laut.de-Kritik

Eine Album-Meditation: Songwriting im Auftrag des Herrn.

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Eines Nachts im Januar 2019 hatte Paul Simon im Traum eine Vision: Eine Stimme habe ihm gesagt, dass sein nächstes Album "Seven Psalms" heißen solle. Ohne Zögern machte sich Simon ans Werk und zauberte sieben Lieder auf Papier. Nicht nur der Albumtitel, auch zahlreiche Textzeilen sollen ihm im Traum eingegeben worden sein. Zwar spielt der Amerikaner keine Harfe wie König David, aber seiner Gitarre entlockt er dennoch so manchen "Secret Chord", wie ihn schon Leonard Cohen besang. Das knapp 30-minütige Konzeptalbum, das auf Streaming-Portalen nur als ein kompletter Track zu hören ist, gleicht einer Meditation. Die Songs klingen wie ein persönliches Gebet und geben Einblick in die tiefsinnigen Gedanken eines der interessantesten Songwriter unserer Zeit.

"Seven Psalms" ist Balsam für die geschundene Seele des modernen Menschen. Viele Dinge verändern sich im rasanten Tempo: Kriege, eine Pandemie und eilends fortschreitende Technologien gehören dazu. Simon singt dagegen von der Sehnsucht nach den Dingen, die Bestand haben: "The endless river flows". Eine dieser Konstanten heißt "The Lord", den Paul Simon im gleichnamigen Opener mit poetischen Metaphern schildert. Mal ist er Simons persönlicher Soundingenieur, mal eine offene Tür für Fremde oder eine Mahlzeit für die Ärmsten der Armen.

Doch in Simons mystischer Theologie hat Gott auch düstere, unverständliche Charaktereigenschaften: "The Covid virus is the Lord / The Lord is the ocean rising." Diese widersprüchlichen Zeilen scheinen Simons Vertrauensverhältnis zu seinem Lord jedoch nicht zu erschüttern. Pauls Gitarre singt dabei ihr eigenes Lied und ist viel mehr als nur Begleitung des Gesangs: Sänger und Gitarre stehen im Dialog und ergänzen einander.

Im anschließenden "Love Is Like A Braid“ klingt die Gitarre reduzierter. Der Song ist etwas schlichter, aber nicht weniger wortgewandt. Der 81-jährige Paul fühlt sich wieder wie ein Kind: "Home, home. Sun on my doorstep shocks me to find / I'm a child again еntwined in your love, in your light, in your cool summer shadе." Auch in "Trail Of Volcanoes" denkt Simon an seine Jugend zurück: "When I was young, I carried my guitar down to the crossroads and over the seas". Begleitet von klappernd metallischen Percussions, sphärischen Soundscapes und lamentierender Gitarre blickt er kritisch auf das, was seitdem passiert ist.

Im bluesig-vergnügten "In My Professional Opinion" gibt sich Simon als Fachmann, der sich das Leben im Allgemeinen anschaut und die Lage einschätzt: "So what in the world are we whispering for? / Everyone's naked, there's nothing to hide". Mit leichtherziger, etwas herumblödelnder Art (in einer Strophe zanken sich zwei Kühe) hebt sich der Track von den anderen Titeln des Albums ab. Dem humorvollen Intermezzo folgt eine plötzliche Heimsuchung: Ernsthafte Streicher, geheimnisvolle Glocken und Simons ausdrucksvolle Akustikgitarre lassen den Herrn bedrohlich und zugleich faszinierend wirken.

Nahtlos geht der Song in das nachdenkliche "Your Forgiveness" über. Wenn Paul Simon von dem Wunsch singt, sich in den "himmlischen Fluten" zu reinigen, klingt das Fingerpicking seiner Gitarre wie ein sprudelnder Bach. Blasinstrumente begleiten den Sänger sanft, verschwinden jedoch ebenso schnell, wie sie gekommen sind. "I have my reasons to doubt", singt Simon und scheint wieder einmal kein sonderlich großes Problem mit dieser kognitiven Dissonanz zu haben.

Simons Ehefrau Edie Brickell stimmt in den abschließenden Songs "The Sacred Harp" und "Wait" mit ein. Zwischen den beiden Tracks erklingt eine erneute Reprise von "The Lord", dieses Mal mit Akkordeon-Begleitung und hämmernden Geräuschen. Dumpfe Glocken leiten zum finalen Song über, der seinerseits mit andächtigem Geläute und einem harmonischen "Amen" schließt.

Die fromme Seite Paul Simons kommt überraschend, waren seine Songs - im Gegenzug zu zahlreichen anderen prominenten Songwritern der Seventies - doch stets von einer skeptischen Zurückhaltung (wenn auch gewisser Neugierde) gegenüber Religion geprägt. Einzig Simons "American Tune", eine Adaption des Bach-Chorals "O Haupt Voll Blut Und Wunden" schien einen eindeutig christlichen Bezug zu haben. Dabei stammt Simon eigentlich aus einem jüdischen Elternhaus. Doch obwohl "Seven Psalms" eine unverkennbar spirituelle Färbung hat, sind die sieben Lieder von ebenso starkem Zweifel geprägt. Simon bekennt sich zu keiner bestimmten Konfession. "Seven Psalms" ist ein Album, das eher Fragen stellt, als das es Antworten gibt.

Trackliste

  1. 1. The Lord
  2. 2. Love Is Like a Braid
  3. 3. My Professional Opinion
  4. 4. Your Forgiveness
  5. 5. Trail of Volcanoes
  6. 6. The Sacred Harp
  7. 7. Wait

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