laut.de-Biographie
Patrice
Zum Glück strahlen an den Stränden des musikalischen Ozeans helle Leuchttürme, die der Entwicklung der Pop-Musik den Weg weisen. Einer davon heißt Patrice. Er erfindet mit seiner Mischung aus Reggae, Soul, Hip Hop, Blues, R'n'B und Blue Funk eine völlig eigenständige Musik, für die, außer eventuell Gentleman, keine vergleichbaren Künstler zur Verfügung stehen. Seine Leidenschaft für den Reggae schimmert dabei durch alle Ritzen seines Schaffens.
Gaston Patrice Bart-Williams kommt am 9. Juli 1979 in Köln zur Welt und lebt lange Zeit in Hamburg. Sein Vater, ein Schriftsteller, stammt aus Sierra Leone. Die afrikanischen Wurzeln schlagen sich im dritten Namen nieder, den Patrice erhält: 'Babatunde' bedeutet soviel wie 'Wiedergeburt des Vaters'. Patrice erblickte das Licht der Welt an dem Tag, an dem sein Großvater starb.
Für den ersten Kontakt zum Reggae sorgt seine Schwester: "Sie hatte ein Tape, auf der einen Seite war die 'Rocky Horror Picture Show' und auf der anderen Bob Marley, 'Burnin' oder 'Catch A Fire', so genau weiß ich das nicht mehr. Die habe ich rauf und runter gehört und mir immer mehr gekauft. So fing das an."
Mitte der 90er sammelt Patrice erste künstlerische Meriten bei der Kölner Afrobeat-Formation Bantu, kein schlechter Einstand. Dort lernt er Don Abi kennen, der ihm nicht nur den entscheidenden Kontakt zu dem Hamburger Produzenten Matthias Arfmann vermittelt, sondern auch an seinem Solo-Debüt als Produzent und Sänger mitwirkt.
Die EP "Lions" erscheint 1998 und beschert Patrice Achtungserfolge in Deutschland und Euphorie in Frankreich. Mit seinem ersten, von Arfmann produzierten Longplayer "Ancient Spirit" musiziert er sich im Jahr 2000 den Weg frei in die Headliner-Riege internationaler Festivals.
Seine eigenständige Musik, gepaart mit intelligenten Texten und einer Singstimme mit Wiedererkennungswert führen ihn über Frankreich und Amerika zum legendären Dakar 24-Festival im Senegal. "Es war eine meiner eindrucksvollsten Erfahrungen", berichtet Patrice über seinen Auftritt, bei dem er als Anheizer unter anderem für Bim Sherman fungiert. Einen guten Ruf erspielt er sich darüber hinaus als Support-Act für Manu Chao und Lauryn Hill.
Mit "How Do You Call It?" etabliert sich Patrice in der Popmusiklandschaft als kreativer Songschreiber, der sich solo mit Gitarre und Stimme ebenso wohlfühlt, wie mit seiner Live-Band Shashamani.
2005 folgt mit "Nile" ein ausgereiftes Werk, das vor Ideenreichtum und innovativer Schaffenskraft nur so strotzt. "Ich habe auf 'How Do You Call It?' mit meinem Idealismus gebrochen und mich gefragt, was es bringt, wenn ich mich mit dem Zeigefinger hinstelle und irgendwas predige", Interview. "'Nile' führt mich wieder zurück zum Idealismus, einem erwachsenen Idealismus, der sozusagen nach dem Verlust des naiven Idealismus entstanden ist."
Anfang 2006 gründet Patrice Bart-Williams sein eigenes Label Supow Music. Ende Oktober 2006 erscheint "Raw And Uncut", eine Live-CD/DVD, die Patrice' beste Shows aus Frankreich festhält. Dazu liefert das Werk, dessen Produktion über zwei Jahre in Anspruch nahm, viel Behind-the-Scenes-Material, Interviews, die Vorstellung aller Bandmitglieder von Shashamani sowie eine Reise zum Geburtsort des Vaters, nach Sierra Leone.
Patrice selbst sieht in "Raw & Uncut" das Ende einer Ära. Das Ende seiner Karriere hat er deswegen noch lange nicht erreicht, im Gegenteil. Für seinen nächsten Longplayer holt er sich mit Commissioner Gordon einen Partner ins Boot, der seine Entwicklung noch voran treibt. Im Vorfeld bereits für Künstler von den Marleys über KRS-One bis hin zu Joss Stone, Alicia Keys und Amy Winehouse tätig (einen seiner Grammys kassierte er für "The Miseducation Of Lauryn Hill"), erkennt dieser das Potenzial einer Zusammenarbeit:
"Er ist ein großartiger Songwriter und wir kommen sehr gut miteinander aus. Das ist das Wichtigste. Wenn Musik entstehen soll, muss das richtige Feeling zwischen den Menschen da sein. Bevor man über Erfolgsalben spricht, ist die Verbindung der Menschen, die Musik machen wollen, wichtig. Erst wenn sie sich aufeinander einlassen und miteinander verbinden, kann gute Musik entstehen. Patrice und ich haben uns verbunden."
Das Resultat "Free-Patri-Ation" erscheint im Frühjahr 2008. Schon die Vorab-Single "Clouds" lässt erkennen, dass sich Patrice wieder stark seinen Ursprüngen annähert. Ein Kreis hat sich geschlossen, die im Titel angedeutete Heimkehr hat stattgefunden. Für Patrice bedeutet dies jedoch nur die Basis für einen erneuten Aufbruch: Tour- und Festival-Daten sind bereits bestätigt. Im Sommer 2008 spielt er im Rahmenprogramm der Rede, die Barack Obama in Berlin hält.
2010 veröffentlicht Patrice das nächste Album, "One". Längst kümmert er sich aber nicht mehr nur um seine eigene Musik. Er ist darüber hinaus als Songschreiber und Produzent für andere Künstler (darunter etwa Cody Chesnutt und Selah Sue) tätig und versucht sich als Filmemacher.
Mit "The Rising Of The Son" legt er 2013 wieder einen eigenen Longplayer vor, der besonders den Fans seines Debüts "Ancient Spirit" gefallen sollte, gerät er doch wieder entschieden Reggae-lastiger. 2016 erscheint mit "Life's Blood" ein Album, auf dem sich Patrice deutlich gereifter und entschlossener zeigt. Produziert von den Picard Brothers und Diplo, gerät es zeitgemäß, ohne zeitgemäß sein zu wollen. Genau das macht es zeitlos.
Einige Jahre lang gibt es nur auf Tour und auf Social Media weitere Lebenszeichen von Patrice. Ganze dreieinhalb Jahre lang erscheint kein weiterer Ton, nicht einmal ein Feature, bis Patrice auf einer Single mit den Jugglerz wieder auftaucht, die klar deren Handschrift trägt. Für den Sommer 2020 zeichnet sich vage ein neuer Longplayer ab.
Als sich das Jahr allerdings seinem Ende entgegenneigt und allüberall Weihnachtsstimmung aufkommt, zeigt sich: Selbige muss auch Patrice gepackt haben: Kurz vor dem Fest der Liebe veröffentlicht er mit "Rocksteady Christmas" ein kleines Festtagspäckchen. Beim Schnüren geholfen haben echte Legenden:
Aus dem Umfeld von Sir Coxsone Dodds legendärem Label Studio One rekrutiert er Lloyd Parks am Bass, Keyboard-King Robbie Lyn, Desi Jones, auf dessen Konto das Standardwerk "The Art of Reggae Drumming" geht, und Gitarrist Dwight Pinkney, der auch schon mit den Wailers tourte. Am Mikrofon geht es kaum weniger illuster zu: Judy Mowatt aus den Reihen der I-Threes, die Bob Marley den Rücken freihielten, Nadine Sutherland, die erste Frau, die dieser bei seinem Label Tuff Gong unter Vertrag nahm, die Tamlins, Half Pint, obendrein Comedian Teddy Teclebrhan - und gemeinsam spielen sie Weihnachtslieder.
Wieder einmal zeigt sich da: Patrice will sich und seiner Musik keine Grenzen setzen, im Gegenteil. Grenzen sind für ihn etwas Paradoxes, auch im realen Leben - sich auf sie zu berufen, noch mehr: "Nationalismus ist scheiße", sagt er im Interview. "Man kann und darf stolz sein auf eigene Leistungen, ja, aber nicht darauf, irgendwo geboren zu sein."
Keine Grenzen kennt jedoch auch die Pandemie, die über Monate hinweg das öffentliche Leben weltweit lahmlegt. "Diese Zeit ist aus meiner Erinnerung nahezu verschwunden", erzählt Patrice, als er im Sommer 2022 endlich für einen Auftritt beim Summer Jam auf die Bühne zurückkehren kann. Er habe sich nach Jamaika zurückgezogen, berichtet er über die verlorenen Monate, die so verloren dann doch wieder nicht waren: Viele, viele Songs habe er während dieser Zeit aufgenommen.
Zeit für eine Rückschau? Vielleicht: Im Oktober 2022 veröffentlicht Patrice, bescheiden "Super Album" betitelt, eine Werkschau: "Ein Best-Of ist etwas, das man am Ende seiner Karriere macht, wenn einem die Ideen ausgehen", erklärt er dazu allerdings, "aber so weit bin ich noch nicht." Patrice singt seine Favoriten allesamt neu ein.
Im Jahr darauf scheint die Zeit dann tatsächlich wieder reif für ganz frisches Material: Auf seinem neunten Studioalbum, dem er sinnig den Titel "9" verpasst, stellt er der Welt neun brandneue Tunes vor. Das Album, das sich zugleich wie eine Reise und wie Nach-Hause-Kommen anfühlt, unterstreicht noch einmal Patrice' Selbstverständnis: Er versteht sich als Weltenbürger, als Kosmopolit, der zwar stets unterwegs ist, dabei jedoch allzeit bereit, irgendwo anzukommen.
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