laut.de-Kritik
Auf zu neuen Ufern?
Review von Giuliano BenassiDie Vorweihnachtszeit 2020 verspricht viele neue interessante Veröffentlichungen. Weniger wegen den üblichen Compilations und Deluxe-Ausgaben als wegen einem coronabedingtem kreativen Schub bei vielen Musikern. Tourabsagen und Lockdown in manchen Ländern führte tatsächlich dazu, dass sich Jeff Tweedy, Nick Cave, Elvis Costello oder Adrianne Lenker an neuen, teils unüblichen Projekten versuchten, nur um ein paar zu nennen.
Andere verbrachten viel Zeit mit ihren Familien. Zu ihnen gehört der Schweizer Künstler Pascal Gamboni, der die verminderte Liveaktivität im Frühjahr und Sommer dazu nutzte, seine bisherige Solokarriere Revue passieren zu lassen und eine Best Of zusammenzustellen, für die er auch drei neue Stücke aufnahm. Er habe immer ein Lied im Kopf, ob alt oder am Entstehen, erläutert Gamboni am Telefon. Bei neuen Liedern sei es wichtig, sie so schnell wie möglich festzuhalten. Seine Musik zeichnet sich durch diese Spontanität aus. Unzählige Takes und Overdubs hat Gamboni nicht nötig, auch wenn er sich gerne von befreundeten Musikern begleiten lässt.
Ausnahme ist das zweite Stück "Il Sulegl A Tuts", das 2015 bei Aufnahmen für den öffentlich-rechtlichen Sender der rätoromanischen Schweiz (RTR) entstand, an Madness erinnert und trotz seiner fröhlichen Grundstimmung überproduziert wirkt. Sonst enthält "Arva La Mar" Auszüge aus seinen bisherigen Alben und Projekten.
Grundlage bilden wie gewohnt Gambonis rhythmisch angeschlagene Akustikgitarre mit gelegentlichen elektrischen Einlagen, Perkussionen, treibenden Bassläufen und seine leicht angekratzte Stimme. Eine Mischung aus Folk, Pop und Indie, die schnell ihren Weg ins Gehör findet. Er habe sich bewusst für die eher schnelle Stücke entschieden. Die nicht chronologische Anordnung führt dazu, dass seine Musik umso mehr wie aus einem Guss klingt ("It's all one song" würde Neil Young dazu sagen).
Dass Gamboni hauptsächlich die Sprache seines Heimatort Sedrun im Herzen der Schweiz, das Rätoromanische, einsetzt, habe sich im Laufe der Zeit so ergeben. Doch ist die Stimme ein weiteres Instrument, unabhängig von den Worten. So webt er immer wieder Passagen auf Italienisch und Englisch ein.
Den abschließenden Track, der so etwas wie "Öffne Das Meer" bedeutet, ist einer der neuen (der Opener "Uela Te" sowie "Nova Forza" sind die anderen) und soll einen Blick auf die Zukunft werfen. Alles kommt vom Meer und alles fließt ins Meer, so Gamboni, der zwar zwischen hohen Gipfeln aufgewachsen ist, aber schon als Kind gerne am Strand war.
Beides, die Berge und das Meer, stellen in einem gewissen Sinn Grenzen dar, seien aber auch Elemente, die eine starke Anziehungskraft besitzen. Mit Schlagzeug (Eveline Rütschlin) und Kontrabass (Rees Coray) sowie Gitarre und Keyboard (Gamboni) klingt es stärker ausgearbeitet als die meisten anderen Stücke dieser Compilation. Auf zu neuen musikalischen Ufern, also?
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