laut.de-Kritik

Das Problem bei Flugreisen: Man kann unterwegs nicht aussteigen.

Review von

"Willkommen an Bord des Fluges SH 2010", heißt eine freundliche Stewardess. Türen schließen selbsttätig. Das Hauptproblem bei Flugreisen: Man kann unterwegs nicht aussteigen - und Hämer Air setzt seine Passagiere steter Beschallung aus.

Immerhin: An der samtenen Qualität der Stimme des Flugkapitäns, die sich nach wie vor mit der Xavier Naidoos messen darf, hat sich seit "Der Fliegende Mann" nichts geändert. Am Rest trotz erfolgter Abnabelung von Pelham & Co. und Bezug des eigenen Hangars Darss Records leider ebenfalls nicht.

Noch immer suhlt sich Hämer ausgiebig im Beziehungsmorast. "Wieso Bist Du Weg", fragt er sich, wo doch nur "Bei Dir" die Welt noch in Ordnung war? "Nimm diese Ausfahrt, Baby." Um der immer gleichen, sehnsuchtsschwangeren Stimmung zu entfliehen?

Keine Chance, die Sicherheitsgurte bleiben geschlossen. Auch für den Hörer gilt die in "Nur Du" ausgegebene Losung: "Ich muss es wohl überstehen." Es fällt schwer, wahrhaftig.

Die musikalische Ausgestaltung gerät ähnlich fad wie die durchschnittliche Bord-Verpflegung. Piano, Synthie-Konserven-Streicher, die Drums ebenfalls aus der Dose: Die einzige Überraschung besteht darin, in welcher Reihenfolge diese drei Elemente aufgeboten werden.

Für die kleinste Variation entwickelt man in derlei Gleichform geradezu absurde Dankbarkeit. Ich freue mich schon über einen eine Spur treibenderen Bass in "Nur Eine Weile" - oder darüber, dass das Herzeleidgewäsch hier zur raren Abwechslung im Duett mit Ex-Eko-Liebchen Valezka vorgetragen wird.

Wie weit musste es kommen, dass mir ein Track ungeachtet der jodelnden E-Gitarre sogar erfrischend schmissig erscheint? "Ganz Egal", es handelte sich ohnehin nur um einen klitzekleinen Ausrutscher. "Is' Schon OK", wir kehren umgehend zurück ins dröge Piano-Geschmuftel.

Sebastian Hämer erzählt vom Suchen statt vom Finden, vom Weg als Ziel - dies jedoch in derart platten Phrasen, dass es eine Schande ist. "Steh' auf und lauf', gib dich nie auf, denn "nur wer aufsteht, kann weitergehen". Ach, was. Die beiden Zitate entstammen übrigens keineswegs ein und dem selben Song.

Wenn Hämer gerade nicht derlei lyrische Binsenkörbchen flicht, wird es - man soll es nicht für möglich halten - noch schlimmer: "Steig Mit Ins Boot" taugte jedem Kleingärtner-Verein zum Werbejingle.

In "Wir Glauben An Euch" grölt dann gleich ein ganzes Stadion. "Ich. Er. Sie. Wir alle haben das Zeug dazu." Klingt verdächtig nach der Sorte pädagogisch wertvoller Spiele, bei denen harmonisch alle gemeinsam gewinnen sollen, die tatsächlich aber nie irgendjemandem auch nur ansatzweise Vergnügen bereitet haben.

Der letzte Rest Spaß vergeht, wenn Hämer in dem Zirkus zudem die Nationalhymne verwurstet. Was soll das? Wollen wir jetzt auch noch die Wir-sind-wieder-wer-Klientel abholen? So langweilig wie der Rest, so unerträglich gerät diese Pathos-Walze. Würde ich etwas anderes behaupten, ich hätte leider "Lippen Die Lügen".

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Dieses Mal
  3. 3. Ein Neues Blatt
  4. 4. Steig Mit Ins Boot
  5. 5. Wir Glauben An Euch
  6. 6. Lauf
  7. 7. Lippen Die Lügen
  8. 8. Wieso Bist Du Weg
  9. 9. Bei Dir
  10. 10. Auch Wenn Du Gehst
  11. 11. Ausfahrt
  12. 12. Nur Du
  13. 13. Nur Eine Weile feat. Valezka
  14. 14. Ganz Egal
  15. 15. Is' Schon OK
  16. 16. Nur Wer Liegen Bleibt
  17. 17. Unendlichkeit
  18. 18. Outro

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