Porträt

laut.de-Biographie

Richie Spice

"Mit Geduld und Spucke fängt man eine Mucke." Richie Spice würde diese schöne deutsche Redewendung vermutlich gefallen, beschreibt sie doch ziemlich genau seinen Werdegang. Zehn Jahre unermüdliche Arbeit investiert der Mann aus St. Andrews in die Karriere, bevor die Öffentlichkeit das Feuer bemerkt, das in seinen Worten lodert.

Richie Spice - Black Man Time
Richie Spice Black Man Time
TikTok und Instagram von früh bis spät: Wo soll das nur hinführen?
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Dabei stehen die Sterne günstig: In eine musikalischere Familie kann ein junger Conscious-Sänger kaum hineingeboren werden. Richell Bonner erblickt am 8. September 1971 in einem Vorort Kingstons das Licht der Welt. Sein älterer Bruder Pliers kam bereits gemeinsam mit Chaka Demus und "Murder She Wrote" zu höchsten Ehren. Spanner Banner, ein weiterer Bruder, verzeichnet Mitte der 90er mit "Life Goes On" einen mächtigen Hit.

Banner ist es auch, der Richie erstmals mit ins Studio schleppt. "Damals habe ich versucht, etwas aufzunehmen. Aber ich war nie wirklich fertig und bereit, also wurde nichts daraus", erinnert er sich später und verbucht das Ganze dennoch als unglaublich lehrreiche Erfahrung, die sich noch dazu auszahlen soll. Richie bekommt eine Ahnung vom Musikgeschäft und knüpft erste Kontakte.

Die Kooperation mit Clive Hunt, einem Veteranen im Reggae-Business, sorgt jedenfalls für den ersten Treffer. Hunt produziert für Richie zunächst die funk-geschwängerte Single "Living Ain't Easy" und trägt auch für die Lovers Rock-Nummer "Groovin My Girl" die Verantwortung, die Richie Spice zum Durchbruch verhilft: Beide Tunes finden sich auf dem bei Heartbeat Records erschienenen Album "Universal".

Ehe dieses 2000 auf den Markt kommt, hat Richie Spice bereits eine mehrjährige Karriere hinter sich. Seit 1994 nimmt er Songs auf und erarbeitet sich nebenbei einen Ruf als erstklassiger Live-Performer. 1996 und '97 tourt er ausgiebig durch Nordamerika und Europa und eröffnet Shows für Chaka Demus & Pliers, Spanner Banner und Rita Marley. Auch in seiner Heimat Jamaika gilt er als beliebter Support-Act.

"Universal" präsentiert eine ordentliche Bandbreite aus Richie Spices bisherigem Schaffen. Neben klassischen Roots-Tunes (von denen einer später besonders Furore machen soll) finden sich auch Dancehall-Tracks. Verschiedene Produzenten sorgen ebenso für Abwechslung, wie eine umfangreiche Gästeliste, die von Richies Brüdern Spanner Banner und Snatcher Dog angeführt wird. Zudem greifen Jah Mason und Shaggy zum Mikrofon. Pliers fungiert als Executive Producer.

Mit seinem Debüt erntet Richie Spice zwar internationale Aufmerksamkeit und tritt mittlerweile auf den großen Reggae-Festivals auf. Trotzdem muss er erkennen, dass sich ohne Unterstützung eines Labels im Rücken nur schwer ein Fuß auf das hart umkämpfte Reggae- und Dancehallparkett bekommen lässt.

Richie Spice führt in diesen Tagen einen einsamen Kampf. "Die Songs waren da", blickt er zurück. "Doch sie bekamen keine Promo. Wenn ich 'rausging und sie sang, war das ein Gefühl wie ich gegen den Rest der Welt." Daran ändert auch im Sommer 2001 eine weitere Tour durch die USA wenig.

So kann es nicht weitergehen. Chuck Fenda, zu diesem Zeitpunkt Künstler Nummer 1 bei den Kingstoner 5th Element Records, stellt den Kontakt zwischen Richie Spice und Devon Wheatley, dem Geschäftsführer seines Labels, her. Wheatley zeigt sich schwer beeindruckt von Talent, Botschaft und nicht zuletzt Disziplin des jungen Sängers. "Wir machen positive, authentische Live-Reggae-Musik auf den Spuren Bob Marleys." Richie Spice passt da bestens ins Programm. Anfang 2004 unterschreibt er bei 5th Element.

Ein guter Schachzug. Dort nimmt man sich zunächst einmal der bereits auf "Universal" publizierten Nummer "Earth A Red Run" an. Ordentlich vermarktet, schafft es der Protestsong im Radio wie in den Dancehalls in die Dauerrotation. Auf die Probleme der jamaikanischen Jugend richtet Spice stets ein waches Auge. Man müsse von den Dingen erzählen, die man tagtäglich sieht, dürfe jedoch nie die Hoffnung verlieren, so seine feste Überzeugung. "Upliftment" lautet das Zauberwort. "Ich versuche, die Generation von morgen aufzurichten und ihr für ihren täglichen Kampf Kraft zu geben", zitiert ihn muzikmedia.com.

Ein nachgeschobenes Video zu "Earth A Red Run" stößt auf noch mehr positive Resonanz. Ungeachtet der Tatsache, dass das Stück bereits fünf Jahre alt ist, klettert es erst in die jamaikanische, dann in internationale Hitparaden und entwickelt sich zu Richies erstem größtem Hit.

Es folgen "Folly Living (Blood Again)" (auf dem vom deutschen Pow Pow Movement produzierten Blaze-Riddim) und mit "Marijuana" eine wahre Hymne an das gottgegebene Kraut - sämtlich zu finden auf dem Album "Spice In Your Life", das im November 2004 fertig vorliegt. Eingängige Melodien und Hooklines transportieren, unterstützt von erstklassigen Studiomusikern, Richies Botschaften direkt ins Gehör.

2004: Insgesamt ein überaus erfolgreiches Jahr für Richie. Die New York Times erklärt "Spice In Your Life" zu einer der besten Reggae-Veröffentlichungen des Jahres. Die L. A. Times schreibt gar von einem der zehn besten Alben überhaupt in diesem Jahr. Der jamaikanische Observer schließlich setzt den Lobreden die Krone auf und kürt ihn sowohl zum Vokalisten als auch zum Künstler des Jahres.

Die internationale Fangemeinde wächst. Bei 5th Element packt man die sich bietende Chance für eine Zusammenarbeit mit VP Records beim Schopf. "Die Zeit ist reif für Conscious-Reggae, und Richie Spice steht an vorderster Front der Bewegung", befindet Devon Wheatley. "Wir glauben, von VP Records die nötige Unterstützung zu bekommen, um Richie auf das nächste Level zu heben."

Das Resultat liegt Anfang März 2007 auf dem Tisch. "In The Streets To Africa" legt Zeugnis von Richie Spices Ausdauer ab. Neben der Single "Youth Dem Cold", die bereits 2005 in den Hitlisten auftaucht, findet man in "Groovin My Girl" einen alten Bekannten. "Die Nummer hat nie die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdient hat", so ihr Urheber.

Richie Spice versteht seine Musik auch als "teaching": "Es ist meine Pflicht, das Talent, das Gott mir gab, als Instrument zu verwenden, um Leute glücklich zu machen. Alles dreht sich darum, die Liebe unter den Menschen, das Gute gegen das Böse, das Leben gegen den Tod zu bestärken." Getreu den ihn antreibenden Prinzipien des Rastafaritums streitet er gegen Ungerechtigkeit und für die Unterdrückten, setzt sich für die Jugend, für Solidarität und Bildung ein und legt gegenüber der Damenwelt (leider gar nicht selbstverständlich) ein überaus respektvolles Verhalten an den Tag.

Unaufhaltsam wandert Richie die Straßen nach Afrika entlang, denn "Motherland Africa" is calling. Unter diesem Titel steht, kaum ist "In The Streets ..." vollendet, bereits der nächste Longplayer an.

Im Mai 2008 legt Richie Spice noch einmal nach. "Gideon Boot" erscheint ebenfalls über VP Records und präsentiert einen beseelten Sänger, der seine Spiritualität dennoch nicht plakativ vor sich her trägt. Statt dessen setzt er auf den alten Grundsatz "Hilf dir selbst, dann hilft dir Jah", erteilt unaufdringlich Ratschläge für ein zufriedeneres Leben und setzt nach wie vor auf die Kraft positiven Denkens: "Only true love can save the world."

Nur fair, jetzt gleich mehrfach zuzuschlagen - lange genug hat es schließlich gedauert, bis sich Richie Spice seinen Platz im Reggae-Zirkus erarbeitet hat. "Wenn du positive Lieder singst, lässt der Erfolg eben etwas auf sich warten, die müssen ihre Wirkung erst entfalten", so seine Einschätzung. "Letztlich verschwinden sie aber auch nicht so schnell wieder. Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit werden überdauern."

Zwischenzeitlich dreht es sich weiter um Afrika, als der Reggae-Barde das "Motherland Africa" betont. Dieses Album erscheint nicht beim großen Label VP, und erschwerend kommt hinzu, dass es unter zwei Titeln kursiert, auch als "Africa Calling".

So oder so, VP lässt Spice nach der Peak-Position #1 in den US-Reggae-Charts nicht mehr fallen und schiebt 2011 mit "Book Of Job" das siebte Album nach, ein ausgefeiltes, reifes Werk mit Respekt für Frauen – hier zeigt sich, was Dancehall und Roots Reggae mindestens in den Formulierungen trennt.

Auf "Mother Of Creation" folgt im Tracklisting "Black Woman", danach "Serious Woman"; letzterer groovt im Ohrwurm-Risikogebiet. Fünf verschiedene exquisite Background-Ladies, die alle einen Hammer-Job verrichten, geben einander auf dem Album die Studiotür-Klinke in die Hand. "Book Of Job", der Slogan, bezieht sich aufs Alte Testament – Nneka macht später einen gleichnamigen Reggae-Song, ihren ersten.

Doch von Richies Religiösität will man in den USA mehr hören als in Europa. Es gibt noch den ein oder anderen großen Gig in Holland, Spanien und auch beim letzten so genannten "Chiemsee Reggae Summer" 2013, doch dann ist die Luft raus.

Der Sänger versucht sich im Dickicht diverser Best Of's und Remastered's an einem Akustik-Album aus dem renommierten Hause Tad's Records; denn da spielt VP nicht mehr mit. Obwohl die Platte den Melodienreichtum des Musikers unterstreicht und sich angenehm vom allgemeinen Raggamuffin-Sprechgesang abhebt, wirft der Szene-Hype um jüngere Acts den über 40 gewordenen Herrn Gewürz zurück. Aus den folgenden Jahren bleiben ein paar Duett-Songs wie "Leading Di Youths" mit dem Franzosen Yaniss Odua und "Gone Astray" mit Bushman haften. Beide bleiben seinem Lieblingsthema treu, wie man eine perspektivlose Jugend vor Kriminalität und Drug-Dealing bewahrt. Doch das Glück kommt dem Songwriter abhanden.

Das nur digital veröffentlichte "My Heart" steht den früheren Platten kompositorisch teils in nichts nach, im Gegenteil, doch es wirkt textlich wie ein hingerotztes Sammelsurium aus Klischees von "Jah", "Love", "Girl" und "System", und auch bei der Soundqualität kann man sich nur die Rasta-Zöpfe raufen. Werden die erträglich abgemischten Tracks an den Anfang platziert, kippt es ab "Get Up", Track 8, in scheppernden Tonmüll, bis Track 9 wie eine bizarre Realsatire klingt. Nach so viel Negativ-Werbung unterbietet ein flacher 08/15-Laptop-Riddim den nächsten.

Das passiert 2017, selbst die Fachwelt nimmt das Unglückswerk kaum wahr, und das könnte es für Spice gewesen sein. Doch während seine Namensvetterin, die Dancehall-Lady Spice bei VP nicht zum Zug kommt und Kritik am Label hervorruft, weil sie in elf Vertragsjahren kein Album veröffentlichen darf und aus dem Kontrakt nicht herauskommt, besinnt sich die Plattenfirma ihres früheren Goldesels Richie Spice. Für Ende 2019 kündigt sie ein Comeback an und unterstreicht das mit einer Vielzahl an Bookings in Europa. Tatsächlich hat diese Stimme dem Reggae ein knappes Jahrzehnt lang gefehlt.

Auch mit 48 frisch und dezidiert im Ausdruck, liefert Richie Spice mit "Together We Stand" Mitte 2020 wieder ein langes Album, das wohl beste und vielseitigste seiner Karriere. An den Reglern stand wie schon früher mal Clive Hunt, der sich mit Max Romeo und als eine Art 'Beat-Berater' von Chaka Khan und Grace Jones schon Meriten verdiente. Der Nachfolger "Black Man Time" knüpft an seinen Durchbruchs-Hit "Earth A Run Red" an und zeigt die Nummer in einer neuen Akustik-Fassung unter dem Titel "Tea Bread". Umgekehrt experimentiert das Album wie so manch andere Rasta-Produktion 2023 mit Bubble-Beats, die in diesem Falle auch gut gelingen und zu Richies Stimme passen.

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Richie Spice - Black Man Time: Album-Cover
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2023 Black Man Time

Kritik von Philipp Kause

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