laut.de-Kritik
Chemie-Bausatz für farblose Poprock-Klumpen.
Review von Michael Schuh"Alles über Chemie" verspricht der Albumtitel. Doch ähnlich wie der unsägliche Chemie-Schulunterricht bereiten mir auch Semisonic trotz geschlechtsreifer Reagenzgläschen wenig Spaß. Beim dritten Album der Jungs aus Minneapolis lautet die Bauanleitung wohl folgendermaßen: Man nehme flockiges Gitarrenpop-Pulver, vermische es mit klebrigem Hitparadensekret im Verhältnis 1:1 und erhitze anschließend das Gemenge. Was dabei herauskommt ist kein Erfolgserlebnis im eigentlichen Sinne sondern ein farbloser Poprock-Klumpen, der verdammt weit weg vom Edelstein ist.
Der thematische Leitsong "Chemistry" macht da noch die beste Figur. Der fröhliche Mitsummer verbirgt geschickt, dass die restlichen Songversuche eher in zähfließendem Pianopop-Gedudel ("Act Naturally", "She's Got My Number") untergehen werden. Spätestens beim ultraseichten "Follow" wird klar, "All About Chemistry" gehört definitiv zu der Gruppe der problematischen Substanzen. Nirgends ein Hauch von Tiefgang, dafür eine endlose Verkettung uninspirierter Melodiebögen, auf die sich Chartradio-Formate nur so stürzen dürften. Traurig. Dabei war doch endlich mal richtig Geld im Sack, nachdem der Album-Bausatz von 1998 in den Staaten gleich mit Platin übergossen wurde.
Aber Geld allein macht eben nicht kreativ. Im Gegenteil: schon bei der Albumhälfte ist der Spannungsabfall auf der Höhe des geschätzten Minimalwerts angelangt. Daran ändert auch das Acht-Minuten-Epos "I Wish" nichts, wo die Band wohl mal so richtig losrocken wollte, und dabei einen halbgaren Zeltlager-Schwofer auf die Beine stellt. Von purem Lauschgift ist "All About Chemistry" jedenfalls so weit entfernt, wie ich vom Kauf eines Bunsenbrenners mit berührungsloser Sensor-Zündung. Und ich befürchte, dass die Raumtemperatur bei diesem "Hörvergnügen" keine Rolle mehr spielt.
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