laut.de-Kritik
Die Speerspitze des deutschen Pop.
Review von Alexander Cordas"Ich bin die Mutter aller Mütter und Vater zugleich. Ich bin Kind für immer ohne Heimat in der Zeit. Ich bin älter als die Erde, die Sonne und die Zeit. Sprech sprachlos meine Sprache, die der Ewigkeit."
Gleich zu Beginn serviert Sofia Portanet bedeutungsschwangere Zeilen im Intro "Ich Bin". Damit knüpft sie textlich an ihr Debüt "Freier Geist" an, in dem sie Lyrik von Rilke und Heine als Grundlage für ihre Texte verwendete. Dies bleibt die Ausnahme auf "Chasing Dreams". Im weiteren Verlauf des Albums behandelt sie profanere Themen wie Beziehungsdramen, das Streben nach Glück und psychische Gesundheit. So wirkt sie so greif- und nahbarer. Allerdings sind ihre Auslassungen weit von Wandtattoo-Sprüchen der bundesdeutschen Musikerkollegen entfernt, die in den Charts eine Binse nach der anderen zum Besten geben.
Vorbei die Zeiten, als es vor einer Album-Veröffentlichung noch ein oder maximal zwei Häppchen im Single-Format gab. Das führt im Falle von "Chasing Dreams" dazu, dass lediglich das Intro und "Coplas" noch nicht auf Streamingdiensten zu hören ist. Ersteres ist das Überbleibsel einer Kollaboration mit der Deutschen Oper, das ausformuliert sicher auch als ganzer Song funktioniert hätte. Letzteres eine Coverversion, die in der Familie bleibt. "Coplas" stammt ursprünglich aus der Feder ihres Vaters. Mit kräftigen Beats versehen, peppt Sofia die Flamenco-Nummer auf. Mit den Background-Stimmen transportiert das Stück fast etwas Pastorales oder an Gospel Angelehntes.
Kamen beim Debüt aufgrund ihres Vokal-Einsatzes (z.B. "Planet Mars") Vergleiche zu Nina Hagen auf, stellt sie nunmehr ihre Stimme ganz in den Dienst der Songs. Ihre Akrobatik geht zwar nicht so weit, dass man Sirenen-Gesang der derberen Sorte hört, aber wie Sofia die Tonleiter hoch und runter schwebt, geht unwahrscheinlich geschmeidig ins Ohr. "Real Face" mit gehauchten Vocals im Pre-Chorus, das hat schon etwas sehr Apartes.
Der Sound des Albums klingt im Vergleich zum Debüt mit seinen unterkühlten NDW-Sounds erheblich wärmer, was aber nicht bedeutet, dass Portanet hier eine Spaßplatte mit Konfetti-Beigabe abliefert. Weit gefehlt. Gerade "Real Face" und vor allem das textlich extrem nahe gehende "Lust" beleuchten die dunklen Seiten des Daseins. "Lust" bekam zu seinem niederdrückenden Text auch noch ein Schwarzweiß-Video spendiert. Den männlichen Part singt Tobias Bamborschke von Isolation Berlin. Was zu Beginn etwas gewöhnungsbedürftig klingt, entwickelt sich zum vielleicht besten Song des Albums. Steffen Kahles' akzentuiertes Gitarrenspiel mit postrockigen Anleihen im Hintergrund verleiht dem Song gegen Ende einen zusätzlichen Drive. Schade nur, dass die Klampfe hier etwas zu sehr in den Hintergrund gemixt wurde. Am Ende scheint dann doch irgendwie die Sonne: "Und dann liegen wir wie auf dem Küstenstreifen und lassen die Gedanken in die Weite schweifen, jetzt kann alles für immer so bleiben". Wenn es doch nur so einfach wäre.
Im schön treibenden Synth-Pop von "Unstoppable" mit 80er-Toms spricht sie sich selbst Mut zu. Speziell der Refrain könnte straight aus dem Schulterpolster-Jahrzehnt stammen. Das auf Französisch intonierte "Entre Nos Lévres" fließt hallend ins Ohr. Glockenschläge und massig Reverb verleihen dem Song eine elfenhafte Atmosphäre, die den Track etwas aus dem Sound-Rahmen fallen lässt.
Die abschließende Piano-Version von "Real Face" mit Chilly Gonzales an den Tasten macht dann final den Kehraus. Die Tatsache, dass der umtriebige Wahl-Kölner Sofia seine Dienste zur Verfügung stellt, beweist auch, dass hier keine x-beliebige Chanteuse am Werk ist. Auch wenn "Chasing Dreams" die eine Ecke oder Kante fehlt, repräsentiert sie immer noch die Speerspitze des deutschen Pop, und zwar so, wie er klingen sollte.
1 Kommentar
Ich finde, die Klasse des Vorgängers kann nicht gehalten werden. Beim Hören von „Ballon“ muss ich an Helene Fischer denken, bei „Lust“ an Rammstein. Die englischsprachigen Songs punkten zwar mit 80er Schick, werden aber spätestens in der zweiten Albumhälfte recht gleichförmig und beliebig. „Real Face“, „Unstoppable“ und den Mylène-Farmer-Klon „Entre nos lèvres“ kann man sich gut anhören.