laut.de-Kritik
Mit Marius im Arm melancholisch in den Herbst schwofen.
Review von Johannes JimenoDer Wind kühler, die Temperaturen niedriger, die Blätter bunter, die Tage kürzer: Der Herbst kündigt sich so langsam aber sicher an. An den warmen Spätsommertagen gibt die Sonne noch mal ihr Bestes, während man sich den ersten Pumpkin Spice Latte des Jahres einverleibt. Wer nun die melancholische Jahreszeit herbeisehnt und gleichzeitig tanzen möchte, der sollte die Umarmung von Roosevelt annehmen: "Embrace", sein mittlerweile viertes Album, bildet den perfekten Soundtrack für diese Übergangzeit.
Im Vergleich zum Genre-Mix von "Polydans", serviert uns Marius ein eher stringentes und kohärentes Klangbild, das sich hauptsächlich aus 80s-Anleihen, verspielter Dancemusik und feinen Gesangslinien speist. Das erinnert vor allem an sein Debüt, das noch etwas mehr die Nacht feiert, während "Embrace" einige helle Momente beherbergt und gut zur Dämmerung passt.
"Ordinary Love" mimt den breitbeinigen Auftakt mit eingängigem Refrain, hallenden Gitarren, sich überlagernden Tonfolgen und einer sirenenhafter Leadsynth. Das darauffolgende "Rising" vermengt nachdenklichen Deep House mit schüchternem Chiptune und einem klarem Beat. Das frühe Highlight "Luna" schließt sich an: Eine funkelnd-glitzernde Funk-Disco mit lässiger Bassline, das Erinnerungen an sein "Strangers" weckt. Es sind sogar fremde Sänger:innen zu hören - ein Novum beim Deutschen.
Ebenso wie bei "Montjuic" von "Polydans" erhält das reine Instrumentalstück den Namen einer Ortsangabe, hier "Yucca Mesa" getauft. Ein schimmernder Synthwave, tiefenentspannt und malerisch in der Ausführung mit leichten Dissonanzen und Field Recordings.
Es gleitet sanft hinein in "Paralyzed", das den Vibe auf die Tanzfläche projiziert. Roosevelt sagt selbst dazu: "Während einer Schreibsession in Barcelona war ich stark von der Disco der frühen 80er Jahre beeinflusst, vor allem von den Basslinien, und habe viel Sängerinnen wie Melba Moore oder Gwen Guthrie gehört. Diese Basslinien haben etwas Erhebendes und zugleich Trauriges an sich, was mich immer wieder anzieht. 'Paralyzed' entstand aus dem spontanen Spielen einer Basslinie, und als ich den Rest der Instrumentierung übereinanderlegte, versuchte ich, dem Stück dieses bittersüße Gefühl zu geben, das diese alten Disco-Tracks für mich haben". Ein Credo, das sich generell durch das Album zieht.
Die elektronische Ballade "Lake Shore" dient als Übergang zum hypnotischen "Realize", das sich zwar in seiner Struktur nie groß verändert, aber die stampfende Space-Disco hat uns fest im Griff. Über das gefällige und vergnügt plätschernde "Fall Right In", dem vielleicht einzigen schwächeren Song, zerrt uns Marius endgültig von der Afterwork-Dachterasse in den Club: "Forevermore" zelebriert seinen Trademark-Sound von zauberhaften Melodien sowie eleganten Übergängen, während Bass und Beat die Beine stimulieren.
Das House-affine "Alive", mit einer für seine Verhältnisse Überlänge von knapp sechs Minuten, entlässt uns verschwitzt und glücklich in die Nacht: Ein großes Synth-Feuerwerk aus Ambient, dichten Klangwänden und Arpeggios. Eine mühelose Fingerübung für Roosevelt, der wie immer alle Songs und Instrumente selbst eingespielt hat, und das auch noch während seiner Tour in verschiedenen Städten. Er ist und bleibt ein Paradebeispiel für sympathischen Elektro aus Deutschland, da muss er gar nicht so verschüchtert auf dem Cover posieren.
1 Kommentar
Bin mit "Polydans" nicht richtig warm geworden und mich nach den anschmiegenden Melodien der ersten beiden Alben gesehnt. Jetzt gibt es sie wieder, aber irgendwie unterscheiden sich die Harmonien zu wenig von den schon da gewesenen. Ist irgendwie ungerecht, aber ich habe das Gefühl auch einfach "Roosevelt" und "Young Romance" auflegen zu können und genauso melancholisch in den Herbst tanzen zu können. Als Vinylkäufer ist das bei der aktuellen Preissteigerung dann doch ein Grund zur Kaufzurückhaltung.