laut.de-Kritik

Eine Halbballade? Da boxen Tough Guys vor Wut Löcher in den Käse.

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Beim erstmaligen Hördurchlauf von «Cursed» fühlt man sich mit voller Gewalt ins Jahr 2001 und nach "Iowa" zurück katapultiert. Paleface Swiss klingen auf ihrem dritten Longplayer streckenweise wie die Schweizer Cousins der jungen Slipknot von damals: hungrig, übermotiviert und bis in die Haarspitzen aufgeladen mit Aggressionen, die es im kollektiven Riff-, Dresch- und Schreiwahn abzubauen gilt.

Was Marc 'Zelli' Zellweger am Mikrofon veranstaltet, erinnert an die Urgewalt eines Corey Taylor. Im Quasi-Opener "Hatred" schreit, growlt, schnaubt, röhrt und rap-grunzt der Kerl mit einer Intensität, dass man um seine Stimmbänder bangen muss. Absoluter Wahnsinn! Mit ratternder Doublebass, links und rechts fliegenden Drumfills und kantigen Gitarrenriffs passt auch das musikalische Umfeld perfekt zum Flashback. Gegen Schluss verlangsamt sich die Gewaltorgie dann auf das Tempo einer Dampfwalze, denn ohne Breakdown geht bei den Zürchern wenig.

Nach wie vor packen Paleface Swiss gerne ihren höllisch schweren Groove aus, der direkt in die Magengrube haut. Beatdown und Deathcore bezeichnen den Sound der Kapelle gemeinhin, doch im Gegensatz zu den Vorgängeralben klingt dieses Mal vieles auch nach Nu Metal. Hans was Heiri sagt man in der kleinen Alpenrepublik, am Ende ist alles einfach aggressive Chuga-chuga-Mucke. Und über derlei Stilfragen lohnt es sich ohnehin nicht den Kopf zu zerbrechen, denn am meisten Spaß macht dieses Album, wenn man sich einfach dem Flow hingibt.

Mit nur 28 Minuten Laufzeit und acht Songs (das überflüssige Intro lassen wir mal außen vor) legen Paleface Swiss ein erfreulich knackiges, praktisch fettfreies Werk vor. Da sich die Band dieses Mal stilistisch in einem weiter abgesteckten Feld austobt, kann Langeweile ohnehin kaum aufkommen. Zu Beginn von "... And With Hope You'll Be Damned" etwa packt Zelli knurrenden Sprechgesang aus, der zusammen mit schiefen Klängen von Gitarrist Yannick Lehmann wohl ganz bewusst an Korn erinnert.

Noch weiter treibt der Frontmann das Rap-Spiel auf "Enough?", das wie ein düsterer Hip Hop-Track beginnt und dadurch erst einmal irritiert. Die Band adressiert hier einen bestimmten Typ von Zeitgenossen, der sich in der Hartwurst-Szene tummelt: "the kinda dudes that always need to show us all how masculine they are". Mit toxisch Maskulinen hat Zelli ein Hühnchen zu rupfen, denn trotz aller musikalischer Härte hat seine Band null Bock auf Betonköpfe: "I don't want your attention / And I don't want you on our shows, no". Hausverbot für "motherfuckers writing homophobic shit on the internet" und deren "alpha friends". Eine Band, die im lukrativen Musikmarkt USA gerade kometenhaft durchsteigt, macht unaufgefordert solch eine Ansage? Sympathisch. Musikalisch geht das Experiment gerade nochmal auf, weil der Moshpit-Modus wieder rechtzeitig reinknallt, bevor der Rap-Part überstrapaziert wird.

Es ist schon länger her, dass mich ein Album so erfrischend umgenietet hat. Abzüge gibt es vor allem für einzelne wacklige Sprechgesang-Parts sowie das inkohärente "My Blood On Your Hands", das aber so schnell wieder vorbei ist, dass sich skippen kaum lohnt. Und zweifellos folgen die Paleface-Jungs streckenweise etwas starr bekannten Slipknot-Pfaden, gerade in der ersten Hälfte der Platte sind Déjà-vus unvermeidlich. Ob das ein Dealbreaker ist, muss jede:r mit sich selbst ausmachen. Ich bin geneigt, der Band das durchgehen zu lassen, denn sie beweist durchaus, dass sie auf eigenen Beinen stehen kann. Am deutlichsten wird dies in den letzten Songs, in denen der Frontmann sein Talent für Klargesang unter Beweis stellt. Kaum zu glauben, dass all diese Klänge der Kehle ein und desselben Typen entstammen.

Es finden sich aber auch musikalisch interessante Einfälle: "Youth Decay" wird unvermittelt von einem Thrash-Metal-Solo und kurzem NWOBHM-Gitarrenlauf zerfräst, was auf die Vorlieben von Gitarrist Lehmann zurückgehen dürfte. Im ruppig startenden "Love Burns" zeigen Paleface Swiss dann nochmals eine ganz neue Facette, wenn der Schlusspart in melodiöse, gefühlbetonte Gefilde führt. Für einmal ist dem Gitarristen auch ein richtiger Melodielauf vergönnt statt dem gewohnten Riff-Geschnetzeltem. Riecht unweigerlich nach Stadionluft.

Noch eine Stufe getragener gestaltet sich der Rausschmeißer "River Of Sorrows". Eine Halbballade? Da boxt die Tough-Guy-Fraktion vor Entsetzen bestimmt Löcher in die Wände. Oder in den Käse. Man kann stattdessen auch einfach Play drücken und diesem so kurzen wie kurzweiligen Album eine neue Runde gönnen.

Trackliste

  1. 1. Un Pobre Niño Murió
  2. 2. Hatred
  3. 3. ... And With Hope You'll Be Damned
  4. 4. Don't You Ever Stop
  5. 5. Enough?
  6. 6. Youth Decay
  7. 7. My Blood On Your Hands
  8. 8. Love Burns
  9. 9. River Of Sorrows

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