laut.de-Kritik

Das Live-Album von 1988 erstrahlt in neuem Glanz.

Review von

Der Rubel muss rollen, also lasst das Schwein nochmal fliegen. Hoch hinaus. Dorthin, wo die Luft knapp wird. An den Ort, von dem David Gilmour seine entrückten Gitarrensoli pflückt.

Als das Live-Album "Delicate Sound Of Thunder" 1988 erschien, waren Maxis ein großes Ding. Keine Single kam ohne den großen Bruder, ohne "Extended Mix", "12" Club Mix" oder den "Shep Pettibone Mastermix" aus. Kein Wunder also, dass der Remix des Albums nun also 32 Jahre nach Veröffentlichung wie eine Single aus der "The Later Years 1987 – 2019"-Box ausgekoppelt wird. Wer selbige bereits besitzt, kann sich diese Nummer hier sparen.

Den Sound mischten Pink Floyd-Tontechniker Andy Jackson, Gilmour und Damon Iddins neu von den Originalbändern ab. Neun damals nicht enthaltene Songs kommen hinzu, was die Spiellänge um weitere 36 Minuten streckt. Fünf von diesen stammen von dem damals erschienenen Comback-Longplayer "A Momentary Lapse Of Reason", der somit nun komplett erhalten ist. Wenn man Fans fragen würde, welches Pink Floyd-Album sie gerne komplett live hören würden, käme dieses allerdings wohl nur bei den Wenigsten in die Top 5.

Wie auch das 1994 veröffentlichte "The Division Bell" hängt "A Momentary Lapse Of Reason" hinter den Großtaten der 1960er und 1970er hinterher. Im Grunde boten Pink Floyd nun nur noch Variationen des Sounds, den die Fans von ihnen erwarteten, ohne dessen Tiefe zu erlangen. Der Sound von "The Dark Side Of The Moon" und "Wish You Were Here", mit dem man die Band bis heute verbindet.

Ab 1987 erfanden sich Pink Floyd nicht mehr mit jedem neuen Album neu, entwickelten sich nicht mehr weiter. Aus der innovativen Band von einst wurden Bedienstete der Nostalgie, immer mit einem Blick auf ihre Vergangenheit ausgestattet. Don't fuck with the formula. Ein Oldies-Act, eine Alte-Herren-Band mit neuen Stücken. Eine klinisch saubere Version ihrer selbst. Dies aber stets auf hohem Niveau und live auf die neusten Techniken zurück greifend. Dabei kamen sie im Gegensatz zu anderen Stars der 1960er und 1970er noch relativ unbeschadet durch das Dickicht der 1980er. Schmu wie "Tonight", "Hot Space" oder "Landing On Water" blieb ihnen erspart.

Nach sieben Jahren Liveabstinenz ging es endlich zurück auf die Bühne. Befreit von Roger Waters, internem Bandkrieg und den mühsamen Auseinandersetzungen um den Bandnamen zeigen sich Gilmour und Schlagzeuger Nick Mason voller Spielfreude und Leichtigkeit. Der 1979 ausgestiegene Keyboarder Richard Wright war auf wieder an Bord, jedoch zuerst nur als Gastmusiker. Gilmour stand nun mit seinem Gitarrenspiel und seiner samtigen Stimme ganz im Mittelpunkt. Seine Schwächen im Songwriting versuchte er mit diversen Co-Autoren zu kaschieren. Die noch übrigen Löcher füllte man kurzerhand mit Bombast.

Traditionell startet das Programm mit dem atmosphärischen Evergreen "Shine On You Crazy Diamond Parts 1-5", hier in einer etwas gestutzten aber nicht weniger beeindruckenden Version. Alleine dieses Stück erklärt bereits deutlich, warum "Delicate Sound Of Thunder" zu der Ehre kam, als erstes Rock-Album im Weltraum abgespielt zu werden und warum man es noch heute auf Halb-U-Boot-Touren in Primošten hört. Bereits die ersten Klänge ziehen in das so vertraut kuschelige Pink Floyd-Universum. Gelingt Gilmour sein versunkenes Gitarrenspiel auf den Punkt, strauchelt er beim Gesang jedoch in den hohen Tönen. Während "You were caught in the crossfire / Of childhood and stardom verfällt er immer wieder in ein hohes Quietschen.

Danach steht die erste Hälfte ganz im Zeichen von "A Momentary Lapse Of Reason". Auf der Habenseite stehen klar Pink Floyds "Über den Wolken"-Version "Learning To Fly" und das kraftvolle und nun mit einem ungekürzten Gitarrensolo ausgestattete "Sorrow". "Terminal Frost" und der Schunkler "On The Turning Away" verlieren sich hingegen im übelsten Schmalz.

Mit dem druckvollen "One Of These Days" beginnt die zweite Hälfte eindrucksvoll. Man beachte Gilmours kleinen Doctor Who-Hint ab Minute 2:42. Von nun an reihen die Briten einen Hit an den nächsten. Im Gegensatz zu dem sieben Jahre später erschienenen "Pulse" bleiben dabei zumindest kleine Überraschungen wie etwa Barretts "Astronomy Domine" oder "Hey You" aus.

Egal wie satt man sich auch an manch einem der Tracks über die Jahrzehnte gehört haben mag, überdimensional große Songmonster wie "Time", "Wish You Were Here" oder das über alle Zweifel erhabene "Comfortably Numb" verdeutlichen noch einmal, wie sehr ihnen "A Momentary Lapse Of Reason" hinterher hinkt. Im Großen und Ganzen bleiben die Songs den Studio-Vorlagen treu, doch nicht alle kommen ohne ein aus heutiger Sicht eher wunderliches 1980er-Update aus. Am härtesten trifft es "Another Brick In The Wall Part 2", das man mit Plastik-Synthesizer, Slapbass und einem kurzem Effekt-Gewitter ausstattet. Zudem bleibt Gilmour hier weit von der stimmlichen Dringlichkeit des Ex-Kollegen Waters entfernt.

Der dazugehörige Film lohnt sich alleine schon wegen Scott Pages Mike Werner-Vokuhila, der Schulterpolster-Schwemme und den Visuals. Der neue Mix rückt die Instrumente in ganz neue Verhältnisse, verdeutlicht mehr als zuvor die Detailfülle. Dafür steht die oft zu kalte Snare im Vergleich zu vorher zu sehr im Vordergrund ("Learning To Fly"), geht etwas von der Wärme des Originals verloren. Insgesamt stellt der Remix von "Delicate Sound Of Thunder" ein gelungenes Zeitdokument mit kleinen Schwächen dar.

Trackliste

CD 1

  1. 1. Shine On You Crazy Diamond Parts 1-5
  2. 2. Signs Of Life
  3. 3. Learning To Fly
  4. 4. Yet Another Movie
  5. 5. Round And Around
  6. 6. A New Machine Part 1
  7. 7. Terminal Frost
  8. 8. A New Machine Part 2
  9. 9. Sorrow
  10. 10. The Dogs Of War
  11. 11. On The Turning Away

CD 2

  1. 1. One Of These Days
  2. 2. Time
  3. 3. On The Run
  4. 4. The Great Gig In The Sky
  5. 5. Wish You Were Here
  6. 6. Welcome To The Machine
  7. 7. Us And Them
  8. 8. Money
  9. 9. Another Brick In The Wall Part 2
  10. 10. Comfortably Numb
  11. 11. One Slip
  12. 12. Run Like Hell

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6 Kommentare mit 28 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    Einst meine Lieblingsband, halte ich es heute gemäss dem indianischen Sprichwort "Wenn dein Pferd tot ist, solltest Du es nicht mehr reiten".
    Nach The Wall, war der Pulver verschossen. Der einzige Lichtblick ist Nick Mason's Saucerful of Secrets, die leider wegen der aktuellen Covid Pandemie nicht mehr touren.

    Der Wanderer

  • Vor 3 Jahren

    Hammer Konzert. Man merkt, die neue Abmischung/Restaurierung hat es in sich und ist alles andere als hastig abgemischt.
    Generell finde ich, dass der Output der Band nach dem Abschied von Bruder Waters von Puristen zu vorschnell und unüberlegt madig gemacht wird. Gerade Division Bell war noch ein richtig solides Album.

    • Vor 3 Jahren

      Nach the Wall kam the Final Cut, für mich ein Solo Projekt von Waters. Die beiden nächste Alben waren für mich eher Solo Projekte von Gilmour. Sicher zwei gute Alben, aber nicht mehr PF. Das unsägliche The Endless River war dann nur noch eine Frechheit.

    • Vor 3 Jahren

      Solide trifft es gut. Mehr war es nicht. The Endless River war furchtbare Kirchentagsmusik. Grauenvoll.

    • Vor 3 Jahren

      Solide ist genug - für mich jedenfalls und um Längen besser als zb. Final Cut. The Endless River war im Grunde nur ein Division Bell DLC und Tribut an R. Wright. War wirklich nichts besonderes und man kann sich darüber aufregen - muss man aber nicht.
      Unterm Strich, es gibt viele Bands die den richtigen Moment zum Absprung verpasst und ihr künstlerisches Vermächtnis nachträglich beschmutzt hatten. Pink Floyd gehört nicht dazu.

    • Vor 3 Jahren

      Endless River war ein würdiger Abschluss, der dritten Schaffensphase. Und ein bemerkenswerter dazu, weil einiges aus der zweiten Phase Verwendung findet, "Wish You Were Here" - Fragmente.

      @Asturas dein erstes Post stimmt, das war damals gut und heute wird es nicht schlechter. Gut gealtert und die dazu veröffentlichten Songs runden es ab.

    • Vor 3 Jahren

      "Endless River war ein würdiger Abschluss"

      Lösch dich.

  • Vor 3 Jahren

    Ist Waters tatsächlich ein Antisemit oder ist er ein Kritiker der israelischen Besatzungspolitik?

  • Vor 3 Jahren

    Für mich das beste Livealbum der nach-Waters-Zeit. Die Abmischung ist sauber und detailliert. Aber gerade die fette Snare aus der damaligen Abmischung fand ich besonders, schade dass das nicht beibehalten wurde. Besonders herausstechend fand ich das bei Sorrow, Numb und Turning away- und es gefiel mir.
    Meinen Senf zu den Studioalben: die besten 4 in loser Reihenfolge sind für mich: Animals, Meddle, Wish you were here und Atom Heart Mother. Ich mag jede Phase von Pink Floyd, allerdings nicht alle Lieder aus den einzelnen Phasen. The Wall gefiel mir nicht besonders, Dark Side war OK, mehr für mich aber auch nicht. Time, Money -gute Texte, aber die Musik nervt irgendwann.

    • Vor 3 Jahren

      Mit der ersten Phase tu ich mir schwer, zu spät geboren wahrscheinlich. Mit den zwei folgenden Phasen, kann ich mit fast allem mich identifizieren, Teil meines Soundtracks Of Life.

      Genervt hat mich PF nie, mag daran liegen das man sich ein Album anhört und das anhören ein Happening ist, einfach ausgedrückt ein Einzelerlebniss. Danach ist erstmal sowas wie "verarbeiten" angesagt.

      Ganz im Gegensatz zu den Charterfolgen, die man in den Zeiten der Erfolge, fast tot genudelt hat, im Radio/Fernsehen, etc.

  • Vor 3 Jahren

    "Division Bell" hängt nirgendwo hinterher, das Album ist in den Floyd Top 5!

  • Vor 3 Jahren

    Es ist Vorweihnachtszeit, da wird wieder Kommerz gemacht mit altem Kram. Damit auch gleich mal den Trommelwirbel für Rammsteins Herzleid-Neuauflage. Wird alles nicht gekauft!

    Ungehört 0/5