laut.de-Kritik

Nostalgischer Road-Trip mit der Gibson-Gitarre.

Review von

Schwermütig und pathetisch steigt Stefan Waggershausen in sein Album "Aus Der Zeit Gefallen" ein. Düster wummert die E-Gitarre, nach Holz klingt Waggershausens steter Begleiter, die Gibson-Akustikgitarre. Rau reibt die Stimme des Blues- und Country-Fans vom Bodensee. Zu seinem 70. Geburtstag schenkt er sich (nach langer Funkstille) ein eigenes Doppel-Album - und stößt damit in eine echte Marktnische vor.

Die Texte auf "Aus Der Zeit Gefallen" befreien sich von allen Klischees der Kombination Deutschsprachig/Rock. Die Lyrics sind gut verständlich. Doch die Musik funktioniert auch, ohne den Sinn aller Texte zu erfassen.

"Aus Der Zeit Gefallen" ist ein bluesrockiges Album über das 'Unterwegssein' in einem weiten Sinne des Begriffs: durchs Leben ziehen, an Menschen entlang weiterziehen, mit denen einen nichts mehr verbindet, auf der Straße oder auch mal der Schiene ("Etwas Gutes Wird Kommen") unterwegs sein. Das Tempo steigert sich auf den nachdenklichen Einstieg hin beträchtlich, und dann pendelt sich der Longplayer auf einem angenehmen gehobenen Midtempo ein. Gut durchhören lässt sich das Ganze, zumal die routinierte Gitarrenarbeit und das lockere Schlagzeug dynamisch zwischen rockigeren und ruhigeren Momenten pendeln. So bleibt das Album immer im Flow - ohne Längen, ohne Peinlichkeiten, ohne Zögern. Immer weiterfahren, nie stehen bleiben - das ist das Motto!

Der Cliffhanger, dem sich die Platte bereitwillig stellt, lautet: Klappt Country- und Western Rock auf Deutsch? Zumal in einer Zeit, in der Country als nicht besonders cool gilt? "Du Das Wär Nur Heut Nacht" etwa zeigt: Ja, das Konzept geht erstaunlich gut auf. Man muss sich dafür zwar fallen lassen und akzeptieren, dass hier kein Niedecken und kein Lindenberg durch die Blume Gesellschaftspolitik machen wollen. Denn das hier ist alles privat: "Morgen früh bin ich dann fort, ich folg der Sonne hinterher. / Sei nicht traurig, denk an mich. / Nimm's nicht irgendwie schwer. / Du bist mein Schwarzer Engel, ich dein erotischer Poet / ziehst die Liebe ausm Herzen / wer von uns ist der Magnet?"

So etwas klingt simpel und lässt sich langweilig finden. Man kann diese Worte aber genauso gerade wegen ihrer Schlichtheit mögen. So erscheinen hier starke Bilder vor dem inneren Auge: Sonnenaufgang, eine Gestalt in Schwarz, ein Magnet, womöglich ein Mann im Pyjama mit Federhalter und Tinte, womöglich eine Landstraße irgendwo in der Prärie an einem Frühlings- oder Sommertag. Doch, das funktioniert. Diese Worte prägen sich ein und unterhalten. Sie haben vielleicht nicht die Metaphorik und das Grunge-Lastige von Bands wie den Walkabouts, aber sie erzählen im Prinzip dieselben Stories - vom langen Kreislauf des Lebens und seinen zufälligen Begegnungen und Abschieden, von Freiheit und Sehnsüchten. Und die Story vom immer Unvollendeten zwischen Mann und Frau, deren Verbindungen stets Kompromisse bleiben (z.B. in "Ich Kenn Mich Aus Mit Dem Blues").

Diese Melange macht "Aus Der Zeit Gefallen" zu einem weisen Songwriter-Album, ohne dass Waggershausen mit seiner Lebenserfahrung und seiner Fantasie einmal angibt. Nein, hier kommt kein übermütiges "Von Oben-Herab", wie das bei Maffay manchmal durchschimmert. Hier darf man sich einfach entspannen. Während vieles aufs erste Durchskippen einheitlich wirkt, entfalten die Songs erst in der Langstrecke ihre Faszination: Nur vier der 19 Songs liegen unter fünf Minuten, der Hörer muss ihnen die Zeit zum Warmlaufen geben.

Dann aber treten die Zwischentöne samt Stilwechseln in Erscheinung: Theatrale Ballade ("Die Drinks Sind Getrunken"), Southern Swamp Rock ("Mädchen Der Anderen Art"), Bluesgitarren-Folk ("Ich Kenn Mich Aus Mit Dem Blues"), Fogerty-Bayou Style ("Hank Williams"), Country ("Etwas Gutes Wird Kommen"), Western Rock ("Du Das Wär Nur Heut Nacht"), Hillbilly-Softrock ("Du Bist Zu Schön Für Mich"), Songwriter-Pop ("Backstreet Girl") und ein 'exotistischer' - eher misslungener - World Music-Tune ("Belladonna") breiten eine kurzweilige Palette an Spielarten aus.

Aufgrund der Länge der Songs bekam Waggershausen nicht alles Material, das er fertig hatte, auf einer Scheibe unter. CD 1 und 2 sind entsprechend aus einem Guss und beziehen sich von "Die Drinks Sind Getrunken" bis "Die Drinks (Reprise)" aufeinander. CD 2 fehlt in der Standard-Version. Die Songs auf der zweiten CD in der Deluxe-Edition bleiben qualitativ überwiegend auf derselben Höhe wie der erste Teil. Sie werden aber im Schnitt etwas ruhiger.

Dennoch - wo Knopfler inzwischen alles gefällig vor sich hin plätschern lässt, steckt hier mehr rhythmische Spannung in der Musik. Das Tango- und Cajun-inspirierte "So Isses Nun Mal" und das New Orleans-getränkte, wohl stärkste Stück der Doppelscheibe, "Schwestern Der Liebe", auch das sanft schwingende, düstere Synthie-Pop-Pluckern in "Die Drinks (Reprise)" und ebenso die Lagerfeuer-taugliche Rockballade "Der Rock'n'Roll Ruft Seine Kinder Heim" sind allesamt rhythmisch waghalsige, aber keine perfekten Songs. Wechselnde Stimmungen und das Auskosten der Zeit werden nicht glatt gebügelt oder in Radio Edits formatiert. Das authentische Storytelling macht die Platte wertvoll. Die Stimme klingt nicht mehr jung, und die Arrangements wirken sehr hausgemacht und nicht wie die "große" durchgestylte Produktion. Genau deshalb ist "Aus Der Zeit Gefallen", seinem Titel entsprechend, ein auffälliges Album und ein großer Wurf.

Trackliste

Standard-Version

  1. 1. Die Drinks Sind Getrunken
  2. 2. Ich Kenn Mich Aus Mit Dem Blues
  3. 3. Mädchen Der Besonderen Art
  4. 4. Hank Williams
  5. 5. Du Bist Zu Schön Für Mich
  6. 6. Etwas Gutes Wird Kommen
  7. 7. Du Das Wär Nur Heut Nacht
  8. 8. Backstreet Girl
  9. 9. Belladonna

Limited-Deluxe

  1. 1. Der Rock'n'Roll Ruft Seine Kinder Heim
  2. 2. Du Bist Da Draußen
  3. 3. New Orleans War Gestern (Mein Weg Geht Da Lang)
  4. 4. Schwestern Der Liebe
  5. 5. Windstärke 10
  6. 6. Herzlichen Glückwunsch
  7. 7. Kleines Boot
  8. 8. Sonntagskind
  9. 9. So Isses Nunmal
  10. 10. Die Drinks (Reprise)

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