laut.de-Kritik

Für Gary Numan zu guttural, für Depeche Mode zu wenig catchy.

Review von

Puscifer ist das nebensächlichere Nebenprojekt von Maynard James Keenan, dem Sänger von Tool. Die Existenz dieser Band ist irgendwie ein Witz an sich – und das nicht wegen des komischen Namens, sondern weil Keenan eine legendär faule Sau ist, wenn es darum geht, seine Hauptband und sein Hauptnebenprojekt voranzubringen. Hinzu kommen diverse andere Projekte (wie sein sauteurer, nicht so leckerer Pseudo-Öko-Wein), und schon könnte Puscifer wie die unnötigste Band der Welt erscheinen. Aber da uns James in den letzten Jahren mit Output ja geradezu verwöhnt, scheint ein neues Puscifer-Werk nur konsequent.

Wir haben aber alle nicht genug Zeit, um uns lange mit der Story um diese Scheibe aufzuhalten: Billy D (ein Charakter, den Keenan in einer Sketchshow von Bob Odenkirk in den 90ern spielte, und den er für Puscifer schon des Öfteren aufwärmte) ist in der Wüste verschwunden, blabla, Aliens, Agenten, blabla. Wie gewohnt scheißt Keenan auf alles, findet sich dieses Narrativ in den Songs doch nur mit größtem Willen wieder. Wobei man im üblichen Keenan-Kalender-Sammelsurium aus gewollt nebulösen und gar nicht mal so tiefsinnigen Sprüchlein sowieso finden kann, was immer man will.

Der nur halb durchgezogene Ansatz führt dazu, dass Puscifer auch auf "Existential Reckoning" zu keinem Zeitpunkt lustig sind. Man kann Videos von bolivarischen Straßenkämpfen auf reddit finden, die ulkiger sind als das halbarschige Video zu "Apocalyptical". "Existential Reckoning" ist für Puscifer musikalisch dennoch ein Schritt weiter Richtung Seriosität. Der kohärente Psych-Alt-Synth ist deutlich weniger verspielt als der Vorgänger, und das setzt sich seit dem Erstling so fort: Mittlerweile kommt der Sound bierernst. Das Klangbild geht irgendwo in Richtung Seether ohne Ausbrüche, und ist strukturell songorientiert. Der Unterschied zu A Perfect Circle gerät immer verwaschener, je weniger proggy diese wurden.

"Existential Reckoning" wirkt wie ein Atmodouble zum ebenfalls sehr in sich gewandeten "Fear Inoculum". Mathematisch-mechanische Härte wird durch die größere emotionale Bandbreite der Stimme bzw. Produktion der bereits bekannten Keenan-Kneche Mat Mitchell und Carina Round ersetzt, aber die Grundidee bleibt dieselbe. Keenan nutzt seine Medien, um eine bestimmte Stimmung zu vermitteln, sehr viel mehr als er zurzeit daran interessiert ist, Hörstücke an den Mann zu bringen oder Melodien zu kreieren. Und das schafft er, muss man klar bilanzieren. Aber es lässt "Existential Reckoning" auch ein Stück weit zum imaginären OST eines leicht depressiven 90er-College-Films verkommen.

Außerhalb des Kontextes der Platte gibt es folglich nicht den geringsten Grund "UPGrade" oder "Theorem" zu hören, auch wenn diese, wie erwähnt, durchaus abgeschlossene Einheiten darstellen. Aber diese Songs lösen keinen Tanz, kein Nicken, kein Explodieren, kein gar nichts aus. Sie sind ausschließlich atmosphärisch sinnvolle Teile dieses Albums. Bei anderen Songs funktioniert das besser, "Bullet Train To Love" und "Personal Prometheus" wären alleine auf sich gestellt, nicht komplett verloren.

Generell leiden vernünftige Songs wie "Fake Affront" und "A Singularity" an der enormen Vorhersehbarkeit: langer Aufbau, Mid-Tempo, leichtes Aufgehen zum Schluss, meist durch Rounds Stimme. Abgesehen von der guten Grundidee gibt es zu wenig, dass die Songs abhebt: Wie "The Underwhelming" sind sie nicht guttural genug für Gary Numan und nicht catchy genug für Depeche Mode - gefangen in einer der Zwischenstufen, in denen Keenan sich seit Jahren so wohl fühlt. Manche nennen es Fegefeuer.

Trackliste

  1. 1. Bread And Circus
  2. 2. Apocalyptical
  3. 3. The Underwhelming
  4. 4. Grey Area 5.1
  5. 5. Theorem
  6. 6. UPGrade
  7. 7. Bullet Train To Iowa
  8. 8. Personal Prometheus
  9. 9. A Singularity
  10. 10. Postulous
  11. 11. Fake Affront
  12. 12. Bedlamite

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9 Kommentare mit 5 Antworten

  • Vor 4 Jahren

    Wow, Rezension liest sich ein bisschen so, als hätte MJK den Rezensenten persönlich in den Arsch gebissen. Dass er der Hauptschuldige für die trantütigen Tool-Releasezyklen sein soll, scheint mir auch schlicht falsch zu sein, da er ja sowieso am Ende der Songwritingkette steht.

    Album selber habe ich noch nicht gehört, die Vorabsingles haben mich aber alles andere als vom Hocker gerissen. Sicherlich ganz nett, aber als jemand, der bisher mit Puscifer überdurchschnittlich viel anfangen konnte, nimmt mich das bisher noch nicht so mit. Mal schauen, was das restliche Album so hergibt.

    • Vor 4 Jahren

      Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.

    • Vor 4 Jahren

      Verstehe auch nicht, wo die Abneigung gegenüber MJK herkommt. Wenn schon Schmach in der Besprechung ist, will ich sie wenigstens halbwegs verstehen können. So wirkt sie einfach völlig deplatziert, und läßt den Rest des Textes etwas doofer aussehen.

  • Vor 4 Jahren

    Da der Rezensent dem Projekt Puscifer offenbar ohnehin nichts abgewinnen kann, addiere ich vorsorglich schon mal einen Punkt. Die letzten Platten haben Spaß gemacht, dieses hier wirds vermutlich auch.

  • Vor 4 Jahren

    Album eins, fand ich witzig. Album zwei runder und dadurch mit längerer Halbwertszeit. Album drei gefiel mir nach ein paar Durchläufen richtig gut.
    Rezensent hat wohl ein generelles Problem mit MJK zu haben. Legitim, polarisiert eben.
    Ich höre jedenfalls rein. Allein schon wegen Carina Round, die das Projekt seit Beitritt merklich besser gemacht hat.

  • Vor 4 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.

  • Vor 4 Jahren

    Ich kann die Abneigung zum gewissen Teil verstehen, für mich persönlich ist es eines der besten Alben dieses Jahres. Und ich würde mich jetzt nicht als MJK Fanboy bezeichnen. WAa das Album definitiv schafft, ist wirklich rund zu sein. Es ist wie aus einem Guß und die Produktion ist hervorragend.

    Was ist also mit den Songs selbst? Ich stehe eigentlich total auf sehr melodiöse und eingängige Sachen, dass ist auf dem Album meiner Meinung nun nicht der Fall, aber wenn man sich mal reinhört und es als Komplettwerk betrachtet, dann ist es einfach irgendwie was Besonderes. Und die Tatsache, dass ich es nicht richtig in Worten ausdrücken kann, macht für mich das Album nur magischer.

    Außerdem passt es total gut in diese Jahreszeit. Wenn ihr die Möglichkeit habt, hört euch das Album in der Natur bei einem Spaziergang an, wenn es langsam dunkel wird.

    Aber ich kann total verstehen, warum es Leute spaltet. Die Rezension an sich finde ich aber auch etwas zu gewollt dagegen.

    Ich gebe der Platte 5/5

    • Vor 4 Jahren

      Kleiner Zusatz, was mich fasziniert, ist wie es Maynard und Carina es schaffen, solche Gesangsmelodien von der Musik abzuleiten. Das ist für mich ganz großes Kino.

  • Vor 3 Jahren

    das album hier vs dem synthie album von dem dillinger escape plan dude?