laut.de-Kritik

Carpe Diem mit Hairspray und Spandex.

Review von

Fünf Punkte für eine Hardrock-/Melodic Rock-Platte, hat der Kollege einen Vogel? Gemach, gemach oder chambre, chambre wie der Franzose zu sagen pflegt.

Hardrock-Alben gibt es wie Sand am Meer. Aber nur wenige sind auch wirklich nachhaltig wie der Tritt am Strand auf eine Feuerqualle. Zu nennen sind "Retribution" von Dan Swanös Nightingale, "Sometimes The World Ain't Enough" von The Night Flight Orchestra, "Easter Is Cancelled" von The Darkness oder jüngst "Retransmission" von W.E.T..

Diese Riege an tollen Veröffentlichungen toppt Ronnie Atkins, weiterhin Frontmann der schwedischen Legende Pretty Maids. Glaubte der energetische Sänger, der auch Teil des Tourtrosses von Avantasia ist, den Krebs besiegt zu haben, brachte eine Folgeuntersuchung die Ernüchterung. Der Krebs war zurückgekehrt, metastasiert und praktisch unheilbar.

Von dieser niederschmetternden Diagnose erholte sich Atkins nur langsam. Chris Laney, Keyboarder der Pretty Maids, holte ihn mit seinem Enthusiasmus wieder zurück ins Leben und fungiert als musikalischer Direktor für Atkins Ideen. Atkins selbst sah sich lange außerstande, auch nur eine Note zu singen. Um so beeindruckender wirkt die Gesangsleistung, die der 56-Jährige hier abliefert. Es mag pathetisch klingen: Wirklich in jeder Note klingt die pure Freude an der Musik an. Klar geht das textlich nicht ohne Durchhalteparolen ("Picture Yourself") oder das Aufkommen leiser Zweifel ("When Dreams Are Not Enough").

Musikalisch erleben wir hier elf Freudenfeuer, die in dieser Ansammlung Zeugnis einer immensen Qualität abliefern. "Real" lädt ein zum Carpe Diem mit Spandex und Hairspray. Oliver Hartmann veredelt den Monster Refrain mit einem funkensprühenden Solo. "Scorpio" atmet den Geist von Rushs "Spirit Of The Radio" mit seinem zirkulären Synthie-Thema.

Der Unterschied zu den Maids liegt in der Härte. Gibt bei den Riffs besonders Ken Hammer den Ton an, legt Atkins bei seinem Solo-Output deutlich mehr Wert auf Melodie, ohne zu seicht zu werden. "Picture Yourself" ist ein Air Drumming-kompatibler Track, der mit tollen rhythmischen Figuren und Breaks punktet. "Before The Rise Of An Empire" gelingt kraftvoll, während Miles Away den Fuß von der Bremse nimmt.

Die Geschichte des Keyboard-Riffs ist eine voller Missverständnisse. Die alles überlagernden "The Final Countdown" (Europe) und "Jump" (Van Halen) dürfen nicht verdecken, dass es neben der Klingelton-kompatiblen Gestaltung auch hörenswerte Exponate gibt. Dazu zählt der Klassiker "Future World" mit dem Call And Response zwischen E-Gitarre und Spinett-Synth. Atkins weiß, was geht und was nicht, und so fallen die Tastenklänge in "Frequency Of Love" und "When Dreams Are Not Enough" nicht durchs Raster.

Im Titeltrack bespielt der Sänger die komplette emotionale Klaviatur. Die balladeske Anlage dient als Hintergrund, vor der die My Way-Message des Sängers voll Pomp und Pathos ausgebreitet wird. Ergänzung erfährt die kraftvolle Stimme durch eingestreute Backings von Bjørn Strid (Soilwork, The Night Flight Orchestra) oder Linnea Vikström Egg. Nach den letzten eher durchwachsenen Alben seiner Stammformation ("Undress Your Madness", "Kingmaker") kehrt Ronnie Atkins auf "One Shot" mit einem Knaller zurück.

Trackliste

  1. 1. Real
  2. 2. Scorpio
  3. 3. One Shot
  4. 4. Subjugated
  5. 5. Frequency Of Love
  6. 6. Before The Rise Of An Empire
  7. 7. Miles Away
  8. 8. Picture Yourself
  9. 9. I Prophesize
  10. 10. One By One
  11. 11. When Dreams Are Not Enough

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