laut.de-Kritik

Predigt mit der Punk-Bazooka.

Review von

"Wenn es einen Gott gibt, dann betet lieber, dass der schlafende Riese nicht erwacht!" Solch sarkastischem Rate zum Trotz könnten Rise Against mit ihrer aktuellen Punk-Bazooka "Endgame" jeden noch so trägen Giganten das grindige Hirn durchspülen.

Das in fast jeder Hinsicht superbe Endspiel - die mittlerweile dritte Zusammenarbeit in Folge mit Bill Stevenson, dem Rick Rubin des modernen US-Punkrocks - vollendet eine rasante künstlerische Entwicklung. Die so entstandenen Erfolgsalben "Sufferer" und "Appeal" mögen die Spielkunst von McIlraths Truppe geschliffen haben. Die neue Platte poliert alles Errungene zur erlesenen Apokalypse im schillernd bunten Chartbreaker-Gewand.

Der quirlige Sänger und fast alleinige Autor des Materials schnappt sich erneut das Szepter des Aufrüttlers und Anprangerers. Ganz im Geiste der Urahnen Bad Religion donnert der Prediger aus Artlington Heights der retardierten Menschheit die ganze Misere ihres kümmerlichen Seins um die Ohren. Vom Zerfall New Orleans' über aktuelle Kriege bis hin zur dauerhaften Umweltkrise spannt der 31-jährige 'Angry Citizen' seine textliche Weite.

Vielleicht ist diese Menschheit gar nicht bewahrenswert, am Ende gar nur ein gefräßiger Parasit im Antlitz des Planeten? Solch tabulose Gedankenspiele sind seit Big Black selten geworden in der puritanisch 'einzigen Nation unter Gott'. Danke dafür.

Die fast schon aufdringliche Eingängigkeit soll man dabei weder als anbiedernden Ausverkauf geschweige denn paradontöse Poppunk-Pestillenz missdeuten. Es wäre allzu leicht gewesen, ranzige Rotzknochen wie die ganz frühen Lieder der Band erneut aufzukochen.

Bloß die lahme Bekehrung der Bekehrten? Nicht mit diesem Quartett! Rise Against sind bedeutend smarter. Sie saugen lediglich der alten Scheiben Mark in Form von fluffigen Melodien, ebenso wuchtigen wie gleitenden Gitarrenläufen und gelegentlich fräsenden Hardcore-Eruptionen des manischen Frontmannes. "Right here, right here!"

Trotz der beeindruckend cleveren Hitdichte stechen einige Tracks hervor. "Make It Stop" lullt als perfekt inszenierte - scheinbar harmlose - Stadion-Praline samt pathetischem Kinderchor ein. Zum Schocker-Kontrast bringt der gute Tim darin den tragischen Irrsinn militärischer Schlachtopfer in Verbindung mit dem nicht minder tödlichen Krieg der Kids in den Straßen der US-Ganglands. Hoffnungslos?

"It's always darkest just before the dawn. So stay awake with me, let's prove them wrong." Zuversicht in Stein gehauen! Dank des amputierten Zeigefingers mit munter lächelndem Fatalismus gesegnet. Daneben stehen Kajal-Bubis wie Good Charlotte oder Bubblegum-Punx à la Blink 182 wie musikalisch einfältige Zinnsoldaten. Mit deren schnurrig gefönter Rock-KiTa haben die fantastisch streitbaren Illi-Noser zum Glück nicht das Geringste gemein.

"Satellite" erweist sich namensgetreu als echter Überflieger. An der Oberfläche perfekter Popsong, darunter subversiv lodernde Kampfansage an das finstere Establishment. "We stick to you game plans and party lines. But at night we're conspiring by candlelight. We are the orphans of the American dream. So shine your light on me." Zeit wird es anscheinend überall, wie man dieser Tage erlebt.

Der alte Black Flag/Descendents-Strippenzieher Stevenson sorgt perfekt für die richtige Balance zwischen Bad Religion-Flow und Rollins-Wumms.

Dennoch kein Fünfer an solch ein Opiat der Aufklärung für das Volk? Nein, der Wermutstropfen liegt einzig im Titelsong begründet. "Endgame" ist zwar grundsätzlich ein echter Abräumer. Im Chorus bedient man sich jedoch deutlich hörbar - gleichwohl ohne Erwähnung in den Credits - beim Refrain von Skid Rows "Youth Gone Wild". Das führt trotz Ohrenbalsams zum ärgerlich überflüssigen Abzug in der Gesamtnote.

Dennoch sind die zornig eleganten Rise Against derzeit in Amerika genau jene Band, die Green Day seit Jahren so verzweifelt sein wollen: Relevant!

Trackliste

  1. 1. Architects
  2. 2. Help Is On The Way
  3. 3. Make It Stop (September's Children)
  4. 4. Disparity By Design
  5. 5. Satellite
  6. 6. Midnight Hands
  7. 7. Survivor Guilt
  8. 8. Broken Mirrors
  9. 9. Wait For Me
  10. 10. A Gentlemen's Coup
  11. 11. This Is Letting Go
  12. 12. Endgame

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22 Kommentare

  • Vor 13 Jahren

    oh noch keine kommentare?

    also ich hab ne weile gebraucht um das album zu mögen. es wächst bei jedem mal hören, aber es ist mir ein wenig zu soft geworden, ähnlich wie AtR. Dennoch gute Scheibe, 4 Punkte gehen in Ordnung.

  • Vor 13 Jahren

    Bei "Make it stop" geht es nicht um Kindergangs, sondern um homosexuelle Jugendliche, die Selbstmord begehen!

  • Vor 13 Jahren

    Endlich ist es da.
    Ich glaub ich brauch noch ein bisschen.
    Aber "Help is on the way" find ich echt Hammer. Die Texte sind schon durchdacht und vor Allem durchaus politisiert und gerade deshalb aber für uns in Deutschland z.T. relativ irrelevant.
    Wenn wir zum Beispiel einen Text über den Hurrican Katrina oder die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko hören: Was dann? Sollen wir uns betroffen fühlen? Amerikas Machthaber anprangern? Gibt es denn Bessere in den verschiedenen Ländern der Welt??
    Naja am Ende bleibt die Musik. Und die find ich klasse.