27. November 2003

"Robbie Williams fiel vor uns auf die Knie"

Interview geführt von

Es ist ein warmer Sonntag Nachmittag in Zürich. Gitarrist und Songwriter Peter Svensson kommt uns aus dem am Limmat gelegenen Hotel entgegen und freut sich, dass er frei hat. Für Pressetermine sind heute Drummer Bengt Lagerberg und Bassist Magnus Sveningsson zuständig. Als uns Magnus schließlich im Cateringraum begrüßt, bestätigt er zunächst mal die Legende, dass Schweden nichts mehr hassen als Unpünktlichkeit. "I'm really sorry that I'm late", ruft der sympathische und stämmige Basser schon von weitem, obwohl er nur eine Minute über der Zeit ist. Wir verziehen uns in einen kleineren Raum nebenan und ohne auf Bengt warten, legen wir schonmal los.

Eure Tour ist hierzulande gerade zwei Abende jung, wie läufts für euch bisher?

Nun, wir hatten vorher schon rund 17 Shows in Skandinavien gespielt, danach hatten wir eine Woche frei. Ich bin dann heim gegangen zu meinen Freunden nach Malmö, habe versucht zu relaxen und meine Wäsche gewaschen. Dann gings auch schon nach Lausanne und gestern spielten wir in Stuttgart. Aber es lief gut. Wir wussten, dass sich unsere Platte in Skandinavien weit besser verkauft hat als in Resteuropa und so war es schön zu sehen, dass in Lausanne und Stuttgart so viele Leute zu uns kamen. Wir wussten vorher wirklich nicht, was uns erwarten würde.

Wie reagiert das Publikum auf eure neuen, langsameren Stücke?

Ich denke unsere Setlist ist schön ausgewogen, aber sie fordert den Zuschauern dennoch etwas ab. Es wäre natürlich einfacher für uns, wenn wir die Ramones wären, einfach 1-2-3-4 und die Leute könnten abgehen. Bei uns geht es halt immer hoch und runter. Gestern in Stuttgart war beispielsweise Samstag Abend, die Leute konnten sich zuschütten, aber sie waren wirklich aufmerksam und wir bekamen riesigen Applaus. Wir wollen einfach viele Balladen von der neuen Platte spielen, obwohl wir wissen, dass das ein Risiko ist.

"Long Gone Before Daylight" gehört zu meinen Album-Highlights des Jahres. Strukturell erinnert es mich an das großartige "Sea Change"-Album von Beck.

Vielen Dank. Wir kennen Beck und seine Band seit wir 1997 mit ihnen auf US-Tour gegangen sind. Das "Sea Change"-Album hat ja eine Vorgeschichte. Becks Freundin hat ihn sitzen lassen, weil sie am liebsten die ganze Zeit einen Popstar als Freund gehabt hätte. Aber Beck ist nunmal eher ein schüchterner Typ, ganz im Gegensatz zu den anderen Jungs in seiner Band, die offener und eher für eine Party zu haben sind. Naja und anscheinend war Becks Freundin sehr gemein zu ihm und nachdem sie ihn verließ, fiel er in ein Loch.

Dass er aber mit einer Singer/Songwriter-Platte zurück kommt, hatte niemand erwartet. In Schweden wurde sein Album ziemlich runtergemacht. Die meisten wollten wohl ein "Odelay" Part 2 von ihm. Wie auch immer, Nina sagt, dass die Texte auf unserem letzten Album "Gran Turismo" weniger Hoffnung ausstrahlen. Die neuen Sachen sind zwar melancholisch aber es gibt ein Licht am Ende des Tunnels. Wobei ich sagen muss, dass Nina schon immer über kaputte Beziehungen geschrieben hat. Aber vielleicht fügen sich Musik und Texte diesmal besser zusammen als bisher.

Der erste Song auf dem Album heißt "Communication". Kommunikation innerhalb der Gruppe war letztlich auch das Geheimrezept, dank dem ihr nochmal eine Platte zusammen hingekriegt habt, nicht?

Ja, 1999 oder 2000 waren wir verdammt nahe dran am Bandsplit. Ich selbst war bei der "Gran Turismo"-Tour gar nicht mehr dabei, da ich zuhause Panikattacken durchlitt. Die anderen waren der Strapazen auch ziemlich müde, ich glaube nicht, dass sie damals eine gute Zeit hatten. Eine Pause war also nötig. Für Nina war es extrem wichtig, ihr Soloalbum "A Camp" zu veröffentlichen und ich machte unter dem Namen Righteous Boy auch eine Platte alleine, sozusagen als Therapie. Sie hat sich nicht verkauft, aber das war auch egal. Ich habe zum ersten Mal alleine Songs geschrieben und sie gesungen. Das war sozusagen mein "Sea Change"-Album und obendrein noch melancholischer als "Long Gone Before Daylight". (lacht)

Ich sprach damals über ein Jahr nicht mit Peter und Nina. Als wir uns schließlich wieder trafen, war die Atmosphäre sehr emotional und auch etwas unheimlich. Es ist wie in einer alten Beziehung, wenn du dich häufig verletzt hast fürchtest du dich davor, dein Schutzfenster runterzulassen. Wie ein Boxer. Es wurde besser als wir ein Haus in L.A. mieteten und beschlossen, uns wieder zu vertrauen und Spaß zu haben. Wir verliebten uns wieder ineinander. Dennoch brauchte es ewig, bis wir anfingen zu proben und als wir schließlich anfingen, dauerte es nochmal eine halbe Ewigkeit, bis die Platte fertig war. Aber wir brauchten das einfach, um die ganzen Sachen zu vergessen, die wir uns früher mal an den Kopf geschmissen hatten.

War die Situation in L.A. ähnlich harmonisch wie auf dem Cover eures neuen Albums?

Oh nein. Zunächst sagten wir uns, warum gönnen wir uns zur Abwechslung nicht mal etwas Luxus? Das machen wir normalerweise nie und deshalb war L.A. ziemlich over the top. So ein richtiges Rock- oder Filmstar-Ding. Wir mieteten also dieses scheißteure Haus direkt am Strand in Santa Monica. Du hast den Rolladen hochgezogen und konntest auf den Ozean schauen. Ich glaube, wir haben für zehn oder vierzehn Tage 15.000 Euro bezahlt. Think about it!

Ähh ja, klingt nett!

Aber wir mussten eben was Außergewöhnliches machen. Und wenn du nicht wettest, kannst du nicht gewinnen. Es war ein bisschen wie Lotto spielen. Harmonisch wurde es sehr sehr langsam, Tag für Tag fühlte man sich wohler mit den anderen. Wir machten quasi eine Familientherapie durch. Vielleicht hätten wir auch einen alten Therapeuten mit langem weißen Bart gebraucht, einen weisen Psychologen. Naja, jetzt haben wir's alleine geschafft und haben so viel Spaß zusammen, wie ... ja, vielleicht sogar soviel wie noch nie.

Die Promoterin öffnet die Tür: "Und hier ist er: Bengt Lagerberg!" Ein ziemlich verschlafener Bengt trabt an ihr vorbei und grüßt freundlich: "Sorry, I'm late."

Hi Bengt. Magnus erzählte gerade von eurem Rockstar-Ausflug nach Los Angeles.

Bengt: Ahh, okay.

Wie sind die neuen Cardigans-Stücke schließlich entstanden, die ja betont langsamer und akustischer ausgefallen sind?

Magnus: Ich denke, Peter überfällt die Kreativität immer dann, wenn er sich eine neue Gitarre kauft. Wahrscheinlich hat er diesmal 'ne Menge Akustikgitarren gekauft. Seine Gitarrensammlung ist sowieso verrückt. Er besitzt wohl so siebzig oder hundert Stück, was meinst du?

Bengt: Eher hundert.

Magnus: Okay, jedenfalls zu viele. Unsere Sound-Veränderung in Richtung Country/Americana Folk kommt sicher daher, dass er zu der Zeit gerne auf Akustikgitarren spielte. War das jetzt die Antwort auf deine Frage?

Nun, wenn die Sound-Veränderung nur Peters Gitarrenvorliebe zuzuschreiben ist, dann schon. Mich wundert einfach, dass ihr nach dem Synthesizer beladenen und sehr erfolgreichen Album "Gran Turismo" eine so ruhige und ausgeglichene Gitarren-Platte abgeliefert habt.

Bengt: Ich glaube, vor diesem Album haben wir noch nie alle zusammen im Proberaum gespielt. Normalerweise spielte ich immer zuerst zwanzig Minuten Drums, dann nahmen wir die besten Parts raus und loopten sie. So lief es auch bei Gitarre und Bass, die Songs flossen allesamt in den Computer. Als das Album erschien, begann auch gleich die Tour, allerdings ohne Magnus. Hast du das schon erzählt?

Magnus: Ein bisschen, ja.

Bengt: Wir hatten das ganze jedenfalls ziemlich schnell satt. Zudem spielten wir die Songs live eigentlich zum ersten Mal. Es war verrückt: Wir mussten vor dem Tourstart erstmal unser Album anhören, um zu wissen, wie die Songs überhaupt gehen. Ich denke, diesmal wollten wir einfach weg davon und hin zu einem warmen Sound.

Ließ Peter seine Demos dieses Mal offener für euren Input im Studio?

Magnus: Ja, und das war sehr wichtig. Davor hatte ich oft das Gefühl ... ich meine, ich war jünger und wahrscheinlich auch dümmer, aber ich war eben oft eifersüchtig auf Peter, weil er nunmal all diese tollen Songs schrieb und Nina schrieb auch immer mehr Texte. Anstatt zu sagen, lasst uns jetzt weiter daran arbeiten und die Songs noch besser machen, war ich beleidigt. Ich fühlte mich zurück gedrängt. Diesmal arbeiteten wir wirklich gemeinsam an den Songs, spielten sie wieder und wieder. Obwohl ich für das neue Album keine Zeile und keine Musik geschrieben habe, gehören alle Songs mir. Und Bengt. Und Lasse. Es sind jetzt zwei Jahre seit unserem Wiedersehen vergangen und es läuft immer noch super.

Hätte die Platte an jedem Ort der Welt entstehen können oder gibt es etwas typisch schwedisches daran?

Magnus: Manche Sachen entstanden in Spanien, manche Teile in England und einige auch auf einer Insel bei Schweden. Doch einiges klappte noch nicht richtig, so dass wir nochmal sechs Monate in Malmö rumgehangen sind.

Bengt: Ich glaube, dass unser Album, egal an welchem Ort wir es aufgenommen hätten, so geklungen hätte, wie es nun klingt. Am Anfang unserer Karriere war es halt sehr wichtig, dieses Studio in Malmö zu finden, denn dort gab es haufenweise altes Equipment, in das wir uns sofort verliebten.

Dann ist es auch kein Zufall, dass eure Gastmusiker (The Hives, The Soundtrack Of Our Lives, The Hellacopters) auch alle aus Schweden kommen?

Bengt: Nicht wirklich. Wir lieben ihre Musik und tourten früher gemeinsam. Sowas passiert rein zufällig, man ist in der selben Stadt, man besucht sich im Proberaum, man legt los.

Magnus: Außerdem trinken sie viel. (lacht) Nein, der Punkt ist: das hier haben wir selbst geplant. Ich meine, wir sind Schweden, da fragt man mal kurz 'Hey, kommst du rüber?' und der andere sagt 'Okay, cool!'. Die Sache mit Tom Jones kam dagegen von der Plattenfirma, das war ein rein kommerzielles Ding. Alles war bis ins Detail durchgeplant.

War es denn wenigstens lustig mit Tom Jones?

Magnus: Ich habe gar nicht auf dem Song ("Burning Down The House", Anm. d. Red.) gespielt. Zu der Zeit arbeitete ich in Malmö und litt noch unter nervlichen Belastungen. Als Tom Jones und Nina zusammen sangen, bin ich bei mir gerade ins Burger King gegangen, um Eis für den Hummer und die Austern zu holen. Ich habe den Song nichtmal gehört, ich war nur Eis holen. Das ist die wahre Geschichte. Hast du eigentlich drauf gespielt?

Bengt: Ja und ich war sogar im Studio, als die beiden es sangen. (lacht) Als wir den Song aufnahmen, war Tom nicht im Studio, er kam nur für zwei Stunden, um seinen Part einzusingen. Und er sang es in einem einzigen Take. Er ist wirklich ein cooler Typ. Ich habe vorher nie bewusst Sachen von ihm angehört und ich glaube seither auch nicht (alle lachen), aber unser Song ist gut geworden. Das dazugehörige Album ist allerdings nicht so toll.

Kam die Idee, Robbie Williams zu supporten, auch von eurer Plattenfirma?

Bengt: Nein, Robbie fragte uns. Wir sagten nein und dann fragte er wieder. Also sagten wir wieder "nein, wir werden alleine auf Tour gehen" und irgendwann fiel er praktisch vor uns auf die Knie und flehte: "Ihr könnt euch eine Stadt aussuchen, ganz egal, welche. Es kann auch nur eine einzige sein." Schließlich wurden es dann zwei Shows, aber wir trafen ihn nicht ein einziges Mal. Er kam auch nicht vorbei, um kurz 'Hallo' zu sagen. Aber ich glaube trotzdem, dass es die Sache wert war. Wir hatten die Chance, vor 70.000 Menschen zu spielen, die zum großen Teil keine typischen Cardigans-Fans sind.

Magnus: Allerdings hörte ich, dass unsere Crew unmöglich behandelt wurde. Ein Techniker meinte, er konnte den ganzen Nachmittag nicht arbeiten, weil er ständig von den Bühnenleuten verarscht wurde. Das muss ein typisch britisches Phänomen sein: Hast du eine Vorgruppe, tu alles, aber hilf ihnen bloß nicht. In unserem Fall herrschte sogar pure Zerstörungswut.

Unser Monitor-Techniker programmierte zum Beispiel eine Stunde lang Settings für unsere Show, dann ging er 'nen Kaffee trinken und als er zurück kam, war alles gelöscht. Solche Sachen. Bei der ersten Show, ich glaube das war in Mannheim, war der Monitor aus und wir hatten nichtmal einen Soundcheck. Diese Show lief also beschissen. Ich meine, wir bekamen einen Haufen Kohle dafür, vielen Dank, aber es ist auch ganz nett, einen guten Auftritt abzuliefern.

Noch dazu hatte Robbie Williams einen riesigen Bildschirm, so dass die Bühne drei Meter tief und 25 Meter breit war. Peter konnte ich fast gar nicht sehen, so weit weg stand er. Und da die Monitore nicht funktionierten, war es unmöglich, den Auftritt irgendwie zu retten. Da frage ich mich schon, warum man einer Vorband außer einem fetten Scheck nicht auch eine faire Chance geben kann. Wir waren sowas von glücklich, dass wir nicht zehn Shows zugesagt hatten. Naja, wir haben's versucht, es war scheiße und wir machen's nie wieder.

Bengt: Die Shows an sich fand ich aber nicht so schlecht, nur der Zirkus drumrum störte.

Magnus: Stimmt, das Catering war gut. Das war das beste an allem.

Werdet ihr euch auch für eine US-Tour überwinden, obwohl die letzte beinahe zum Bandsplit geführt hat?

Magnus: Ja, aber das Album erscheint dort erst im Februar 2004. Wir gehen also irgendwann im Frühjahr rüber. Ob wir dort reinpassen, weiß ich aber überhaupt nicht, ich schaue kein MTV oder sowas. Davon halte ich mich fern. Wir fangen in den USA praktisch von Null an, denn dort sind wir ein One-Hit-Wonder. Nur "Lovefool" kam damals groß raus. "Erase And Rewind" und "My Favourite Game" waren nur in Europa Hits. Aber ich denke trotzdem, dass unser Album dort ankommen könnte, denn es ist wirklich gut. Es ist viel besser als Limp Bizkit oder Britney Spears.

Das Interview führte Michael Schuh.

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