laut.de-Kritik
Ain't nobody better for funk jammin'
Review von Philipp KauseRufus aus Chicago, eine Band mit qualitativ hochwertigem Output, gab es bereits einige Jahre, als Gitarrist David Maiden in der nächtlichen Gastronomie eine überraschende Entdeckung macht: "Ich sah dieses kleine, zierliche Mädchen mit dieser großen Stimme. Es war atemberaubend." Chaka sang schon in Bars, seit sie 16 war. Eigentlich aus Armut ihrer Familie. Als Rufus-Frontfrau Chaka Khan entwickelte sie sich dann rasch zur 'Queen of Funk' – und die Gruppe sich zu einem der strahlenden Vertreter des Genres.
So einfluss- und kommerziell erfolgreich das Tandem Rufus/Chaka war und so sehr den Chicagoern Chakas Charisma vorauseilte – den künstlerischen Höhenrausch erlebten Rufus kaum im Studio, sondern vor allem live. Und ihren langlebigsten Hit landeten sie in dem Moment, als sie beschlossen sich zu trennen: "Ain't Nobody". Ein Lied mit einer wahnsinnig starken Aura bis hinein in unsere Ära. Ein Lied, das jedes Dancefloor-Setting umwandelt, das in jeder Bar die Stimmung im Raum herumreißt, das als Cover x Mal toll funktionierte. Und das in einer extrem kreativen Sample- und Remix-Geschichte aufging und somit 2022 still hot ist.
"Ain't Nobody" erscheint im August '83 als versteckter Bonus-Track des Live-Albums "Stompin' At The Savoy" und im November '83 als Single. Beide Tonträger schlagen in den USA wie eine Bombe ein. So "undefinierbar" wie Lalah Hathaway (Donnys Spross) die Personality Chaka mal treffend beschrieb, so ist auch das Geheimnis dieser Nummer bis heute schwer in Worte zu fassen. Mindestens fünf starke Komponenten liegen auf der Hand: Das Synth-Intro zählt zu den besten seiner Art, baut Spannung auf und geht vom ersten Takt an sofort in die Beine. Dabei wirkt es rhythmisch eher holprig, synkopisch komplex. Die Wärme des analogen Synthesizers bügelt diese Rawness zwar weich, doch das glibberig-space'ige Intro verstößt damals gegen alle Hörgewohnheiten.
Hinzu tritt die verzaubernde Stimme Chaka Khans. Sie vereint kirchliche Gospel-Tiefe, ungebremsten Spaß, feministische Souveränität, einen lustvollen, humorvollen Unterton, röhrende Resonanz, sportlichen Drive und anfeuernde Euphorie. Man könnte meinen, der Trend-Slogan 'Chakaaa!' von den Unternehmens-Coaches der 2000er sei nach dieser Künstlerin benannt. Eine dritte Dimension der Hit-Tauglichkeit fußt sicher darauf, dass "Ain't Nobody" der perfekt soulige Song für Leute ist, die eigentlich keine Soulmusik hören. Weil er sehr straight forward nach vorne stompt und kein einziges Klischee von Soul-, Funk- oder R'n'B-Musik reproduziert. Er ist sehr eigenständig jenseits vom Genre komponiert und aufgenommen. Eigentlich von allen Genres sehr frei. Es gibt nicht viele solcher "Ain't Nobody"s in der Musikgeschichte.
Den fröhlichen Aufbruch in Text und Musik kann man in der Zeit seines Entstehens sehr gut gebrauchen: Zwischen Angst vor nuklearer Aufrüstung, AIDS-Krise und beginnender Massenarbeitslosigkeit in vielen Industrieländern: "Now we're flyin' through the stars / I hope the night will last forever!". Euphorie pur. Derweil mag sich die Harmoniefolge zwischen Dur und Moll nicht so recht entscheiden und durchläuft zwischen beiderlei Akkordsorten so flinke Wechsel, dass das Lied auf einer melancholischen und auf einer happy-go-lucky-Ebene fühlbar ist.
Und schließlich ist der Song 1983 Release-technisch zwar ein 'Restprodukt'. Aber eines, für das man sich nochmal so richtig rein hängte. Ein vielseitiger Ritt durch die Spielarten von hypnotischem P-Funk bis zur Vocals-zentrierten Ballade. Bis auf dem Höhepunkt klar war: Die Frontfrau und die sie umgebende Band waren nicht mehr das ideale Gespann für die '80er. Chaka zog solo weiter, bereits erprobt in zahlreichen Solo-LPs. Im Rückblick kann man die Trennung auf dem Peak als Fehlentscheidung sehen, genauso gut aber verstehen.
Denn was Rufus mit Chaka live auf der Bühne hinlegten und hier in "Stompin' At The Savoy" einmalig und nach elf gemeinsamen Jahren einigermaßen spät dokumentierten, das war nicht weniger als die Essenz des ganzen Genres Funk. Das zählt mit zu dem Besten, was es zuvor gab und danach noch kam. Derweil stehen sämtliche Studioalben unter den Namen Rufus, Rufus With Chaka Khan, Rufus featuring Chaka Khan oder Rufus And Chaka Khan vergleichsweise brav im Regal. Die out-going Performance und Feurigkeit auf Studio Recordings festzunageln, war rein verkaufstechnisch noch nicht mal nötig, zumindest die Singles flutschten auch so über die US-Ladentheken.
Das 'Savoy' war in ein altes Broadway-Theater einquartiert und beherbergte eine Riesen-satte Akustik. Die Räumlichkeiten hatten bereits eine vielseitige Geschichte als Fernsehstudios, Kino und vieles andere gehabt, und auch der Nachtclub war eine Episode, geschuldet dem Disco-Boom im Big Apple. Dort in der 44. Straße und überhaupt an der Ostküste waren Rufus eher seltene Gäste. Meist werkelten sie in Kalifornien. Sie spielten ihre Alben im Raum L.A. voller warmer Westcoast-Vibes ein. Daran legten sie oft selbst als ihre eigenen Produzenten Hand an. Noch etwas besser wurden die Ergebnisse, wenn sich Quincy Jones, George Duke oder Roy Halee (Producer von Simon and Garfunkel) in den Entstehungsprozess einmischten.
Der Mann, der aber die Magie dieser Band und das Zusammenspiel zwischen Frontfrau und Gruppe am besten verstand und einzufangen wusste, war bei diesem letzten Album Russ Titelman. Als Produzent ein reiner Kommunikator und nach Gehör gehender Aufnahmeleiter ohne eigene musikalische Ambitionen. Und diese neutrale Kraft schweißte nicht nur die Band noch einmal für ihre beste Leistung zusammen, sondern führte zum eigenwilligen und recht einmaligen Konglomerat aus einer Konzert-Doppel-LP und einer Studio-EP mit vier neuen Songs. Das Beste, was Titelman tun konnte.
Er genoss die Arbeit mit der Sängerin in vollen Zügen, wie er in einem Dokumentarfilm von Bet J schwärmt: "Chaka Khan ist ein Genie. Ich habe mit so vielen fabelhaften Leuten gearbeitet, Aretha Franklin zum Beispiel, aber Chaka kann sich so viel merken und so viele Details vor Augen rufen, wenn sie anfängt zu singen!"
Für die Studioaufnahmen warb er Joe Sample von den Crusaders und die Percussion-Legende Paulinho Da Costa an. Da Costa ertrommelte in "Ain't Nobody" den federnden Good Vibes-Beach-Sound. Das Songmaterial auf der Bühne und im Studio umfasst eine bunte Mischung von Chakas Kompositionen und Nummern ihres Keyboarders Hawk Wolinski, von Rufus-Gitarrist und Co-Sänger David Maiden, von Stevie Wonder, Motown-Star Smokey Robinson, von der Average White Band, Bobby Womack, sowie annektierten Mitgliedern rund um Rufus: Background-Sängerin Lalomie Washburn und Hip Hop-Pionier Gavin Christopher (von Curtis Mayfields Curtom-Label), der zu dieser Zeit bereits Grandmaster Flash und Afrika Bambaataa produzierte.
Den Opener und bis dato größten Rufus-Hit "You Got The Love" schrieb Chaka Khan bereits 1974 mit Ray Parker Jr. Die Zeit seit der Studiofassung ist bereits über die ursprüngliche Darbietung hinweg gezogen, man befindet sich '82 in der großen Ära von Poser Rock und Hairmetal, Zeit für einen Fokus aufs E-Guitar-Solo, nachdem brummender Rockfunk voller Südstaaten-Vibe mit Diamant-Phrasierung im Mittelteil eine richtig spannende Steilvorlage für Trommelwirbel aufgebaut hat.
Alle Teile gleiten ineinander über wie poliert. Jegliche Reibung oder Brüche unterbleiben, und das passiert alles live, ohne doppelten Boden und ist eine Riesen-Leistung an Flow, Thrill, Stringenz, Eleganz und Geschicklichkeit.
"Once You Get Started" rudert eine Runde zurück und präsentiert in seiner love-allover-Atmosphäre musikalisches Understatement. Bis Chaka im Text den Deep Funk hymnisch beschwört, das eigene Genre feiert, von der Wah-Wah textlich umgarnt. Strahlender Optimismus-Soul, aber als Tune aus der zweiten LP "Rufusized" noch ziemlich puristisch – Rufus mit nur ein wenig Chaka obendrauf drapiert. Das war einer ihrer Arbeitsmodi, als Funkjazz-Truppe mit einer Stimme on top.
Nachdem der fulminante dritte Track "Dance Wit Me" (aus dem dritten Album) zur Beteiligung anfeuert – "clap your hands" – steppt man unter sich ganz verschworen ins Milieu der Rufus-Fans. Bekennt sich zu den Wurzeln der Band, zum afroamerikanisch geprägten Jam-Funk, mit dem Charakter improvisierter Musik. Und verleugnet jeglichen Flirt mit den elektronischen Spielarten auf dem Dancefloor.
Chakas "ich-imitiere-eine-Posaune-mit-der-Stimme-Effekt" leitet perfekt ins Markenzeichen der Platte über: Vocals mit Bläsern garniert, Vocals, die wie Bläser klingen, Bläser, die sich wie Vocals anhören – Mensch und Blech vereint. Die smooth-Ballade "Sweet Thing" fokussiert mit unheimlich schönen Harmonien voll auf die Stimmfarbe der Protagonistin.
"Sweet Thing" entstammt wie "Dance Wit Me" dem Rufus-Album mit Lippen, Zunge und Zähnen auf dem Cover, "Rufus Featuring Chaka Khan". Der Anblick erinnert ein bisschen an die Stones-Cover, seit sie die herausgestreckte Zunge als Logo pflegen. Und der Titel gibt Aufschluss auf zweierlei: Die Integration an die Band war vorübergehend gedacht, Chaka ein extra-Element neben Rufus, vielleicht eine Synergie, die nie auf Dauer angelegt war. Zum anderen: Chaka zu verbergen oder nicht im Titel heraus zu streichen, ging nicht. Zu populär. Ein Magnet! Das mit dem 'featuring' war mehr als umständlich. Und unnötig, denn: "Die Chemie stimmte", wie Chaka in der Bet J-Doku bekundet.
Mehr aus dieser Phase übernehmen Rufus im Live-Set nicht. Da ist der Vorgänger "Rufusized" recht präsent, neben "Once You Get Started" mit der Jazzsoul-Perle "Pack'd My Bags" und der durchdringenden Vintage-Guitar in "I'm A Woman (I'm A Backbone)" sowie "You're Welcome, Stop On By". In jener Nummer paart sich die souveräne Fleiß-Darbietung eines handwerklich hervorragenden Gespanns mit der Leidenschaft, deep from the heart and center of funk zu schöpfen. Oft machen gerade die beliebtesten Vertreter eines Genres, etwa Michael Jackson für den Pop etwas total Untypisches für ihr Metier.
Mit "At Midnight (My Love Will Lift You Up)" und "Stay" biegt die Band in den lockeren Teil ein. Die Choral-Untermalung der spritzigen Background-Arrangements macht diese überdurchschnittlich entspannten Tunes stimmig. Chaka Khan erschien als der Star in den Augen des Publikums, aber machte ihre Sache nun mal in einem Team von großen Könnern.
Der Drummer hängt sich rein, bevor mit "What Cha' Gonna Do For Me" eine kreischende Brass-Sinfonie mit einer traumwandlerisch singenden Chaka auf den langen, beschwingten und hymnischen Rausschmeißer "Do You Love What You Feel" zusteuert. Ein Lied, in dem sich Rufus als kaum zu bremsende Music Lover austoben und eine der besten Rufus-Nummern aus "Masterjam" (1979).
Aus "Ask Rufus", bei dem Chaka zehn Mal so groß auf dem Artwork prangt wie die Jungs, und aus "Street Player" fließt ebenso je ein Track ein. Drei weitere, aktuellere Rufus-Alben finden überhaupt keine Beachtung, was für ein Live-Set ungewöhnlich ist. Von einer Best-Of-Compilation kann man daher auch gar nicht sprechen, da die Gruppe in erster Linie ihre Anfänge wieder aufleben lässt, aber viel eingespielter als sie anfangs 1973 geklungen hatte. Dafür nimmt die Chaka-Solo-Nummer "What Cha' Gonna Do For Me" Platz. Die Studio-Stücke neben "Ain't Nobody", die am "Savoy"-Finale dran hängen, sind auch erlesen. "Don't Go To Strangers" überrascht als sanfte Vocaljazz-Ballade.
Chaka hat bereits vier Solo-Alben und eine Jazz-Platte mit Chick Corea gemacht, als "Stompin' At The Savoy" erscheint und ist kurz danach bei "I Feel For You" keine Newcomerin mehr. Viel später, als sie 50 wird, wird sie sich den Wunsch erfüllen, Swing und Jazzballaden mit Sinfonieorchester zu spielen ("Classikhan", 2004). "Try A Little Understanding" fällt mit seinem schwungvollen perkussiven Mittelteil auf und bietet inbrünstiges Blasen in die Saxophone und sehr viel Liebe zum Detail.
Chaka war ein anderes Kapitel mit Rufus als ohne. "One Million Kisses" zeigt Rufus mitten in der Mode der Eighties angekommen, aber wesentlich besser als vieles andere aus dieser Phase. Danach übernehmen Hip Hop, Elektronik und Pop bei der Künstlerin. Yvette Stevens, wie sie bürgerlich heißt, setzte ihre Karriere nach "Stompin' At The Savoy" fort. Mit Bravour und bahnbrechenden Neuerungen im Sounddesign, wie sogleich "I Feel For You" zeigen sollte.
Speziell die Hymne "Ain't Nobody" erobert in weiten Teilen der Welt die Top 30. Denn keine Stimme war besser darin, den Extrakt der Funkiness zu jammen, als Chaka Khan: diese Rezeptur aus Backbeat, polyphonen (Dominant-)Non-Akkorden, smarten Bass-Spieltechniken und dem rhythmisch schneidenden Spiel der Bläser. In "Ain't Nobody" singt Chaka, was ich gefühlt habe, als ich sie das erste Mal hörte: "When I heard your song / You filled my heart with a kiss / You gave me freedom / You knew I could not resist."
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
2 Kommentare
Spitzen-Review!
Kause for Reviewer of the Year.