laut.de-Kritik
Konzeptalbum voller Teleshopping-Meditationskitsch.
Review von Ulf KubankeZum Ausklang der kalten Jahreszeit laden uns die Elektrogötter Tangerine Dream zu ihrem neuen Album "Winter In Hiroshima" ein. Die Scheibe ist nicht nur ein weiteres reguläres Opus, sondern der vierte Teil der so genannten 'Five Atomic Seasons'. Hierin zeichnen sie Stimmungsbilder der Städte Hiroshima und Nagasaki nach dem Atomschlag 1945 anhand der semi-fiktiven Biographie eines dort lebenden Bürgers nach.
Nachdem der Vorgänger "Autumn In Hiroshima" ein - dem Anlass angemessen - sehr düsteres und verzweifelt klingendes Stückchen Depression aus der Steckdose war, befindet der Hörer sich nunmehr inmitten der traumatischen Phase nach dem Bombenwurf. Wer jetzt eher Abstoßendes denn Animierendes erwartet, mag beruhigt sein. Die ehrgeizige – sehr Edgar Froese typische – Eigenvorgabe klingt dennoch überwiegend nach Tangerine Dream.
Mit dem Alltag kehrt das Leben zurück an den zerstörten Ort. Dennoch steht man gemeinsam fassungslos vor dem Unvorstellbaren. Genau an diesem Punkt der Storyline setzen die Elektropioniere den Hebel an. Die Tracks auf der Platte klingen entsprechend nach Übergang und tragen die Gespaltenheit in sich.
Alle Tragik speist sich hierbei aus schwermütigen, japanisch klingenden Kompositionen. Ungebrochene Vitalität und Lebenslust hingegen drückt der aus Tilsit stammende Soundtüftler bewusst mit den gewohnten TD-Spielereien aus. So weit, so gut. Doch auch ein durchdachtes Konzept kann scheitern, wenn es an der überzeugenden Umsetzung mangelt. Und das passiert auf der Platte leider des Öfteren.
Mit "Transition" geht es gleich lauwarm los. Bedeutungsschwangere New Age-Frauengesänge und das ganz typische TD-Pluckern reichen einander die Hände, ohne dem Track eine echte Richtung zu geben. Das folgende "Ayumi's Loom" ist hingegen eine echte Perle. Die ganz eigene – immer leicht funkelnde – Art der Melodieführung ist auf einmal wie angeknipst. Erinnerungen an uralte Überhits wie "White Eagle" a.k.a. "Das Mädchen Auf der Treppe" werden wach.
Den Höhepunkt der Platte hat man damit leider schon hinter sich. Der Rest ist ein gewohnt langer ruhiger Fluss. Die charismatische Froese-Gitarre taucht hie und da auf ("Togetherness"), und verstreut meditativ angehauchte 80er Rockballadensoli. Das klingt angenehm als Hintergrundmusik, reißt aber höchstens eingeschworene Fans so richtig vom Hocker.
Die ostasiatischen Musikelemente sind hierbei wenig hilfreich. Trotz der seit längerem spürbaren Leidenschaft für das Land der aufgehenden Sonne, bleiben die Mandarinenträume schlussendlich musikalische Gaijins (unwissende Fremde). Sie borgen sich Teile der Kultur lediglich aus. Die zwangsläufig heraus hörbare Oberflächlichkeit führt das tragische Element des A-Bomb Aufhängers unfreiwillig ad absurdum.
Die sphärischen Gesangslinien bewegen sich konzeptionell durchgehend auf schmalzigem Adiemus- bzw. Enigma-Niveau. Die Stimmen versprechen Mysterien und liefern doch bloß durchschnittlichen Teleshop-Meditationskitsch. Der Vergleich zum parallel erscheinenden Album des alten japanischen Bandkumpels und Weggefährten Kitaro drängt sich hier geradezu auf. Sein "Impressions Of The West Lake" bietet authentische Melodien und Gesänge plus Elektromucke, die man hier vermisst.
So richtig schlecht ist das Winterwerk am Ende nicht. Es taugt immerhin zur Berieselung. Dem interessierten Hörer sei jedoch unbedingtes Anchecken geraten. Mir jedenfalls fällt kein Grund ein, weshalb man diesen Songzyklus anderen wirklich tollen CDs der Band vorziehen sollte. Es wird also Zeit, das Tangerine Dream sich endlich von diesem erschlagenden Mammutkonzept lösen und ihre alte Soundteppich gewordene Frische wieder entdecken.
1 Kommentar
Der Autor dieses CD-Reviews hat aber auch gar keine Ahnung! Wahrscheinlich versteht er den englischen Text im Booklet nicht - "Winter In Hiroshima" wurde zwar vor dem Hintergrund der A-Bombenabwürfe 1945 komponiert, jedoch liegt der Hauptfokus auf der Liebesgeschichte zwischen dem Protagonisten und seiner Jugendliebe. Dementsprechend positiv und gefühlvoll klingt auch die Musik. Nach den ersten drei Alben der Five Atomic Seasons ist der vierte Teil ein weiteres Meisterwerk von Edgar Froese - mehr davon!