laut.de-Kritik
Johnny Cashs erhobener Mittelfinger ...
Review von Daniel StraubAllein der Titel von Roy Rivers' Debütalbum klingt wie ein mit letzter Energie vorgebrachtes Stossgebet gen Himmel: Danke Gott, dass ich ein Junge vom Land bin. In diesem kurzen Satz schwingen bereits alle Reizwörter mit, die eine gute, das heißt streng formatierte, Nashville-Country-Platte braucht: God (Glaube), Country (Patriotismus) und Boy (Unschuld). Mit diesen Zutaten kochen die Plattenbosse seit Jahren ihr musikalisches Fast-Food, dem Johnny Cash einst symbolträchtig den erhobenen Mittelfinger entgegen streckte.
Nun wollen wir den Stab nicht vorschnell über dem gutfrisierten Mann aus Arkansas brechen. Schließlich ist Roy Rivers nicht irgendwer, sondern wird trotz seines fortgeschrittenen Alters als Country-Newcomer in Szene gesetzt. Alles, was es für eine glaubwürdige Vita in diesem Business braucht, hat Rivers. Er kommt vom Land, aus den Südstaaten, ist verheiratet, hat vier Kinder und führt Gott und Vaterland gerne auf den Lippen. Eine Idealbesetzung.
Erschwerend kommen bei Rivers noch seine Vorliebe für John Denver und die zufällige (?) optische Nähe zu seinem Idol hinzu. Was läge da näher, ihn als neuen John Denver zu Markte zu tragen? Und genau das tut sein Album "Thank God I'm A Country Boy" über die volle Spielzeit. Die Hälfte der Songs ehrt das große Vorbild mit nicht gerade originellen Coverversionen, ein bisschen schunkeln mit dem Bierzelt-Hit "Take Me Home Country Roads" inklusive.
Zwischendurch versucht sich die Nachwuchshoffnung mit Songs wie "Oh Railroad" oder "What Our Love Is Not About" selbst in der Rolle des Texters und Komponisten, bleibt dabei aber erwartungsgemäß blass. Selbst das Duett an der Seite von Country-Ikone Dolly Parton lässt nur kurz etwas weltläufigen Glamour über den ansonsten so biederen Musiker gleiten.
Nach spätestens zwölf Songs ist dann auch jedem klar, warum erstens Schwiegermütter-Lieblinge nicht als Popstars taugen und zweitens Johnny Cash sich bereits vor Jahren dazu genötigt sah, dem Nashville-Einheitsbrei den Mittelfinger zu zeigen. Eine Geste, die dank Roy Rivers nicht an Aktualität verloren hat.
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