laut.de-Kritik

Das kommt den Wailers-Harmonien berückend nahe.

Review von

Rocksteady und Early Reggae im Stile der späten Sixties, frühen Seventies lassen sich schon lange als 'Vintage'-Genres einordnen. Sebastian Sturm, Singer/Songwriter aus Aachen und bekannt als täuschend echter Bob Marley-Imitator (Marley's Ghost), entdeckte vor geraumer Zeit die Magie dieser alten Musik. Zuletzt mietete er sich 2014 mit seiner Band Exile Airline in den Harry J.-Studios in Kingston ein, wo schon Klassiker wie "Catch A Fire" entstanden waren, und er erntete einen ähnlichen Sound.

Doch auch im Pulheimer Stadtteil Sinnersdorf, im Nordwesten von Köln, lassen sich solche Klangfarben kreieren, wie Sturm aus seinen Anfangsjahren weiß. In den dortigen Rubin Studios tritt er auf "Echoes" eine Zeitreise an, unterstützt von einigen guten alten Bekannten der deutschen Reggae-, Jazz- und Popszene.

Die Besetzung selbst hat bereits Nachrichtenwert und legt den Grundstein für die faszinierende Klasse des Albums. Guido Craveiro greift in die Tasten. Er arbeitete zum Beispiel für Seeed, Alexa Feser, Dub Inc, sowie als Remixer (für Cros "Easy" und mehr). Jahcoustix und Dellé singen feierlich den Background, etwa auf "Catch Me" gut herauszuhören. Dank ihrer perfekt mit den Instrumenten verfugten Mehrstimmigkeit erfüllen sie hier quasi die Rolle von Marcia Griffiths und Rita Marley bei den Wailers, um im Bild zu bleiben. Cathi Groth macht als Saxophonistin eine feinfühlige Arbeit. Cathi ist sonst nicht im Reggae zu finden, dafür aber auf Marla Glens aktueller Platte und bei der Jazzkantine.

Multiinstrumentalist Hene Marheineke dürfte sogar der Dienstälteste im deutschen Rub-a-Dub sein. Er verlötet die brillant schimmernden Keyboard-Schattierungen dank eines genialen Arrangements mit den anderen Instrumenten, alles haarscharf präzise. Tim Schwarzpaul, hier an den Percussions, könnte gut und gerne 'the next big thing' im deutschen Reggae werden (bis dato eher lokale Größe im Nordwesten) und hält die "Echoes" fluffig. Dr. Ring Dings bekannte Bläserqualität beweist sich wieder im Track "If We Were Lovers". Zugleich der seltene Fall, dass im 21. Jahrhundert tanzbarer Rocksteady gelingt. Der Gesamteindruck vereinnahmt HiFi-Freaks sicher schnell mit seiner edlen Stiltreue und spürbarem spielerischen Ehrgeiz.

Die starken Grooves und Emotionen einiger Tracks hier, wie etwa von "Hold The Powers", erinnern ganz massiv an den Marley der mittleren 70er (als Tosh und Wailer die Band gerade verlassen hatten). Im Titeltrack "Echoes" ruft die Retro-Ästhetik Gänsehaut hervor. Die unglaubliche Basslinie, ein gedoppelter Bassline Shuffle, auf den gekonnten Rockers-Beats der Drums und die warmen Keyboard-Linien münden in einen organischen Klang, der eins zu eins von 1973 stammen könnte.

Die für Reggae ungewöhnliche Harmonie des CCR-Covers "(Wish I Could) Hideaway" zitiert Folkrock, Dylan und den Soul-Pop Carole Kings, folgt den Pfaden von John Holt, Desmond Dekker und Ken Boothe, wenn sie in den 70ern Soul/Folk imitierten und auf Reggae-Beats trimmten. Noch ein Quantum älter wirkt der trockene-Akustik-Reggae von "The Man In Me". Mit dem mitreißenden "Rockstone", dem frischen Tango-inspirierten "Soulmates", dem Soul-Reggae "What Do You Do" dem entzückend georgelten "Every Road" und dem Unpugged-Ska "Don't Burn Bridges" sammelt der Longplayer weitere Highlights.

Besonderes Sahnestück ist "Where Have You Gone". Hier wabert der Bass und scheint Morsezeichen zu spielen, Töne am Rande der Wahrnehmbarkeit, während Sebastian durch eine Echokammer hindurch schallt. Die Background-Sänger übertönen ihn punktuell mit repetitivem "Whooo". Die erfinderische Miniatur dauert 1 Minute 50. Kurz und knackig demonstriert sie die Potenziale von Offbeat-Musik.

Während das Handwerkliche der Platte (bis auf Jah9) alles Aktuelle im Reggae mit Exzellenz überragt, fehlt der letzte Schliff der jamaikanischen Klassiker: zum Beispiel ein krasses innovatives Element, das aufhorchen ließe. Oder die explizite (statt angedeutete) Sozialkritik und scharfe Poesie eines Marley oder Tosh, um die Hörer*innen mehr in die wunderschönen Stücke hineinzuziehen. So könnte sich Storytelling mit klaren Figuren wie Max Romeos "Norman The Gambler", Marleys Johnny (in "Johnny Was") oder mit witzigen Bildern wie Toshs "Reggaemylitis" mehr anstecken. Pointierte Geschichten und griffige Metaphern könnten sich positiv auf die 'Catchiness' der Lieder auswirken und den etwas zu introvertierten Gesamteindruck brechen.

Aber das ist Meckern auf sehr hohem Niveau. Sturm legt mit seiner Combo ein pralles, rundes und zeitloses Werk voller tiefer und guter Vibes vor. Mit den genannten Klassikern hält es musikalisch Schritt und schüttelt das schulmeisterlich Brave mancher vorigen Sturm-Platten ab. Hoffentlich findet "Echoes" sein Echo in der Musikwelt.

Trackliste

  1. 1. Shine On
  2. 2. What Do You Do
  3. 3. Soulmates
  4. 4. Hold The Powers
  5. 5. (Wish I Could) Hideaway
  6. 6. The Man In Me
  7. 7. Dancing In the Rain
  8. 8. If We Were Lovers
  9. 9. Catch Me
  10. 10. Echoes
  11. 11. Rockstone
  12. 12. Every Road
  13. 13. Don't Burn Bridges
  14. 14. Where Have You Gone

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