laut.de-Kritik
Eine stürmische Vorstellung - trotz Wincent Weiss und Alligatoah.
Review von Toni HennigFür "MTV Unplugged" liefen schon so unterschiedliche deutschsprachige Musiker wie Die Ärzte, Herbert Grönemeyer, Udo Lindenberg, Peter Maffay und Die Fantastischen Vier auf. In dieser Reihe stehen nun auch die Spielmänner von Santiano. Ihr Gig für die berühmte Akustik-Konzertreihe wurde am 11. und 12. Juni in der Kulturwerft Gollan in Lübeck aufgezeichnet. Ein Ambiente, das hervorragend zum raubeinigen Charakter ihrer Seemanns- und Freibeuterlieder passt, wie sich nun herausstellt.
Natürlich dürfen auch bei Santiano weder ein ganzes Orchester, noch zahlreiche Gäste fehlen. Den Beginn macht "Santiano", das sich sinfonisch bildhaft aufbaut, nur um kurze Zeit später in einem Sturm zu münden: "Leinen los / Volle Fahrt Santiano." So lautet auch die Devise für den restlichen Abend.
Dabei schöpfen die Schleswig-Holsteiner aus einem breiten Repertoire an Eigenkompositionen und Neuinterpretationen bekannter Traditionals und Pop-Klassiker ihrer vier Erfolgsalben. Das Tempo fällt zumeist treibend, die Stimmung feuchtfröhlich aus. Hier und da streut die Formation auch mal inhaltlich und klanglich nachdenklichere und ernstere Töne ein ("Die Letzte Fahrt", "Weit Über's Meer (David's Song)"). An der Songauswahl ist daher nichts auszusetzen.
Zudem funktionieren die von viel Gedudel und Gefiedel geprägten Stücke im akustischen Gewand mindestens genauso gut wie im Albumkontext, da die Truppe stets einen souveränen und eingespielten Eindruck vermittelt. Vor allem 'Pete' Sage setzt an seiner Geige mitreißende Akzente. Zusätzlich fügt das Orchester den Nummern noch ein wenig mehr Weite hinzu und Lead-Sänger Björn Both transportiert mit seiner schroffen Stimme mühelos das herbe norddeutsche Klima direkt in die heimischen vier Wände.
Zwar trifft nicht jede von Santianos Eigenkompositionen über Fernweh, Freiheit, Freundschaft, Zusammenhalt, Liebe und Abschied direkt ins Schwarze. Allerdings machen sie das mit viel authentischer Leidenschaft wieder wett. Und wenn dann noch traditionelle Töne ins Spiel kommen, befinden sie sich voll in ihrem Element.
So holen sie sich passend fürs irisch folkloristisch arrangierte "Land Of Green" Angelo Kelly auf die Bühne, dessen whiskeygetränktes Organ mit Sage toll harmoniert. So auch im Antikriegs-Lied "Drums And Guns - Johnny I Hardly Knew Ya". Das wartet darüber hinaus mit einem Drum-Solo Kellys auf. Kurze Anekdote: 'Pete' war einst Roadie für die Kelly Family.
Weniger gelungen dagegen "Lieder Der Freiheit (To France)" mit Ben Zucker, eine Variante von Mike Oldfields "To France", in der sich seine Reibeisenstimme doch zu sehr in den Vordergrund schiebt. Auch so manch anderer Gast passt nicht recht zur Musik Santianos, was das ansonsten gelungene Gesamtbild ein wenig schmälert.
Ein schunkelndes Seemanns-Update von Alligatoahs "Wie Zuhause" braucht es nun wirklich nicht. Jeder Versuch, die Band ins moderne Smartphone-Zeitalter zu überführen, ist nämlich von Vornherein zum Scheitern verurteilt. "Ich sitz' in einem Starbucks in Phuket / Mobiles Netz ist schneller als daheim", singt Alligatoah, was mit dem angenehm anachronistischen Flair der restlichen Nummern so viel zu tun hat wie Alkopops mit Rum. Ebenso seine unpassende Rap-Einlage. Wenn man dann noch das pathetische Organ von Wincent Weiss in "Hoch Im Norden" über sich ergehen lassen muss, möchte man am liebsten das Weite suchen.
Ziemlich gut schlägt sich dagegen Oonaghs helle Stimme in "Minne", die schon des Öfteren mit Santiano kooperierte. Und dann wäre da noch ein ganz besonderer Gast, nämlich Santianos fünfter Mann Andreas Fahnert, der 2012 mehrere Hörstürze erlitt, so dass er bei Live-Auftritten nicht mehr dabei sein konnte. Der rundet den Abend mit seiner emotionalen Performance in "Die Sehnsucht Ist Mein Steuermann" großartig ab. Zu Recht ernten sie tosenden Applaus.
7 Kommentare mit 10 Antworten
"Wie Zuhause" ist ein regulärer Song von Alligatoah und nicht für diese Sammelsurium der Obskuritäten entstanden, oder?
korrekt
allerdings wurde der text wohl leicht angepasst. ist in dieser form selbstverständlich stuss, auch wenn das original schwer in ordnung ist.
Das macht es ja noch schlimmer
Wie tief ist MTV eigentlich gesunken?
Naja, der Tiefpunkt, um nicht zu sagen der absolute Nullpunkt, war ja bereits mit Andreas Gabalier erreicht. Dagegen sind sogar Santiano schon eine Steigerung, wobei die natürlich ebenfalls Kernschrott sind.
Das hatte ich wohl verdrängt, aber der ist ja auch Österreicher
Wie tief ist denn MTV gesunken? Oder heisst das, dass es in Deutschland nur noch so schlechte Musik gibt, dass dies als gut bewertet wird?
Die Harros sind halt unfassbar erfolgreich, Alle Alben auf 1, Gold- und Platinauszeichnungen. Und da MTV, wie die Liste zu Beginn dieser Rezension zeigt, Erfolg in Form von Absatzzahlen durchaus als Kriterium heranzieht, gibt's jetzt Eben Santiano Unplugged. Der Graf dufte ja auch.
Sagt halt auch viel über Deutschland im Jahr 2019 aus, wenn man sieht, wer oder was da so unglaublich erfolgreich ist.
Ohne jetzt ein ausgesprochener Fan von Maffay, Grönemeyer oder Lindenberg zu sein, so waren diese Künstler halt nicht nur erfolgreich, sondern hatten auch immer eine gewisse Haltung, von der musikalischen Qualität mal ganz zu schweigen.
@Horst71 Eine gewisse Haltung kann man in den Ansagen zwischen den Songs erkennen. Wenn man denn will. Und zu Grönemeyer fällt mir immer nur "...ein Stuhl im Orbit..." ein. Da weiß er wohl selbst nicht so genau wovon er sing...
Kann ja Antideutsche so wenig wie andere Rassisten und Nationalisten ausstehen. Angesichts dieser Greueltat übernehme ich aber gerne einen ihrer Slogans: Bomber Harris, do it again!
kernige typen, echte haudegen, genau mein ding. die wissen auch noch wie man eine frau behandelt! niht dieses lelele lululu was die jugend heute hört, wenn sie auf ihren smartphones tippt und skateboard fährt. oh tempora oh mores. aber ich werde alles dafü tun, dass ihr eure meinung sagen dürft! (voltaire)
Ein wenig generisch, aber durch den Voltaire-Abschluss dann doch ein insegsamt noch ein grundsolides Trolling.
3/5
i do what i can, bro. btw, fand das mit dem skateboard auch nicht so schlecht. musste shcon kurz rofln.
Top ungehört 5/5