laut.de-Kritik
Gefräßige Hure Chartspop: Da rettet selbst die Bloc-Party-Gitarre nichts.
Review von Anne Nußbaum"Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch ...". Wer kennt sie nicht, die nett gemeinte Hilfestellung. Im diesem Falle lautet der altkluge Tipp: Fans von Pin Me Down sind offenbar auch Fans von Two Door Cinema Clubs Debüt "Tourist History". Das verwundert kaum. Entpuppen sich Gitarrist Russell Lissack und Singer/Songwriterin Milena Mépris auf ihrem selbstbetitelten Debüt doch als Reiter der Indie-Electronica-Welle.
Die erste Singleauskopplung "Cryptic" gab auf der fünften Ausgabe der Kitsuné Maison Compilation bereits wenig Anlass zu Euphorie. Zugegeben: Einfach ist es nicht, neben Late Of The Pier, AutoKratz, Digitalism, Cazals, Rex The Dog oder den Friendly Fires zu glänzen.
Jetzt wollen Russell und Milena auf Albumlänge beweisen, dass sie, herausgetreten aus dem Schatten der Kitsuné-Größen, fähig sind, auf eigenen Beinen die Indietronic-Welle zu surfen. Leider geht das in die Hose: Das Duo verpasst den richtigen Moment und zerschellt an der Klippe.
Dabei schraubt das Namedropping die Erwartungshaltung ordentlich hoch: Russell zeigte in den Reihen seiner Heimband Bloc Party, dass er sich musikalisch hinter Lichtfigur Kele Okereke kaum zu verstecken braucht. Doch auf dem selbstbetitelten Debüt geht sein Können unter der penetrant in den Vordergrund drängenden Näselstimme und dem faden Songwriting seiner Partnerin unter.
Und dabei erweist sich "Cryptic" noch als besserer Track der Platte. Schrammelig schöne Gitarre, dicker Bass und einprägsamer Chorus rollen den roten Teppich zum Dancefloor aus.
Doch das wars dann erst mal mit der Indieclub-Tanztauglichkeit: Auf "Treasure Hunter" umschmeichelt Milena mit Miley-Cyrus-Stimme die Mainstream-Belanglosigkeit, um sich der gefräßigen Hure Chartspop auf Songs wie "Time Crisis" und "Meet The Selkirks" völlig hemmungslos an den Hals zu werfen.
"Ticking" kommt dagegen vergleichsweise einfallsreich daher: Zu netten Gitarrenpickings geben Russell und Milena ein Indiepop-Stelldichein. Auch der düstere Synthie auf "Oh My Goddess" klingt zunächst vielversprechend, bis Milena mit ihrer auf Plattenlänge nervig nöligen Stimme dazwischenfunkt: Erneut drängt sie das Stück von der New-Wave-Straße in den Mainstream-Graben ab.
Auch auf "Boy Who Cried Wolf" jagen einen einfallslose Gitarrenlines und gewöhnliche Drumpatterns von der Tanzfläche. Auf "Curious" fischt Milena eine entstellte Chimäre aus Kim Wilde und Samantha Fox aus den Untiefen der 80er-Mottenkiste.
"Everything Is Sacred" beginnt mit Handclaps, Breakbeats und zackigem Rhythmus regelrecht interessant. Wohlwollend mag man gar die Ambition eines Kele heraushören. Doch im Refrain geht die Nummer erneut in poppigem Standardgehüpfe unter, das schreckschraubige Retortenrockerinnen wie Avril Lavigne oder Kelly Clarkson auch locker auf die Beine gestellt hätten.
Die Tirade endet auf dem balladesk schnulzigen Outro, das zu allem Überfluss auch noch "Fight Song" heißt. Spätestens hier gesellt sich Milena zu einer unrühmlichen Kaffeeklatschrunde mit ihren Kolleginnen aus der Chartsfraktion.
Auf Dauer ringen uns Pin Me Down nicht mehr als ein Schulterzucken ab. Beat und Tempo bleiben überwiegend gleichförmig, Experimente scheut die Band. Die Platte rudert glattgebügelt und uniform zwischen 80er-Synthie und fröhlichen Gitarren umher und verliert immer wieder das Brett unter den Füßen. Interessante Ansätze verwässern in Beliebigkeit, die weder Indiekatzen noch Synthpop-Kater hinterm Ofen hervorlockt.
Zu oft erinnert der Sound an den Mix aus einer schlechteren Version von Metric und einem billigen Abklatsch der Yeah Yeah Yeahs. Da hilft auch die Bloc Party-Gitarre nicht viel. Sogar The Sounds haben derlei auf "Dying To Say This To You" schon besser hingekriegt. Und das sollte einem, gut vier Jahre nach Erscheinen der Platte, zu denken geben.
Noch keine Kommentare