laut.de-Kritik
Die singen "Creep" wie eine Kantate zu Ehren der Jungfrau Maria!
Review von Ulf KubankeIn zehn Jahren Schaffensphase ein lockeres Dutzend Alben auf die Beine zu stellen, ist kein Pappenstil. Vor allem nicht, wenn man bedenkt, dass Chormusik als Genre nicht gerade zu den populärsten Sparten hiesiger Breitengrade zählt. Scala und die Herren Kolacny bleiben als mittlerweile Charts-etablierte Ausnahme dem bewährten Konzept auch auf Album Nr. zwölf treu und mischen Coverversionen berühmt-berüchtigter Originale mit ein paar Tupfern eigens verfasste Musik.
Spannung will hier nicht mehr so recht aufkommen. Das liegt zum einen in der Natur der Sache. Mehrstimmiger rein weiblicher Gesang scheitert im Schönklangkonzept Pop-kompatibler 'Malen nach Zahlen'-Klassik all zu oft am sinnlichen Transportmittel für leidenschaftliche Aggression, Frustration oder gar erotische Emotion. Dafür nämlich singen die insgesamt 40 Damen überwiegend einfach zu brav und schön.
Mit einem solchen Ansatz verfehlt man zwangsläufig den Spirit der selbst ausgewählten berühmten Lieder. Radioheads "Creep" in der Live-Version ist solch ein Beispiel. Das Lied lebt von der quasimodohaften Zerquältheit des Ich-Erzählers. Scala hingegen singt den Track so andächtig und harmlos herunter, als wäre es eine Bach-Kantate zu Ehren der Jungfrau Maria.
Wer einmal hören möchte, was rudimentär von Cohens ehrwürdiger "Suzanne" bleibt, wenn man den Song porentief von allem sexuell aufgeladenen Verzehren und jeglicher dunklen Romantik reinigt, liegt hier genau richtig. Warum wählt man sich solche Songs, wenn nicht in grenzenloser Überschätzung der eigenen Möglichkeiten? Oder steht dann doch die Kommerzialisierung des Projekts im Vordergrund?
Ebenso kann man die Songauswahl in Teilen nur als haarsträubend bezeichnen. Für untote Radio-Ohrwürmer wie Tokio Hotels "Durch Den Monsun" oder Whams "Last Christmas" ist es dieses Jahr hoffentlich ein allerletztes Weihnachten, in dem sie durch den Komsum müssen.
Dabei hätte es "Was Wir Alleine Nicht Schaffen" vom Jammerbarden des neudeutschen Betroffenheits-Soul schon ganz allein geschafft, uns auf den CD-Player schießen zu lassen. Sogar die zugegeben vorzüglichen Piano-Arrangements von Steven Kolacny versagen an der aussichtslosen Reanimation dieser Musikmumien.
Eine gelegentliche Hinwendung zur Kolacny-Komposition bringt keinerlei Linderung. Die bewusst etwas schmissigere Herangehensweise mit poppigen Rhythmen unterstreicht unfreiwillig den Kontrast dieser höchstens zweitklassigen Songs zu den adaptierten Originalen. Spaß beim Hören hat man hier nicht.
Handwerklich passabel aber atmosphärisch überflüssig geraten auch die langweilig seicht nachgesungenen Varianten von Gabriels "Solisbury Hill" oder Alanis Morissettes "Ironic". Kaum jemand wird dies den echten Urversionen vorziehen. Zu viel ideenloser Gesangsverein; zu wenig Passion.
Kurz bevor die Ein-Punkt-Eselsmütze in greifbare Nähe rückt, geht es dann doch noch vier mal aufwärts. "Nothing Else Matters" ist zigtausendfach plattgenudelt und zercovert. Trotzdem gelingt dem Ensemble hier eindrucksvoll die Quadratur des Kreises. Das smarte minimalistische Piano perlt tieftraurig aus den Boxen. Die Scala-Stimmen vollenden diesen Weg sensibel und wandeln die liebestrunkene Zweisamkeits-Hymne vollends zum trostlosen Requiem. Sehr souveräne künstlerische Interpretation.
Mit Cobains Ode an die Selbstverachtung "Lithium" wiederholen sie gar das gleiche Kunststück. Endlich brechen S & KB mit dem ohnehin all zu statischen Rahmen gewöhnlicher Vokalmusik und servieren songdienlich die totale Verzweiflung.
Depeche Modes "I Feel You" steht desgleichen auf der 'Haben'-Seite. Sogar das Getriebene und Gehetzte im Gesang des anno 1993 Heroinrekonvaleszenten Gahan bringen sie gekonnt zur Geltung. Kein leichtes Stück. Sogar die alte Hippie Kamelle "California Dreamin’" erstrahlt im anmutigen Glanz fließender Melancholie.
Schade, dass dieses Experiment insgesamt so eindrucksvoll scheitert. Als Maxi bzw Mini-LP hätte "Circle" hervorragend funktioniert und bewiesen: Man muss die Chormusik nicht nur Mönchen und Metallern überlassen. Das Zeug dazu hat das Kollektiv allemal. Kolacny und Co müssten nur endlich erkennen, dass die ausgelatschten Pfade der Fahrstuhlmusik den sicheren künstlerischen Tod bedeuten.
5 Kommentare
Die Songauswahl wirkt so willkürlich.
Habe mir mal "Nothing Else Matters" reingezogen. Als einzelnes Lied sicherlich spannend, aber wenn ich mir in dieser Monotonie ein Album anhören müsste, dann gute Nacht!
"Jammerbarde des neudeutschen Betroffenheits-Soul" DAMN! großartig!
Finde es grundsätzlich schlimm, wenn man dem unkritischen Publikum ein Coveralbum andrehen will. Scala und die Gebrüder Kolacny haben aber durchaus interessante Arrangements gemacht. Die Tracklist liest sich diesmal allerdings besonders unspektakulär.
Hab sie aus Zufall bei MTV Home live gesehen, das Creep Cover war einfach nur furchtbar.
Warum bewerten hier so viele Leser Alben mit voller Punktzahl, offensichtlich ohne den Artikel gelesen oder sich verteidigend in die Diskussion eingeklinkt zu haben? Gehen hier wirklich so viele Mittvierziger-Feuilleton-Leser auf die Seite, um einen Klick für das neue Popalbum der Woche im Stern zu machen?