laut.de-Biographie
The Cramps
The Cramps waren eine Band, wie sie nur aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten kommen kann. Ausgestattet mit einem Faible für die Pop-Kultur der 60er-Jahre, als Batman und Robin ungestraft in Strumpfhosen über die Mattscheibe hüpfen können, als schauerliche Monster aus dunklen Lagunen in den Kinos für Angst und Schrecken sorgen, als ein Betty Page-Poster in jedem Matrosenspind hängt und als die Kids in Kalifornien Dick Dale wie einen neuen Heilsbringer verehren, stehen The Cramps niemals im Ruf, eine schnelllebige Retro-Nummer zu sein. Zu eigenwillig schmeckt der Cocktail, den Sänger Lux Interior und Gitarristin Poison Ivy aus Rockabilly, Trailer-Park-Kultur, Porno- und Horrorfilmen mixen.
Ähnlich obskur wie die ästhetischen Referenzen von The Cramps nimmt sich die Bandgeschichte aus, deren Wurzeln irgendwo in den sanften Hügeln von Sacramento, Ohio liegt. Dort lernt Erick Lee (Lux Interior) Purkhiser 1972 Kristy (Poison Ivy Rorschach) Wallace kennen. Beide kommen sich dank ihrer Liebe für alten Rock'n'Roll schnell näher, entflammen füreinander, heiraten und gründen eine Band: The Cramps! Bald schon kehren sie der amerikanischen Provinz den Rücken und ziehen nach New York, wo Punk die Leute fasziniert. Mit Gitarrist Bryan Gregory und seiner Schwester Pam Balam an den Trommeln gehören The Cramps nach kurzer Zeit zu den beliebtesten Acts in Clubs wie dem CBGB's oder Max's Kansas City. In dieser Zeit erfinden die Cramps jenes Gebräu, das die Welt - gemäß der begrifflichern Erfindung Lux Interiors - als Psychobilly bezeichnet. Der straighte Rock'n'Roll-Rhythmus vermischt sich mit der rotzigrohen Energie des Punkrock. Auf diesen crampigen Einfluss des Ehepaars Interior/Rorschach berufen sich namhafte Bands wie Nick Caves Birthday Party, die White Stripes, My Bloody Valentine oder The Jon Spencer Blues Explosion.
1979, nach mehreren Umbesetzungen um die Kernmitglieder Lux Interior und Poison Ivy fahren The Cramps nach Memphis, um bei Sam Phillips an ehrwürdiger Stätte ihr Debüt einzuspielen. In den Sun Studios, wo Elvis, Johnny Cash, Carl Perkins und Jerry Lee Lewis den Rock'n'Roll erfanden, entstehen die Songs zur "Gravest Hits" EP, die mit "Human Fly" und dem The Trashmen Cover "Surfin' Bird" zwei der beliebtesten Cramps-Songs enthält.
Zu Beginn der 80er Jahre kommen die Cramps in eine kreative Hochphase. Mit "Songs The Lord Taught Us" und "Psychedelic Jungle" festigen sie ihren Status als extrovertierte Naturen weiter und bereiten den Weg für das einsetzende Rockabilly-Revival um Brian Setzers Formation Stray Cats. Nach den beiden Compilations "Off The Bone" und "Bad Music For Bad People" rotiert das Mitgliederkarussell beinahe wöchentlich. Streitereien mit der Plattenfirma I.R.S. bremsen den Schaffensdrang dennoch nur vorübergehend.
Erst 1990 erscheinen die Könige des White-Trash mit einem Paukenschlag wieder auf der Bildfläche. "Stay Sick!" und die ausgekoppelte Single "Bikini Girls With Machine Guns" treffen nicht nur bei Beavis & Butthead auf offene Ohren. Vor allem live können sich The Cramps auf eine treue Anhängerschar verlassen. Die Beliebtheit ihrer schrägen Gigs hat in mehr als drei Jahrzehnten nichts von ihrer Anziehungskraft verloren. Wie ein Sturm fegt Lux Interior über die Bühne. Geifernd, hechelnd und bellend serviert er dem Publikum eine hautenge Psychobilly-Leder-Latex-Show samt Pumps und gelegentlicher Striptease-Einlage. Legendär gilt ein Konzert in Essen 1998, bei dem der Sänger im Zugabenteil ein komplettes Stück des Bühnenbodens herausriss und den Akt der Zerstörung rhythmisch elegant im Takt des "Surfin Bird" zelebriert. Als Gegenpart zu diesem wilden Bühnentier rockt Gattin Poison Ivy - stets leichtest bekleidet - vollkommen stoisch und scheinbar desinteressiert in Zeitlupe die groovenden Gitarrenriffs nach Hause.
Zu Beginn des neuen Jahrtausends diagnostizieren Ärzte bei Lux Interior ein bedrohliches Herzleiden. Wild entschlossen, sich davon nicht unterkriegen zu lassen, nimmt das Ehepaar 2003 die noisigste Platte der Cramps-Geschichte auf. "Fiends Of Dope Island" atmet wie kein anderes Werk der Rocker den Spirit und die Aura der Live-Konzerte. Weitere Lebenszeichen oder gar eine Tour bleiben jedoch aus. Zwar veröffentlichen sie 2004 mit "How To Make A Monster" eine Sammlung früher Demos und Live-Aufnahmen. Ansonsten bleiben Interior/Rorschach zurückgezogen. Erst zum 60. Geburtstag des Frontmans im Jahr 2006 geben die Cramps sich die die Ehre, im Rahmen einer U.S./Europe-Tournee die Fiendsongs zu präsentieren. Ohne sichtbare Alters- und Abnutzungserscheinungen versprüht das Paar ein letztes Mal den vielumjubelten Zauber ewiger Liebe zum Rock und zu einander. Lux: "Die Cramps konnten nur deshalb solange überleben, weil sie Teil und Produkt der Liebe zwischen Ivy und mir sind. So gesehen wird die Band nie aufhören, zu existieren".
Am 4. Februar 2009 stirbt Lux Interior an den Folgen eines Herzinfarkts. Der Rock'n'Roll verliert mit ihm einen seiner innovativsten und sympathischsten Söhne.
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