laut.de-Kritik
Das Prinzip Prinz Pi: Vollzeitschlau und teilzeitwütend.
Review von Max Brandl"It's still bigger than Hip Hop." Ein treffenderes, wohl für alle Ewigkeiten in den Rap-Stein gemeißeltes Sample hätten Prinz Pi und Biztram wortwörtlich nicht als Einstieg in diesen Tonträger wählen können: "It", also die Platte, ist "still", also wie bisher, "bigger", sprich umfangreicher als das, was man gemeinhin unter Hip Hop versteht. In Spiegelschrift wird's noch klarer: Der landläufige Hip Hop-Film ist schlichtweg zu kleinformatig, um das hier vernünftig einzufangen.
Aber gut, derlei hört man immer wieder: "Passt in keine Schublade", "überwindet Genregrenzen" und dergleichen mehr. "Kritikerpillepalle", nennen das die Kritikerkritiker. Belassen wir es für diejenigen, die Prinz Pi eben erst kennenlernen, bei folgendem Überblicks-Untertitel: "Neopunk" ist seiner Geburtsnische längst entwachsene, dem Gehirn eines vollzeitintelligenten und teilzeitwütenden Berliners entsprungene, neue deutsche Musik. Zum Einstieg in die unendlich wirkenden Weiten des Pi-Backkatalogs ist die Scheibe allerdings nur bedingt geeignet.
Dem Prinzen-Œuvre nahestehende Fans, die sich ihre Meinung sowieso selbst bilden, gegen eine weitere jedoch nichts einzuwenden haben, biete ich Folgendes an: Mit "Neopunk" schlägt der alte Hase einen Haken, den man angesichts seines anhaltenden Dauerfeuer-Outputs erstmal wegstecken muss.
Dass seine Releases die Amygdala nicht ab Sekunde eins in Partyalarm versetzen, ist seit "Keine Liebe" bekannt – ein echter Pi braucht seine Zeit. Aber mit dem bombastischen Donnerwetter, das er uns zuletzt präsentierte, kann Neopunk - zumindest auf Anhieb - nicht mithalten.
Das beginnt schon vor dem Hören: Gemessen am Vorgänger, der noch mit einem ultraaufwändigen, formvollendeten und mit den Songs korrelierendem Artwork daherkam, wirkt die monochromatisch grelle Neonaufmachung der Scheibe zwar neuartig, allerdings auch schwer abgespeckt. Die magere Bebilderung und nicht abgedruckten Lyrics im schwachbrüstigen Achtseiter verstärken diesen Eindruck noch.
Das ist neo, ja. Übertrieben punkig aber auch. Insofern wieder stringent, könnte man dagegenhalten. Angesichts des eben abgeschlossenen Majordeals aber auch verwunderlich, könnte man dagegenhalten. Da! Er polarisiert schon vor dem ersten Track! Glanzparade.
Während der ersten Höreinheiten macht sich Ambivalenz breit: Etwa die Hälfte der Tracks frisst die Livebrühe mit der Suppenkeule. Die Frage ist, wie viel Salz eine musikalische Weiterentwicklung verträgt.
Betrachtet man "Gib Dem Affen Zucker" als kalorienarmen Vorgeschmack und das ebenfalls vorab veröffentlichte "Schädelficken" als deftigen Appetizer, serviert er einem mit "Schlag Die Faust" und "Mein Blut" nun die Maggiwürfel quasi direkt ins Maul. Das schmeckt nicht jedem. Diese noisigen 5000-Volt-Magenhaken, kredenzt im Dialog mit fetten Brazz-Gitarren, muss man erst mal verdauen. Kulinarisch gesprochen: Echte Sodbrenner.
Die ausgewachsene Gastritis vereiteln dann allerdings Geniestreiche wie das relaxt klimpernde "2030", das orientalische "Schläferstündchen" und das großartige "Aschenbecher", das gar das Interesse des redaktionsinternen Jazz-Aficionados auf sich zog. In Zeiten schablonenhafter "Lean Back"-Redundanz gibt sich der Prinz betont laid back.
Hier perfektionieren der Rapper und sein Produzent das Prinzip Prinz Pi: Ganz im Stil der Schweizer Uhrmacherkunst fusionieren Aussage, Flow und Beats zu mehr als der Summe der Teile. Da sind sie, die Tracks, die "vom Style her auch auf Donnerwetter drauf sein könnten" und die Biztram dem Prinzen in Form beatgesäumter Instrumental-Roben auf den Leib maßschneidert.
Ob die Namenswahl Zufall oder Absicht war, weiß ich nicht, aber was auf "Donnerwetter" mit "Der Rand" begonnen wurde, findet in der bassbefeuerten Drill-Instruktion "Spring!" seine inoffizielle Fortsetzung. Die Vermutung liegt nun nahe, dass sich "Bevor Ich Aufschlage" thematisch da einreiht.
Tut es aber ganz und gar nicht: Was einem hier wiederum herzklopfend entgegenhallt, klingt, als hätte ein ausgedienter Autobahnraser mit Wohnsitz in einer Tropfsteinhöhle zum Zweck der Selbstreflexion eine Standspur vertont. Das ist kein Conscious Rap mehr, das ist Subconscious Rap. Hip Hop-Hypnose.
Dem Elektrohype werden beide wiederum ausdrücklich in Stücken wie "Nerdhymne" und "Spür Die Wut" gerecht. Während ersteres eine der schwächsten Nummern des Albums abgibt – zu holprig, zu nölend, zu C64 – ist letzteres ein peitschend treibender Synthiebanger: Hand von der Maus und Faust in die Luft!
Faust wieder runter und ran an den Joypad!, lautet indes die indirekte Botschaft von "Affen An Die Macht", dessen eigentliche Message aufgrund grandiosen Ohrwurmcharakters samt Mario-Kart-Reminiszenz fast ein bisschen untergeht. "Let'se gooo!"
Neopunk ist auf schwarzes Polycarbonat gepresstes Zirkeltraining: Auf die Knie fallen, in die Luft springen, hie und da eine Augenbraue kritisch hochziehen, pogen, bis einer heult und dann von vorne. Die inhaltliche Genetik der Songs bleibt dabei grundsätzlich unangetastet: Story, Sozialkritik und Party, die nur so klingt als ob. Beat-Chirurg Biztram mischt indes mithilfe des Defibrillators den DNA-Pool kreativ, manchmal etwas exzentrisch, aber immer stark elektrisch auf.
So gesehen ein Quantensprung: Was beim Erstkontakt nach einem Lichtjahre messenden Paradigmenwechsel im Pi'schen Universum klingt, stellt sich nach einigen Platten-Umrundungen doch eher als minimaler, aber schwer beschreibbarer Zustandswechsel auf hohem Niveau heraus. Anders gesagt: Niemand außer den per se-Hatern hatte von Prinz Pi Unbrauchbares erwartet. Viele dürften an der partiellen Neuartigkeit des Materials allerdings eine Weile zu beißen haben.
Neueinsteigern sei an dieser Stelle ein zeitlich früherer Zugang in die Prinzen-Matrix empfohlen. Die Fans dagegen stellt "Neopunk" vor die Wahl – genau wie Cyberpunk Morpheus seiner Zeit Neo: "Die rote oder die blaue Pille?"
73 Kommentare
Ich nehm die grüne Pille.
Besser als Donnerwetter ist das Teil nicht, aber auch nicht viel schlechter. Textlich find ichs teilweise etwas schwächer, beattechnisch zwar total anders aber ebenbürtig. Die Review geht also von der Punktvergabe her in Ordnung, teilweise werden aber die Satz-Volumina und die Fremdwortdichte etwas zu euphorisch überstrapaziert, was die Rezession etwas künstlich in die allerdings zur Albentitelanzahl passende Länge expandiert.
@[Ninja]Killer (« Ich nehm die grüne Pille.
Besser als Donnerwetter ist das Teil nicht, aber auch nicht viel schlechter. Textlich find ichs teilweise etwas schwächer, beattechnisch zwar total anders aber ebenbürtig. Die Review geht also von der Punktvergabe her in Ordnung, teilweise werden aber die Satz-Volumina und die Fremdwortdichte etwas zu euphorisch überstrapaziert, was die Rezession etwas künstlich in die allerdings zur Albentitelanzahl passende Länge expandiert. »):
Zuviel Wirtschaftsnachrichten konsumiert?
wenigstens weiss mal ein reviewer, was ein quantensprung ist.
fand das album ziemlich lahm beim ersten durchhören, geb ihm aber natürlich eine zweite chance.
@Texas CrieZ (« @Toriyamafan («
Schade dass der kommerzielle durchbruch ausbleibt, ,aber es ist nun mal nicht an die masse gerichtet. obwohl es eigentlich sein erfolreichstes Album ist(Platz 50!). »):
Naja, bei manchen hat Erfolg nur einen Effekt: Sie machen irgendeinen abgedroschenen Dreck (s. Sido). Auch wenn ich Pi nicht zutrauen würde, dass er jemals durch den Erfolg so verweichlichen würde, möchte ich es auch gar nicht wissen.
Das Album ist gut, die Beats sind erstklassig und wie das oft mit solch guten Alben ist: An den meisten gehen sie leider völlig vorbei.
Mal abgesehen von dem schon beim ersten Hörgang unerträglichen "Aschenbecher", dem mäßigen "Schläferstündchen", dem langweiligen "Bevor ich aufschlage" und dem wirklich enttäuschenden "Wir werden nie erwachsen" ist Neopunk nur voll mit erstklassigen und abwechslungsreichen Tracks. »):
Aschenbecher fand ich am Anfang auch scheiße, aber eigentlich ist das ziemlich geil. Genau wie "Schläferstündchen". Und "Bevor ich Aufschlage" ist eigentlich auch ganz cool, wenn auch etwas anders (aber das war Pi ja schon immer). "Wir werden nie erwachsen" find ich persönlich auch mega. Was ich nicht so mag ist "Mein Blut" (die Bina ist mir unsympatisch ), "Ein Bizchen Mehr" (langweilig...) und "Sieben Sünden" (total schrecklich).
ja man ich finde das album sooooo fett,
ihr müsst eich mal den itunes song geben "neue drogen" man das nenn ich musik^^
8 Bit Untergrund ist das beste was Pi bis jetzt hervorgebracht hat. Und der katalog ist lang...und gut