laut.de-Kritik
Prag sind nicht das Nora Tschirner-Projekt.
Review von Andrea Topinka"Und er denkt wie seltsam kitschig diese Bilder und Gemälde und wie treffend sie doch sind", umschreiben Prag den inneren Zwiespalt ihres Protagonisten in "Das Letzte Haus". Die zweite Platte "Kein Abschied" lässt den Hörer ähnlich hängen: Der aus der Zeit gefallene Orchesterpop des Trios kratzt mit jeder Menge Streichern und Geschichten über Lieben, Leben und Sterben an der Oberfläche der Gefühlsduselei. Trotzdem fasst er in ausgeschmückten Zeilen alltägliche Befindlichkeiten zusammen, mit denen sich jeder identifizieren kann.
Seit dem 2013er Debüt "Premiere" hat sich bei Erik Lautenschläger, Tom Krimi und Nora Tschirner nicht viel geändert. Ihren Pop versetzen sie immer noch mit Elementen aus Chanson und Schlager, vielleicht wird der orchestralen Gestaltung dieses Mal noch etwas mehr Platz gelassen.
Eine Schwermut ist Ausgangspunkt für so gut wie alle der zwölf Titel. Das sorgt, gepaart mit den säuseligen Gesangsmelodien sowohl der Herren als auch der Damen, für eine bedrückte Stimmung, die das klangliche Pendant zu den Grautönen des Plattencovers bildet. Auf Albumlänge schießen sie dabei manchmal übers Ziel hinaus und verstricken sich in ihrer blumigen Sprache, etwa in folgendem Zwiegespräch, das mit Piano und Streichern verziert wird:
"Es gibt den einen oder anderen wunden Punkt, der nicht so viel Reiz verträgt / Aber die sind doch markiert und in dem großen Wunde-Punkte-Ordner abgelegt / Gut, dann leg ihn bitte auch dort hin, wo man ihn leicht und sicher sieht / Oder wär es vielleicht besser, wenn er irgendwo in einer dunklen Kammer liegt?" ("All Die Narben")
Momente, in denen Text und Instrumentierung verschmelzen und Prag alltägliche Geschehnisse in stimmungsvolle Worte fassen, gibt es allerdings ebenso: Tschirner setzt sich in "Halt Die Luft An" mit lyrischer Verwandtschaft zu Laings Frauenpop abgeklärt in Szene: "Es ist klar, das gleich was passiert / Aber wem hilfts, wenn das hier eskaliert? / Drum halt die Luft an und zähl bis zehn". Ebenso gelungen ist ihr Nostalgie-Trip durch vergangene Freund- und Liebschaften ("Der Dunkle Weg"), begleitet von loungigem Piano und Glockenspiel.
Das temporeichere "Dieser Himmel" könnte am ehesten seinen Weg ins Radio finden, obwohl es inhaltlich weniger fröhlich ist: "Sag was hat dich bloß bewogen, wann ist das in dir gereift? / Gab es irgendeinen Punkt oder ein Zeichen, ja, vielleicht / Wo du das hier nicht mehr wolltest und dieser Himmel nicht mehr reichte". "Aus Versehen" und "Spaziergängerin" nehmen gegen Ende eine kurze Auszeit von den orchestralen Ausschweifungen durch ein reduziertes Instrumenten-Aufgebot.
Auch wenn insgesamt der gleichförmige Aufbau der Songs und die gelegentlich übertriebene Theatralik einen faden Beigeschmack haben, "Kein Abschied" wehrt sich gegen die Etikettierung: Prag sind weder "das Projekt von Nora Tschirner" noch eine Eintagsfliege. Die Band besteht aus drei hörbar gleichberechtigten Musikern, die ihre Liebe zu den Klängen der 50er und 60er weiterhin pflegt. Und dass sie sich im Moment nicht von anderen Trends oder eher mauem Erfolg von ihrem Weg abbringen lassen, verdient zumindest Anerkennung.
2 Kommentare mit 3 Antworten
andrea topinka
Ron Swanson schon jetzt mit dem Beitrag des Jahres.
Entschuldigen Sie bitte, ist das hier der Andrea Topnika Huldigungsthread?
Hey Andrea, ich finde die Rezi hast du echt super geschrieben. Weiter so!
perfekte einschlafhilfe