laut.de-Kritik
Get Ready: die neuen New Order.
Review von Michael SchuhAlso, das nenne ich mal einen Schulterschluss: Kaum sagen New Order der Welt im Zank Lebewohl, kommt ausgerechnet Tim Burgess mit der schönen Idee daher, der verblichenen Manchester-Legende ein Denkmal zu setzen.
Meint man beim Opener "Oh! Vanity" sowohl die flirrend warmen Akkordfolgen als auch das gedehnte Sumner-Nölen anzutreffen, gehts im Indie Dance-Gleichschritt weiter bis zum herausragenden "Mis-takes", in dem sogar ein eingeschleudertes "Confusion"-Riff Platz findet.
Hat man die einsetzende Schnappatmung in der Horizontalen allmählich in den Griff bekommen und sich anhand der Credits versichert, dass die Songs tatsächlich alle von den Charlatans stammen, lässt gegen Ende "Bird" keinen Zweifel daran, vor sieben Jahren bereits ein Leben als nicht verwendeter "Get Ready"-Track geführt zu haben.
Meine eingenommenen Drogen nun offen zu legen, wäre bei einer Band wie den Charlatans sicher nicht opportun. Und Schuld ist ja laut New Order eh ein nutzloses Gefühl. Die eigentliche Frage lautet nämlich: Wie haben es die Charlatans nur geschafft, in der Traumfabrik Hollywood eine Platte aufzunehmen, die in der Realität mehr nach Manchester klingt, als ihre letzten drei Platten zusammen?
Nach Aussage des mittlerweile 40-jährigen Sängers Burgess spielten da mehrere Faktoren eine Rolle: Auf der einen Seite die Akquirierung des einstigen Oasis-Entdeckers Alan McGee als Manager (Motivation!) sowie die eigene Selbstdisziplin, die Burgess 2006 den lange benötigten Alkoholentzug beginnen ließ (Neustart!).
Mit nüchternem Blick und dem vagen Plan, das fertige Album zunächst als freien Download zu veröffentlichen, sollen Burgess, Gitarrist Mark Collins, Basser Martin Blunt, Drummer Jon Brookes und Keyboarder Tony Rodgers noch im Jahr 2006 beschlossen haben, das beste Album ihrer Karriere aufzunehmen.
Diesem Ideal kamen sie wohl auch nach Ansicht ihrer Fans verdammt nahe: "You Cross My Path" verzeichnete bereits nach einer Woche mehr als 80.000 Downloads. Und tatsächlich klingen die alten Madchester-Raver kampfeslustiger denn je, angetrieben von Hymnen wie "Oh! Vanity", dem Keyboarder Rodgers einen nachhaltigen Stempel aufdrückt, dem tanzbaren Downer "Bad Days" und natürlich dem furiosen Titeltrack.
Textlich beschäftigt sich Burgess in erster Linie mit der besiegten Sucht und wartet bisweilen mit unschwer zu interpretierenden Zeilen wie "Everything depends upon the drug" ("A Day For Letting Go") auf.
Das treibende "Missing Beats (Of A Generation)" und der Halluzinogentrack "My Name Is Despair" nehmen die Power dann zwar ein wenig raus, aber zum Ende hin stimmts wieder.
Man muss jedenfalls weit zurück gehen, um eine Charlatans-Platte zu finden, die mit derart melodiösen, zeitgemäßen und überzeugenden Songs aufwarten konnte. Burgess' All Time-Lieblingsalbum ist übrigens New Orders "Power, Corruption And Lies" - schön, dass er seiner Liebe exakt 25 Jahre nach jener Veröffentlichung in dieser Form huldigt.
Noch keine Kommentare