laut.de-Kritik
Nach Liebe, Einsamkeit und Schmerz kommt noch das Älterwerden.
Review von Martina KellnerSimon Webbe nennt seinen eigenen Sound Urban Folk. Das hört sich gut an, trifft nur leider nicht das, was der frühere Boygroup-Sänger da macht. R'n'B-Soul-Pop-Mix trifft als Umschreibung wohl eher zu. Mit den Sechziger-Urban Folk-Protestsongs à la Joan Baez oder Bob Dylan bzw. den späteren Neuinterpretationen von Tracy Chapman oder Billy Bragg hat Webbes Musik nämlich nicht viel zu tun – genau genommen gar nichts.
Es sei denn man zählt seine Schwäche für Mundharmonika-Klänge mit, die auf seinem zweiten Longplayer auch des Öfteren durchscheint. Zur allgemeinen Entwirrung sei gesagt, dass sich der Brite für den Begriff Urban Folk eine ganz eigene Definition zurecht gelegt hat. Er versteht darunter nämlich "eine Mischung aus souligen Vocals, urbanen Beats und Akustikgitarren" – das passt ja auch viel, viel besser!
"Grace" widmet sich dem üblichen Pop-Themen-Kanon: Liebe, Einsamkeit, Schmerz, Jugend, Älterwerden, etc.. Er verpackt sie in soulige Beats, kombiniert mit markanten Gitarrenrhythmen, Hip Hop-Scratches und vor allem jeder Menge pompösem Background-Gospel-Chor. Insgesamt also eine recht abwechslungsreiche Mischung, was die verschiedenen Stil-Ingredienzen angeht. Da Webbe hiermit aber nicht gerade sparsam umgeht, hören sich einzelne Songs etwas zu ähnlich bzw. schemenhaft an. Nichtsdestotrotz verbreiten die zwölf Tracks eine gehörige Portion gute Laune und poppige Unterhaltsamkeit. Bestes Beispiel hierfür sind Singalongsongs wie "Come Around Again", "Sunshine (Love Like That)" oder "Fool For You".
Doch der Longplayer wartet nicht nur mit munter-fröhlichen Mitsing-Stücken auf, hier und da kommt Webbe auch nachdenklicher daher. In "My Soul Pleads For You" besingt er das Leid nicht erwiderter Liebe ("I can't stop the rain from falling down on me. I know I'm not what you want. I'm hoping in time you'll see how my soul pleads for you"), in "Go To Sleep" thematisiert er den Schmerz des Verlassenwerdens ("Your mama's gone away and your daddy's gonna stay. Don't leave nobody but the babe. She take the pressure and she hides it away. Still wakes everyday, and always sets the table for an extra place.").
Als Simon noch klein war, nahm ihn seine Mutter viermal die Woche mit in die Kirche. Gemeinsam trällerten die beiden einen Gospel-Song nach dem anderen, und der kleine Webbe entdeckte seine Leidenschaft für Musik und Entertainment, verrät die Biografie. Das erklärt wohl auch die vielen mehrstimmigen Chorparts, für die der Musiker eine ausgeprägte Vorliebe zu haben scheint. Kein Song ohne polyphonen Gruppengesang – vielleicht vermisst er ja auch einfach nur seine Blue-Kollegen? Manch ein Song erinnert schon sehr an frühere Boyband-Hits, etwa "Sunshine (Love Like That)", "My Soul Pleads For You" oder "Grace". Dass Webbe bereits für seine Mannen Lee Ryan, Duncan James und Antony Costa federführend Lyrics schrieb, erklärt die Parallelen vielleicht.
"Grace" fährt eine Reihe Hit-verdächtiger Tracks auf. Vor allem "Fool For You" – ein sehr gesangsdominiertes, klares Popstück, ohne viel Spielerei – beinhaltet gehörig Chartspotenzial und erinnert an die Songs von Seal oder der Lighthouse Family. So auch "Angel (My Life Began With You)", ein dynamischer, gitarrenlastiger Track mit catchy Refrain.
Wenn man sich nun noch vor Augen führt, dass der 2005er Vorgänger "Sanctuary" im UK über 700.000 mal verkauft und mit zweifach Platin gekürt wurde, dann weiß man auch, dass es um die Erfolgschancen des zweiten Soloalbums sicher nicht schlecht bestellt ist. Um die Finanzen braucht sich der Blue-Sänger gewiss keine Sorgen machen. Dementsprechend locker ist er wohl auch an die Aufnahmen zur Zweit-LP heran gegangen. "Grace" sprüht vor Leichtigkeit und Optimismus und amüsiert mit einem Dutzend unbeschwerter und froher Songs, stimmlich nett-charmant intoniert.
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