laut.de-Kritik
Ein Futurama kommender Klanglandschaften.
Review von Erich RenzDas Radio läuft wieder: Der Freigeist von TV On The Radio auf "Nine Types Of Light" besticht mit Zungenschnalzer-Lyrics und einem Repertoire, unter dessen Druck alles von Prince bis zu den Pixies in einem Song implodiert. Gerade deshalb gehören sie zu den Lieblingen seltener Geschmacksrichtungen.
Woran dieses Avantgarde-Kollegium heute im Wohnzimmer werkelt, das steckt anderswo noch nicht mal im Ansatz in den Kinderschuhen. Dieser Sound findet im allerbesten Glauben höchstens zu einem Zeitpunkt statt, der heute betrachtet 'Zukunftsmusik' heißen müsste. Etwas, von dem man vage vermuten und hoffen darf, dass und ob es noch nachkommt.
Die Geschichte der New Yorker Mensch-Maschine wirkt seit dem Shoegazer "Return To Cookie Mountain" wie ein fluoreszierender Selbstgänger vom endzeitlich geprägten "Dear Science" zum elysischen Hoffnungsträger "Nine Types Of Light". An dieser Stelle darf ein beliebtes Jargon bemüht werden: Die Automatismen haben gegriffen.
Es gehe darum, "ein Album sehen zu können", sagt Sänger Tunde Adebimpe, weshalb die Band einen Begleitfilm mit Videoclips zu allen zehn Songs herausgab, aus eigener Tasche bezahlt. Adebimpe, Kyp Malone und der Allrounder Dave Sitek sind Aktionskünstler, die dem schwächelnden CD-Format ehrenamtlich auf die Sprünge helfen wollen. Als konkreten Einfluss nennen sie den Jazz-Pianisten und Filmkomponisten Jan Hammer, der besonders in den 80ern mit dem Titelthema zur Fernsehserie "Miami Vice" Aufmerksamkeit auf sich zog.
Trotz romantisch-optimistischem Bekenntnis zum Liebeslied ("Keep Your Heart") wurde die politische Agenda nicht aufgegeben. Traumatische Allegorien, die den amerikanischen Boden in letzter Zeit aufgewühlt haben – das konnte die hausgemachte Schreibe nicht emotionslos auf sich stehen lassen und nahm sich der Trip-Hop Verwandten "Forgotten" an: "Beverly Hills, nuclear winter / What should we wear and who's for dinner?".
Der Opener "Second Song" zeigt auf das Futurama kommender Klanglandschaften. Step-by-step schlüpfen zuerst die Worte "Confidence and ignorance approved me / Define my day today" hervor, bevor sich ein ständig neu definierender Beat und eine kratzbürstige Gitarre nach außen wagen. Der Raum wird im Schichtverfahren mit Big Band so genutzt, dass er sich zum Schluss problemlos als "Wall Of Sound" ausweisen kann.
"My Repetition Is This" wütet im Hardrock-Jam mit jamaikanischer Protestgeste, "Will Do" geht zielbewusst den Weg seiner Vorfahren auf "Dear Science" weiter. Das nur von Melodie-Instrumenten im Takt gehaltene "Killer Crane" wirkt im Banjo-fokussierten Refrain wie eine progressive Muskelentspannung für Leib und Seele.
Zwei Wermutstropfen vereiteln die Veredelung: Nach gelungenem Einstieg mit gemimter Maultrommel schwingt "No Future Shock" in eine Endlosschleife. Der "New Cannonball Blues" schenkt dem dramaturgischen Ruhepuls zu viel Beachtung, obwohl er an sich aufgeweckt scheint.
So oder so, "Nine Types Of Light" wirkt wie eine Brechung des Lichts: Da sieht man hierhin und bekommt anderswo die Augen neu geöffnet. TV On The Radio bauen die Perspektiven neuer Wahrnehmung aus und statuieren mit dieser Veröffentlichung ein Exempel gelungener Stilintegration.
5 Kommentare
'dear science' konnte ich mir gar nicht anhören, aber das neue album ist wirklich sehr funky.
Konnte die Lobeshymnen auf "Dear Science" auch nur bedingt nachvollziehen. Einige sehr coole Songs aber das Debut oder vorallem "Return to Cookie Mountain" waren da deutlich spannender.
Mal gucken wie das neue ist.
Laut.de hat bisher Alben als Gesamtkunstwerk sehr anders bewertet als ich es tun würde. So sind einige wirklich brilliante Alben hier verrissen worden (ich erinnere an "Frances the Mute" von TMV). Klar, das hier ist kein Verriss, sondern ein starkes Lob. Ich bin nur sicher, daß die beiden genannten Wermutstropfen im Endeffekt ähnlich wirkungsvoll als dramaturgische Vorbereiter zu sehen sind.
Ich bin sehr gespannt auf die neue Platte! Es wird Zeit, daß TV on the Radio auch auf größerer Ebene bekannt werden, um nicht irgendwann nur noch snobistischen und undankbaren Szenekreisen ausgesetzt zu sein...
"Nine Types of Light" ist der Beweis für den Reifungsprozess dieser großartigen Band, deren musikalische Wandlungsfähigkeit und deren kreatives Potential wohl derzeit nur wenige andere Bands, die man landläufig alle in den Topf von "Indie und Alternative" wirft, beherrschen.
Es ist vor allem der Track "You", der, wie eine ganz sparsame Lo-Fi-Arie dermaßen viel Wehmut und Drama perfekt unter einen Hut bekommt.
Wenn der Rolling Stone in seiner Liste der besten Saenger schon 7 Schwarze in die Top 10 laesst, muesste Tunde Adebimpe eindeutig mit dabei sein. Man hoere nur seine Stimme bei You und Will Do. Kele haette auch einen Platz weit oben verident (Everything You Wanted).