laut.de-Kritik

Aus der Gosse auf den Broadway und wieder zurück.

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Der 31. Januar 1987 markiert in der Geschichte von Savatage einen entscheidenden Wendepunkt. Die Band ist zermürbt vom Desaster der aktuellen Platte "Fight For The Rock" und zudem gewillt, das Kapitel nach einem letzten Gig im The Ritz Theater Night Club in Ybor City zu beenden. Andere Projekte stehen an. Gitarren-Genius Criss Oliva hat Angebote mehrerer namhafter Bands. Auch Jon Oliva, kreativer Kompass und Sanges-Sirene in Personalunion, möchte sich anderen Dingen zuwenden. Zur schlechten Stimmung tragen nicht nachvollziehbare Management-Entscheidungen bei, die Schwermetaller als Nachfolger von Journey oder Toto aufzubauen. Doch die filigranen Stahlwerker waren schon immer "Too Hard For Love".

In diese Verdrossenheit über die Fallstricke des Musik-Business platzt eine interessante Erscheinung hinein. Der Musical- und Klassik-Begeisterte Paul O'Neill verdingte sich in den letzten Jahren als A&R. Nun strebt er danach, als Produzent eine Band aufzubauen, die seine Vision theatralischer Rockmusik in die Tat umsetzt. Da kommen ihm die Fähigkeiten der Tampa Bay-Gruppe wie gerufen. Talent und der Wille zur Veränderung bewirken, dass Savatage und O'Neill fortan gemeinsame Sache machen.

Die Meilensteine des US Metal in Form von "Sirens", der EP "City Beneath The Surface" sowie "Power Of The Night" nimmt das Quartett als Ausgangspunkt. O'Neill fügt der rohen Melange aus Melodie und Virtuosität gehörig Bombast hinzu, was Savatage durchaus in die Ecke von Queen oder der ambitionierten Werke der The Who und den Beatles rückt. Zudem kreiert er tiefgründige Texte, die dem feierwütigen Haufen die nötige Spur Ernsthaftigkeit verleihen. "Hall Of The Mountain King" markiert 1987 das Osterfest der tot geglaubten Formation.

Mit dem Rückenwind dieses Erfolgs schicken sich die Olivas und Co. an, den Nachfolger zu produzieren. Wieder entern die Ugly Four gemeinsam mit ihrem Produzenten und Co-Writer die Record Plant Studios in New York. Hier gastierten bereits Kiss, Hendrix oder Springsteen. Auch das Klavier von John Lennon bietet für Beatles-Maniac Jon Oliva die Gelegenheit, kleine Einlagen an den Tasten hinzulegen.

In dieser magischen Atmosphäre klimpert der gewichtige Sanges-Koloss noch unter dem Eindruck eines Broadway-Besuchs stehend auf den schwarzen und weißen Tasten herum. Aus dem gedankenverlorenen Spiel schält sich eine einfache Folge aus vier Tönen heraus, die über wechselnde modale Harmonien moduliert wird. Jons Bruder Criss und O'Neill fangen direkt Feuer und steigen in den Songwriting-Prozess ein. Über Nacht entsteht ein Werk, das wie im Brennglas Vergangenheit und Zukunft von Savatage in einem magischen Moment vereint. 

Der gedanklich vorauseilende O'Neill ziert sich dennoch, "Gutter Ballet" für die Platte zu verwenden. Schließlich hegt er noch den Traum seiner Rock-Oper. Nach einigem Hin und Her entscheidet man sich für ein konventionelles Album. Wobei der spätere Titeltrack, die Piano-Ballade "When The Crowds Are Gone" sowie die zu einem Mini-Konzept zusammengefassten letzten drei Songs einen gewaltigen Fingerzeig in die Zukunft der Band darstellen.

"When The Crowds Are Gone" mit seinem Piano-Puls und dem epischen Arrangement vollendet den mit "In The Dream" angestoßenen Prozess und bildet die Blaupause für das nachfolgende Feeling-Wunder "Believe" und das Criss Oliva-Requiem "Alone You Breathe". Die abschließende Trilogie trägt durchaus biografische Züge und beleuchtet die fiktive Story des destruktiven Timmy. Ein Schelm, wer dabei nicht an Schulabbrecher Jon Oliva und dessen maliziösen Lebensstil denkt, der mit Sex, Drugs und Rock'N'Roll noch freundlich umschrieben ist.

Gerade das Drogen-induzierte und in Folge einer Erziehungskur des Fronters verfasste "Thorazine Shuffle" ist ein Exkurs in Sachen Manie und Wahnsinn. Dessen stolperndes Strophen-Riff greifen die Amis zwei Jahre später auf dem Titeltrack des opulenten "Streets" wieder auf. Olivas Stimme zeigt 1989 noch nicht die von Ronnie James Dio prognostizierten Abnutzungserscheinungen. Und so wimmert, schreit, falsettiert und brummt Jon mit seiner vier Oktaven umspannenden Range durch die elf Tracks.

Instrumentaler Dreh- und Angelpunkt ist die Gitarre von Criss Oliva. Die mit reichlich Legato-Läufen, Tapping-Einlagen und Monster-Bendings gespickten Solo-Passagen veredeln die Songs. Hinzu gesellt sich das unnachahmliche Riffing, das gleichermaßen wuchtige Akkorde, pointierte Single Notes und flirrende Tonfolgen enthält. Diese Koinzidenz von Rhythmik und Melodik findet sich nur bei den ganz großen Könnern wie Eddie Van Halen oder Steve Vai.

Als Anspieltipps eignen sich die beiden Instrumentals "Temptation Revelation" und "Silk And Steel", die unterschiedlicher kaum sein können. Hier die orchestrale Wucht der E-Gitarre, dort der folkig-zarte Klang der Akustischen. Das fast schon punkige Geschrammel in "She's In Love", die nervösen Hammer-Ons und Pull-Offs im Riff zu "The Unholy" oder der Hardrock-Hammer "Mentally Yours" geben rein gitarristisch gesehen wahre Glanzpunkte ab.

Doch auch die Rhythmus-Gruppe setzt einige Schlaglichter, zuvörderst im Opener "Of Rage And War". Wie Dr. Killdrums Steve Wachholz und Bass-Beau Johnny Lee Middleton den Groove vorgeben und dann gemeinsam mit Criss Oliva den Hammer schwingen, schmerzt gewaltig im Nacken.

Erwähnung verdient auch die Akribie von Paul O'Neill. Textlich schürft er mit Zeilen wie "Kill the unicorn, just to have its horn" (Verhältnis Mensch und Natur), "A memory to carry on, the story's over, when the crowds are gone" (existenzielles Jammertal) oder "Every country has got the bomb, the scientist are working on" (bissige Gesellschaftskritik) tief in des Hörers Seele. Die beiden Worte des Titeltracks verkörpern eindrücklich den Zustand der Band. Mit dem Sog der Gosse hatte jeder Musiker mehr oder weniger zu tun. Das Leben im Zwielicht erfährt Ergänzung durch den Glanz des Theaters. Wobei beide Elemente, eben "Gutter" und "Ballet", gleichermaßen und in Kombination zur Geltung kommen; aus der Gosse an den Broadway und wieder zurück.

Auch die Produktion setzt Maßstäbe. Der heimliche Hit der Platte, das doomige Epos "Hounds", startet mit Hörspielsequenzen, über die Criss klagende Arpeggien serviert. Den Anfangspart greift das Ensemble als Überleitung in das furiose Finale wieder auf. Dazwischen passiert das Alpha und Omega metallisch-bombastischer Tonkunst mit einem grandiosen Refrain, hochenergetischen Strophen und reichlich Gesangs- und Gitarrenduellen.

Savatage kommem 1991 mit "Streets" dem Meilenstein von 1989 ziemlich nahe. Und doch bleibt die Magie der Platte unerreicht. Auch das 1992 erschienene und den Einstand von Zac Stevens markierende "Edge Of Thorns" verfügt über durchaus eindringliche Songs. Wer weiß, was noch alles möglich gewesen wäre, wenn am 17. Oktober 1993 ein Lastwagenfahrer vor Antritt der Fahrt dem Alkohol abgeschworen hätte.

Hätte, hätte Lederkutte. An besagtem Abend stürzt die Rockwelt in tiefe Trauer. Der Fahrer des LKWs verliert die Kontrolle und kollidiert mit dem Auto von Criss Oliva, der sich gemeinsam mit seiner Frau auf dem Rückweg von einem Festival befindet. Der Gitarrist verstirbt an Ort und Stelle, seine Frau überlebt schwer verletzt. Tief traumatisiert folgt sie ihrem Mann 2005 in die Ewigkeit.

Auch wenn Savatage dank Sänger Zak Stevens, der die Bühnenmitte vom gesundheitlich angeschlagenen Jon Oliva übernimmt, auf "The Wake Of Magellan" von 1997 an der Höhenluft ihrer Meisterwerke schnuppern oder Paul O'Neills Traum vom Musical mit dem Trans-Siberian Orchestra noch Gestalt annimmt - gerade der Erfolg sichert den Savatage-Musikern die Rente. Doch was zwischen 1987 und 1991 passierte mit der goldenen Mitte in Form von "Gutter Ballet", lässt sich in kreativer Hinsicht nicht reproduzieren.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Of Rage And War
  2. 2. Gutter Ballet
  3. 3. Temptation Revelation
  4. 4. When The Crowds Are Gone
  5. 5. Silk And Steel
  6. 6. She's In Love
  7. 7. Hounds
  8. 8. The Unholy
  9. 9. Mentally Yours
  10. 10. Summer's Rain
  11. 11. Thorazine Shuffle

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LAUT.DE-PORTRÄT Savatage

1981 gründen die beiden Oliva-Brüder Jon (Gesang/Bass/Keys) und Criss (Gitarre) zusammen mit Steve 'Dr. Killdrums' Wachholz im Rausch der Götterscheiben …

7 Kommentare mit 9 Antworten

  • Vor 4 Jahren

    Habe mich bis 1995, als das Rock Hard Magazin ein Savatage-Special herausbrachte, als Geheimwissender betrachtet, seit ich 1993 dieses Juwel in einem Norddeutschen Kaff aus einem Elektrofachgeschäft in Kassettenform herausfischte. Geniales Album!

  • Vor 4 Jahren

    Sicher, Savatage hat hier ein klasse Album herausgebracht. Allerdings verdienen die fünf Punkte eher Bands, die diesen Stil offensichtlich inspiriert haben. Das Jahrzehnt ist voll mit grandiosen Metal-Alben, die Geschichte geschrieben haben. Anthrax, Megadeath, Iron Maiden, Testament, Whitesnake, Def Leppard, Slayer, Judas Priest, Helloween, um nur ein paar der damaligen Helden zu nennen.

    Das macht Gutter Ballet nicht zu einem schlechten Album, im Gegenteil. Aber wie sagt man so schön "das Bessere ist des Guten Feind".

    • Vor 4 Jahren

      Für dich machen also Savatage, Anthrax, Iron Maiden, Judas Priest, Slayer und Helloween die gleiche Musik?

      Das wäre dann schon eine sehr oberflächliche Betrachtung.

    • Vor 4 Jahren

      Alles superstumpfes Gitarrengeschrabbel für unterbelichtete, langhaarige Höhlenbewohner mit ner Dusch- und Wasserhahnphobie.

    • Vor 4 Jahren

      Ich würde mal sagen, dass >70% der o.g. Bands bereits Meilensteine hier haben, ohne nachzugucken.
      Davon abgesehen haben sicherlich Savatage (mit Queensryche und ggf. auch WASP) mit ihren Konzeptalben sehrwohl Meilensteincharakter.
      Dafür hätte ich allerdings "Streets" gewählt, bei dem die Summe der Einzelteile nochmal mehr ergeben als die einzelnen Tracks (von "Believe" mal abgesehen).
      Für mich ist Savatage immer noch eine der Top 3 Metalbands aller Zeiten.

    • Vor 4 Jahren

      @Theory9: wenn Du die Unterschiede im Genre Metal nicht betrachtest, dann ja.

      @Parcival: sicherlich, den Meilensteincharakter habe ich Savatage auch nicht abgesprochen. Ich wollte nur darauf hinaus, dass deren Sound rein von der historischen Abfolge her von anderen Klassikern des Metal beeinflusst wurde. Und daher würde ich deren Innovationskraft in der Musik mehr honorieren wollen. Jon Oliva hat übrigens selbst Megadeth und Testament als zwei der Bands genannt, die ihn beeinflusst haben. Außerdem sind sie bei vielen als Vorband dabei gewesen.

    • Vor 4 Jahren

      "wenn Du die Unterschiede im Genre Metal nicht betrachtest, dann ja."
      Dann kannst du auch gleich den pauschalen Deckel Musik darüberstülpen und mit den Beethoven Einspielungen von Karajan vergleichen.
      Macht zwar keinen Sinn, ist aber alles Musik.

    • Vor 4 Jahren

      Selbst das könnte Sinn ergeben, nennt sich "Symphonic Metal".

    • Vor 4 Jahren

      Wie jetzt? Also doch Sub-Genres (Symphonic Metal)?
      Ich dachte das ist für dich bzw. deine Betrachtung alles Metal.

      (...und die Beethoven Einspielungen unter Karajan sind kein Symphonic Metal, die sind echte, reine Klassik und es wird auch nicht Symphonic Metal wenn man Metal und Klassik vergleicht)

    • Vor 4 Jahren

      Ich denke, Du könntest Dir das Leben einfacher machen, wenn Du statt nach Fehlern bei anderen Mitmenschen zu suchen, versuchen würdest, andere Standpunkte zu verstehen. Ich weiß, das ist in einer Ich-bezogenen Welt schwer. Aber meiner Meinung nach kann sich jeder für oder dagegen entscheiden. Denn ich habe nie davon geschrieben, dass es keine Sub-Genres gibt. Das ist wohl auf der Fehlersuche in Deinem Kopf passiert. Ein schönes Leben noch, diese destruktive Erbsenzählerei hier bringt niemandem etwas, Dir sicher auch nicht.

    • Vor 4 Jahren

      Du bist ja ein ganz Toller.
      Hast wohl deinen eigenen Text vergessen, oder?

      "Sicher, Savatage hat hier ein klasse Album herausgebracht. Allerdings verdienen die fünf Punkte eher Bands, die diesen Stil offensichtlich inspiriert haben. Das Jahrzehnt ist voll mit grandiosen Metal-Alben, die Geschichte geschrieben haben. Anthrax, Megadeath, Iron Maiden, Testament, Whitesnake, Def Leppard, Slayer, Judas Priest, Helloween, um nur ein paar der damaligen Helden zu nennen."

      Du wirfst hier Savatage mit Maiden, Slayer, Whitesnake etc. in einen Topf.
      Genau deshalb hab ich dich gefragt ob die für dich alle die gleiche Musik machen.

      Was dann kam ist winden wie ein Aal und jetzt wirst du, wohl weil dir die Argumente ausgehen, persönlich.

      Dann ist das halt für dich alles Metal, dann lässt du halt die Unterschiede im Genre außen vor, aber dann spar dir bitte auch die Vermeilensteinung von Savatage zu kritisieren. Die ist nämlich, wenn man nicht nur oberflächlich auf 5 Jahrzehnte Oberbegriff Metal schaut, definitiv gerechtfertigt, auch wenn man sich streiten kann ob für die Gutter Ballet oder vielleicht doch besser für die Streets.

  • Vor 4 Jahren

    mit besserer Stimme würde es auch besser klingen