laut.de-Kritik
Wild, unbändig, dramatisch - die Piano-Punkerin versinkt im Wahnsinn.
Review von Andreas Bättig"No one here gets out alive", prophezeite Jim Morrison von The Doors dem Publikum. Mit seinen schamanischen Tänzen und dem verträumten Gesang zog er die Zuschauer in seinen Bann. Show und Musik flossen ineinander und jedem wurde klar: Dies ist nicht einfach ein Konzert, sondern ein Drama. Morrison ist einer derjenigen Künstler, die gezielt das Theater in die musikalische Performance einbauten. Dabei bediente er sich bei der Musik früherer Komponisten und Theater-Regisseuren. Denn der "Alabama Song" war ursprünglich von Kurt Weill für die Oper "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" geschrieben worden, bei der Bertolt Brecht Regie führte.
Um die Musik der Dresden Dolls verstehen zu können, muss man sich ins Bewusstsein rufen, dass sie versuchen, klare Bezüge zu eben genannten Exponenten, Brecht und Weill, zu ziehen. So erinnern die amerikanischen Musiker auf der Bühne optisch an Künstler der Weimarer Republik. Musikalisch haben sie mit Brecht "die Entfremdung" gemeinsam. Außerdem versuchen beide, weitgehendst auf Sentimentalität zu verzichten.
Der Albumtitel "Yes, Virginia" ist die Antwort auf einen Brief, den die achtjährige Virginia O'Hanlon im Jahre 1897 an die New York Sun schrieb. Sie fragte, ob es den Weihnachtsmann wirklich gibt. Die Zeitung zerstörte die Illusion des kleinen Mädchens nicht und log das Blaue vom Himmel hinunter. Die Dresden Dolls beziehen sich im Lied "Mrs. O" auf diese rosarot gefärbte Sicht auf die Dinge der Welt. "There's no hell and no hiroshima, chernobyl was a cover up, the world is really all in love ... there's no hitler and no holocaust, no winter and no santa clause and yes virginia all because the truth cant save you now."
Die Texte lassen viel Platz für eigene Interpretationen. Thematisch beschäftigen die Dolls unter anderem der erste Orgasmus am Morgen, Abtreibung und alkoholkranke Freunde. Amanda Palmer versteht es bestens, poetische Satzfragmente zu Geschichten zusammenzusetzen.
Die Musik ist dabei so außergewöhnlich wie ihr exzentrisches Auftreten auf der Bühne. Gestresst, vorwärts drängend, wild, unkonventionell, rahmensprengend beginnt "Modern Moonlight", bevor sich beim Refrain das Tempo abrupt verlangsamt. Der Hörer wird dabei zum Spielball Palmers, die wild auf ihrem Klavier rumhämmert. Sie reißt ihn mit, zieht ihn in poetische Tiefen, zerreißt ihn beinahe, lässt ihn plötzlich fallen, bevor es wieder in vollem Tempo weiter geht, um dann im Wahnsinn und jenseits des Fassbaren zu enden.
Nur schwer findet man zurück zur Realität, denn die wunderschöne Ballade "Delilah" lässt einen schon wieder gedanklich davon schweben. Kein einziger Song erweist sich als Durchhänger. Jeder besticht durch seine Einzigartigkeit.
"Yes, Virginia" bringt einem zum Schmunzeln, zum Träumen, zum Lachen und Nachdenken. Sängerin und Pianistin Amanda Palmer und Trommler Brian Viglione sind absolut außergewöhnliche Künstler. Perfekt wäre die Musik jedoch im Rahmen ihres Bühnenauftritts. Denn auch bei den Dresden Dolls gilt womöglich: "No one here gets out alive"...
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