laut.de-Kritik
Fast zu schön, um wahr zu sein.
Review von Alexander CordasDas Jahr 2012 neigt sich unweigerlich seinem Ende entgegen. Gedanklich befinden sich schon viele unterm Weihnachtsbaum, im Urlaub, im lukullischen Koma oder sonstwo. Eigentlich eignet sich diese tote Jahreszeit denkbar schlecht, um ein neues Album zu veröffentlichen. Gegen Spekulatius und Glühwein zieht ein musikalisches Werk meist den Kürzeren. Einen einzigen Vorteil hat es aber doch, genau jetzt eine Platte ins Rennen zu schicken: Während die Megaseller warten, bis der letzte Weihnachts-Pups entfleucht ist und alle Geschenke umgetauscht sind, buhlt man quasi als Einzelkämpfer um die Gunst des Publikums.
Eine, die sich hierbei ganz famos abstrampelt und unsere ungeteilte Aufmerksamkeit verdient, heißt Poppy Ackroyd. Ehedem mit dem Hidden Orchestra auf verschrobenen Pfaden unterwegs, wirft sie nun ihr Solo-Debüt "Escapement" auf den Markt. Das hat es in sich.
Stilistisch orientiert sich Poppy am Minimalismus eines Philip Glass oder Ludovico Einaudi, ohne dass man sie unbedingt in einen Topf mit diesen beiden werfen müsste. Gemeinsam mit ihnen ist ihr die tiefe emotionale Ebene, auf der sie ihre Hörer anspricht. Melodien, die mitten ins Herz treffen, machen aus ihren Kompositionen etwas sehr Anrührendes und Magisches.
Das Unterscheidungsmerkmal zu den oben genannten Musikern ist ihr ganzheitlicher Ansatz. Sie begreift Klavier und Geige als Musikinstrumente, die nicht nur konventionell gespielt werden wollen. Sie erweitert deshalb die Art der Klangerzeugung und entlockt den Instrumenten unter Einsatz von allerlei Hilfsmitteln die wundersamsten Töne und Rhythmen.
Es gibt genau zwei Kritikpunkte, die sich die zauberhafte Poppy gefallen lassen muss. Zum einen das penetrante Rauschen im Klang, zum anderen die viel zu kurze Spielzeit von gerade einmal etwas mehr als einer halben Stunde.
Poppy Ackroyd verwöhnt uns mit dahin geworfenen Piano-Tupfern, zu denen sich allerlei Gezupfe und perkussive Elemente gesellen. Worauf da genau geklöppelt und woran gezogen wird, muss man nicht wirklich wissen. Auf jeden Fall ergibt das ein sehr anschmiegsames und softes Beat-Gerüst, das den luftigen Tönen von Geige und Klavier Raum zum Atmen lässt.
Vereinzelt integriert sie Naturaufnahmen in ihr Konzept. Die passen ebenfalls hervorragend ins Konzept, das doppeldeutig daher kommt. Die melancholische Grundstimmung ist nicht tieftraurig und depressiv, sondern eher in Erwartung des Sonnenscheins, der gleich durch den Nebel bricht. Die Klaviermelodie von "Lyre" fasst dies alles in Gänze zusammen. Das musikalische Kleinod, das hier das Licht der Welt erblickt, ist fast zu schön, um wahr zu sein.
Das Artwork des Albums durchkreuzt den Klang der Songs etwas. Zwar korrespondiert der Titel "Escapement" mit Mechanismen des Klavierspielens, aber der intuitive Zugang zur Musik ist ein eher natürlicher und harmoniert so gar nicht mit der dargestellten Maschine von Künstlerin Rosie Walters. Die Dame hätte auch passendere Bilder im Programm.
Aber wer möchte bei derlei wunderbarer Musik am Cover mäkeln ... Am Ende der guten halben Stunde wünscht man sich nämlich ganz automatisch wieder an den Anfang zurück.
3 Kommentare
Deine vierteljährlichen Superlativrezensionen in Ehren, aber 'seven' klingt wie Fahrstuhlmusik. Easy Listening der ganz schmalzigen Sorte...
ich weiß, dass dir dieser sound nicht reinläuft. das hast du auch schon oft genug erzählt. so what? aber moment. warte, ich zwinge dich jetzt, diese musik zu hören. du wirst mich noch kennen lernen!
Ich find's schön.