästen auch ausreichend Raum für Glanztaten zur Verfügung zu stellen. Gerade Jeff Beck hat mir wenig Spaß gemacht. Der bringt in beiden Stücken die große Birne in Stellung, darf aber dann nicht mehr loslegen. Is doof.
Gruß
Skywise
Das ist doch ein richtig ordentliches Album geworden! Paar Ohrwürmer, manchmal sabbathmäßiges Gestampfe und echt gutes Songwriting. Klasse Ozzy, wenn das dein Abschiedsalbum sein sollte, alles richtig gemacht!
Besser als Ordinary man aber halt immer noch ein mieses Album XD