laut.de-Kritik
Dimebags perfektes Album ist wahre Metal Machine Music.
Review von Josef Gasteiger1991 kehrten Pantera nach der "Cowboys From Hell"-Tour mit dem in sich gestärkten Sound des gleichnamigen Majordebüts, zahlreichen Hangover-Riffs und einigem Selbstvertrauen in ihr Studio in Pantego, Texas zurück. Für ihr kommendes, sechstes Album waren sie hungrig auf mehr. Mehr Härte, mehr Power, mehr Geschwindigkeit. "Harder, Better, Faster, Stronger", um es mit Daft Punk zu sagen. Und wie!
Angefangen von den prügelnden, marschierenden Drums in "Mouth For War" bis zum frenetisch schraubenden Finale von "Hollow" sprengte "Vulgar Display Of Power" nicht nur die Kopfbedeckung französischer DJs, sondern die der gesamten Heavykultur. Als treue Thrash-Anhänger waren Pantera wie so mancher Fan von Metallicas "Black Album"-Veröffentlichung im Vorjahr vor den Kopf gestoßen und sahen es als ihre Pflicht an, ein brutales Stück Schwermetall auf eine Welt loszulassen, die gerade Heavy Metal aus den Medien verdrängte und Lederjacken gegen Holzfällerhemden eintauschte.
Immerhin bekamen sie zwei Monate nach Aufnahmebeginn die Einladung, mit Metallica und AC/DC in Moskau vor einer halben Million Menschen zu spielen. "Das war kein Publikum, das war ein verdammter Ozean von Menschen. Und wir waren eine Maschine", erinnert sich Sänger Phil Anselmo gegenüber dem Revolver-Magazin. "Wir flogen zurück und gingen mit mehr Schwung wieder ins Studio und die Musik blutete förmlich aus uns heraus."
Motiviert von dem Erlebnis entstanden Bände sprechende Lyrics wie "A new level of confidence and power", die verdeutlichen, in welche Richtung die Grenzen harter Musik verschoben werden sollten. Dafür hatten Pantera auch die besten Voraussetzungen. Drummer Vinnie Paul bearbeitet ein Schlagzeug mit Kesselgrößen wie Litfasssäulen in unheimlicher Geschwindigkeit und Präzision, Rex Brown folgte mit seinem Bass Dimebags Gitarre überall hin, völlig egal wie rhythmisch tricky der Gitarrist zu Werke ging.
Und dieser "Dimebag" Darrell Lance Abbott schüttelte am Fließband Riffs und Soli in bestechender Qualität aus seinen Ärmeln und führte Pantera in die Metalherzen weltweit. Genickbrecher, thrashige Tempoorgien, Stakkato-Gewehrsalven, ohrenexplodierende Schreddereien oder Leads zum Mitpfeifen – nichts was der KISS-Maniac mit dem Tattoo von Ace Frehley auf der Brust nicht konnte.
Besonders seine Leads frisierten jedem langhaarigen Metalzottel die Haarpracht derart neu, dass er meist nicht einmal einen Rhythmustrack auf der Gitarre unter seine Soli legte. Rex und Vinnie rocken in grimmiger Entschlossenheit weiter, während Dimebag allerhand interessante Töne aus seinem Sechsaiter der Marke Dean kitzelt.
Dafür feilte er auch gefühlte Ewigkeiten an seinem Gitarrensound, der dadurch aber mit einer alles einnehmenden Dichte und Power aus den Boxen quillt. Trockener als in der Wüste eingegrabene Kamelknochen schiebt sich das so simple wie geniale Riff von "Walk" genau ins zentrale Nervensystem, massiert den Brustkorb und drückt die Luft aus den aufgeregt schnaufenden Lungen.
Die wenige Luft, die nicht vom Gitarrensound verbraucht wird, absorbiert der höllentiefe Bass, der meist nur in Form von zementartiger Stabilität eines Riffs wahrgenommen werden kann. Und hinter all dem sitzt Vinnie Paul mit Kickdrums wie Nierenschläge, einer schädelspaltenden Snare und Dampfwalzenmentalität.
Frontschwein Anselmo besann sich des Bösen und ließ seine Falsetto-Vocals im Schrank der Achtziger und löschte den Kitsch-Anflug einiger "Cowboy"-Tracks komplett aus. Stattdessen spuckt er Gift und Galle, schreit, brüllt und sägt an seinen mit Aggression aufgeladenen Stimmbändern. Der eröffnende Schrei nach "Revenge!" kotzt in "Mouth For War" langgehegte Rachewünsche über das schleppende Versriff aus und führt in Anselmos Schimpftirade über alles Schlechte ein.
Man erfährt viel über den damals kahl rasierten Sänger, dem als junger Mensch zu viel Unrecht angetan wurde und der endlich seine Stimme (und Fäuste) erhebt. Der Tod als ständig präsenter Faktor und ausgebliebene Liebe in der Kindheit machten aus Anselmo einen ziemlich zornigen Zeitgenossen mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn. Nicht nur einmal prangerte er Rassismus und Gewalt an, was durch das instrumentale Schwergewicht im Rücken nur verstärkt wurde.
Seinen Vocaltracks nahm Produzent Terry Date wie der gesamten Produktion den übertriebenen und klischeehaften Hall und drückte die Performance so noch direkter ans Ohr. Auch nach knapp 20 Jahren ist Phils tollwütiges "1-2-3-4"-Fauchen am Beginn von "Fucking Hostile" ein überaus beklemmendes Erlebnis, das durch seinen hektischen, unglaublich angepissten Vortrag mit der Brutalität der Musik locker mithalten kann.
Gleichzeitig offenbart sich hier im Chorus für wenige Momente des Lichts selbst inmitten der kompromisslosesten Härte ein klarer Sinn für Hooks und Melodie, von dem sie sich nie lösten. Davon zeugt ebenso unverhohlen "This Love", das neben "Hollow" die einzigen cleanen Gesangseinlagen von Anselmo beinhaltet. Mit sechseinhalb Minuten das längste Lied des Albums findet man fast minütlich einen neuen Song im Song, weshalb es um einiges extremer in Sachen Dynamik zugeht wie bei der Vorzeigeballade "Cementary Gates" vom Vorgängeralbum.
Mit Rhythmus, Taktart und Geschwindigkeit spielen Pantera auf "Vulgar" viel ungenierter als zuvor. Dimebag schaffte es jedoch immer, genügend Riffs unterzubringen, um jeden Schwermetaller zufrieden zu stellen und sich dennoch nicht in endlose akustische Gewitter zu verirren. Selbst wenn blitzschnelle Thrash-Geschosse wie "Fucking Hostile" oder "Rise" das Durchschnittstempo ordentlich nach oben schrauben, etablierten Pantera ihre Kernkompetenzen im felsenzerbröselnden Midtempo.
Die mühelose wie spielerische Verschmelzung vom Hochgeschwindigkeitsgebalze ihrer Achtziger-Thrashheroen mit dem Grundverständnis, dass Rock'n'Roll nicht nur den Kopf, sondern ebenso die Beine bewegen soll, führte Heavy Metal in moderner Form in die Neunziger Jahre. Von Machine Head abwärts beeinflusste "Vulgar" alles was heute aggressive Musik macht.
Daran hatte natürlich auch die Sequenz der Tracklist ihren Anteil, die laut Vinnie Paul sogar Dimebag vor lauter Perfektion zu Tränen rührte. "Wir hörten uns die fertig gemasterte Scheibe an und Dime heulte die ganze Zeit. Er sagte nur: 'It's fucking perfekt!'"
Wie schon bei "Cowboys From Hell" zählten die ersten Songs des Albums schnell zu den Fan- und Livefavoriten. Doch es wäre ein Fehler, alles nach "This Love" abzuschreiben. "Rise" bietet mitunter die größten Tempowechsel auf und dreht mit höchstmöglicher Intensität die Riffs durch den Fleischwolf. Auf "No Good (Attack The Radical)" darf Anselmo die ganze Bandbreite seines Stimmumfangs ausloten, von tiefem Sprechgesang bis zu markerschütterndem Kreischen.
"Live In A Hole" schießt die Gitarre wie rücksichtslose Kanonenschüsse über den Drumbeat hinweg, um nachher in eine Sabbath-mäßige Schwere zu verfallen, die Dimebag diesmal mit seinen Flitzefingern in kleine, fachgerechte Häppchen schneidet. Zieht er seine Gitarrenlines nicht durch wuchtige Headbanger, so sind die abgehackten, mit besonderem Feel versehenen Stakkato-Riffs zum Beispiel in "Regular People" ein großartiges Beispiel für den Groovemetal, der wie die Faust auf dem Cover akustisch ordentlich austeilt.
In "Hollow" wiegen sich bluesige Gitarrenlicks im schunkelnden 6/8-Takt, während einen Anselmos starke melodische Gesangsleistung bis zur Drei-Minuten-Marke auf dem falschen Fuß erwischt, denn sie befreien erstmals aus der bedrückenden Beklemmung des Albums. Danach setzt aber der gewohnt scheppernde Riffsturm ein und biegt noch das letzte Metall, das sich noch nicht der alles in Grund und Boden stampfenden Pantera-Power ergeben hat.
Die Anfangszeiten der Band als spandexbehoste Glammetal-Rotzlöffel verkommen zu kruden Halloween-Scherzen, wenn man sich die Gehörgänge 52 Minuten lang von "Vulgar Display Of Power" durchfönen lässt. Schon zu Lebzeiten erfreute sich Dimebag Darrell als fixer Bestandteil der Bestenlisten sämtlicher Gitarrenmagazine, seit "Vulgar" ist er nicht mehr aus dem Heavy Metal-Olymp wegzudenken. Die Tragik, die sich rund um den Bandsplit und den grausamen Tod von Dimebag abspielte, wiegt umso schwerer, wenn man sich der einzigartigen Kraft dieses Albums wieder hingibt.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
38 Kommentare
Vom Sound her ziemlich gestrig aber immer noch ein wunderbares Brett, dat Teil dat.
Ich mag den klicknenden Sound der Platte sehr, die Songs sind, zusammen mit dem Album Far Beyond Driven, das beste, was die band veröffentlicht hatte. Cowboys From hell ist maßlos overhyped.
ich hätte FBD genommen, tut sich aber nicht so viel. von der bass drum merke ich leider nicht so viel wie der rezensent
Also die ersten drei Scheiben nach ihrer Hair-Phase sind allesamt auf Platten gebannte Großartigkeiten des Metals. Wobei man natürlich sagen muss, dass sie auf Vulgar einfach ihren Sound definiert, nein perfektioniert haben. Daher verdient in dieser Kategorie.
die Perfektion des Neo-Thrash ! Auf Ewig !
"Anselmo prangert Rassismus an" selten so gelacht