laut.de-Kritik
Der moderne Rasputin verarbeitet schmerzerfüllte Frauenschreie.
Review von Uwe BielzAuf den ersten Blick würde man hinter so einem Cover viel eher Klassik vermuten. Ein Mann im schwarzen Smoking vor schwarzem Hintergrund. Wären da nicht die langen Haare und der etwas ungepflegte Bart des Herren. Die Hand, mit der er sich an die Fliege greift, ist mit einem protzigen Brilliantring geschmückt. Nein, so sieht kein Vertreter der "hohen Kultur" aus. Einzig in Prokofjews "Peter und der Wolf" wäre er die perfekte Besetzung des Wolfes, wenn dessen Rolle nicht an ein Instrument gebunden wäre. Viel eher wirkt er wie ein verschlagener Gebrauchtwagenhändler, der einem Schrottautos verkaufen kann, die nach Vertragsabschluss sofort in sich zusammenfallen.
Die hohe Kultur findet man trotzdem als Zitat wieder. Klassische Gitarren verarbeitet Tellier allerdings nur in Form von Samples. Ansonsten glaubt man, einen Soundtrack zu einem Science Fiction-Film zu hören, der noch nicht gedreht wurde. Nicht umsonst tritt Sebastien Tellier im Vorprogramm von Air auf. Gemeinsamkeiten zwischen den beiden sind nicht zu überhören. Tellier gibt sich jedoch mit der Leichtigkeit von Air nicht zufrieden, er geht noch einige Schritte weiter. Bevor ein Track droht, zu niedlich zu werden, wird er durch ein verstörendes Geräusch gebrochen.
Wenn man sich allzu selbstgefällig von Wohlklängen einlullen lässt und dabei abzudriften droht, macht die Musik wieder auf sich aufmerksam. In den letzten Sekunden der Frauentrilogie rütteln schmerzerfüllte Schreie einer Frau den Hörer wach, auf die wieder Spacepop-Klänge folgen. Diese Musik steht knietief in den Sechzigern. Die Verschrobenheit eines Syd Barrett, die sexy Hüftswinger eines Peter Thomas, sowie die Klangschichten eines Brian Wilson dienen als Eckpfeiler. Und das Ganze schimmert natürlich in einem zeitgemäßen Gewand, fernab jeden Retroschicks.
Diese moderne Ausgabe des Rasputin versteht es, seine Zuhörer zu verführen. Und wenn es auch manchmal ein böses Erwachen gibt, ist es doch gerade das, was wir schließlich alle wollen.
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