laut.de-Kritik
Ungewöhnliches, manchmal gar Unerhörtes.
Review von Daniel StraubKunst braucht Zeit. Diese banale Erkenntnis gerät dieser Tage leider viel zu oft unter die Räder der sich unaufhörlich drehenden Vermarktungsmaschinerie. Album, Tour, Album, Tour, und das am besten im Halbjahrestakt, lautet die Maxime zum Erfolg. Die Wahlberlinerin Susie Van Der Meer streut Sand in diese sonst so geschmiert laufende Poplogik. "Luciferin", ihr zweites Album, beendet eine sechsjährige Ruhepause, die sich die Künstlerin nach ihrem gefeierten Debütalbum "Static Warp Bubble" selbst verordnete.
Dass Rasten nicht mit Rosten gleichzusetzen ist, stellt sich als erste Erkenntnis nach den knapp 60 Minuten oder zwölf Songs des Albums ein. Vielseitig und abwechslungsreich gestaltet sich der musikalische Kosmos von Susie Van Der Meer. Getragen von einer melancholischen Grundstimmung, die als verbindendes Glied zwischen den einzelnen Tracks des Albums dient, probiert sich Susie Van Der Meer aus, tastet sich vor, wagt Ungewöhnliches und manchmal gar Unerhörtes.
So kommen leichte, vom Charme der 70er Jahre umwehte Tracks ("September") genauso zu ihrem Recht wie paranoide Trip Hop-Nummern ("Chiki"), die auch aus der Feder von Tricky stammen könnten. Oder das im Walzerrhythmus tanzende "Herr Bibo", bei dem Notwist-Produzent Mario Thaler an den Keyboards saß und zudem im Weilheimer Uphon Studio den Feinschliff in die eigene Hand nahm.
Ganz egal, welche Stimmungslage die Songs ansprechen, ihnen gemeinsam ist ihre starke dramatische Kraft, ihre von Tatendrang getriebene Unruhe. Eine Eigenschaft, an der wohl auch Regisseur Tom Tykwer Gefallen gefunden hat, als er Susie Van Der Meer 1999 mit auf den Soundtrack zu seinem Film "Lola rennt" nahm. In der Zwischenzeit pilgerte Van Der Meer häufig nach New York, wo ein Teil der Songs von "Luciferin" im Studio entstandt; vielleicht mit ein Grund für die vielen offenen Enden der Tracks, die einladen, das auf CD vorgefundene imaginierend fortzuführen.
Damit sind wir wieder beim Thema Zeit angekommen. Nicht spielerisch leicht ergreift "Luciferin" von einem Besitz. Ganz allmählich erst nimmt die Musik im Kopf Gestalt an. Ohne Zeit gibt es bei Susie Van Der Meer keine Kunst.
Noch keine Kommentare