laut.de-Kritik
Der extra klebrige Milkshake unter den Rock-Platten.
Review von Stefan MertlikFast ein Jahr lag "Half Drunk Under A Fool Moon" Pandemie-bedingt auf Halde. Noch länger konnten und wollten The Fratellis nicht mehr warten. Ihr sechstes Album erscheint und scheint allen ziemlich egal zu sein. Aber 15 Jahre nach "Chelsea Dagger" pfeifen die Schotten darauf. Das Trio lässt sich musikalisch treiben. "Half Drunk Under A Fool Moon" ist der extra klebrige Milkshake unter den Rock-Platten. Frecher Indie-Rock ist nicht mehr.
Das zeigt gleich der Titelsong, der mit fröhlich gestimmten Streichern und einprägsamem Kehrvers unerträglich gut gelaunt klingt. John Lawlers akzentuierter Einsatz der Falsettstimme verleiht dem Lied hymnischen Charakter. Obendrauf gibt's Popkultur-Referenzen für die Generation Netflix: "And they all got down to the Cinderella quick step / In living color, cheekbones like Johnny Depp."
Dieses Tempo kann die Band nicht halten. Doch sie langweilt im Laufe der restlichen 37 Minuten auch nicht. Auf "Lay Your Body Down" erwecken The Fratellis ihren inneren John Denver und spielen irgendwas, das wie "Country Roads" klingt. Nur mit zwei Schichten Zuckerguss drüber. Harpo und Frank Zappa vermischen sie auf der Retro-Rutsche "Living In The Dark" – ohne Anzüglichkeiten, aber mit viel Siebziger-Reminiszenz.
Glocken sorgen auf "Strangers In The Street" für Weihnachtsstimmung im Frühling. Dazu singt John Lawler fast schon divenhaft. Schlagermomente wie diese gibt es auf "Half Drunk Under A Fool Moon" zuhauf. Der Titel "Action Replay" führt erst einmal hinters Licht. Denn statt Krach-Boom-Peng in Dauerschleife erhebt sich das Stück zur Schunkelballade, die sich auf dem Traumschiff mit deutschem Text wohlfühlen würde.
"Roxy, please don't go" wiederholen The Fratellis auf "Roxy" achtmal und schaffen damit ihren eigenen "Das Mädchen aus dem Song"-Moment. Der psychedelische Break im letzten Drittel gaukelt Tiefgang vor, an den zu diesem Zeitpunkt schon lange niemand mehr glaubt. Die zehn Stücke wollen ohne Umwege ins Ohr und dort so lange bleiben wie möglich. Allzu verkopfte Elemente würden die Stimmung nur ruinieren.
Als The Fratellis "Half Drunk Under A Fool Moon" aufnahmen, dachte noch niemand an Corona. Wer die Platte heute hört, wird es auch nicht tun. Kaum zu glauben bei seiner Diskografie, doch das Trio klingt leichtfüßiger denn je. "I slow down so I can speed up", singt Lawler an einer Stelle. Mit Sicherheit leben irgendwo da draußen Menschen, denen genau diese Musik jetzt guttut.
1 Kommentar
Ich hab ja irgendwie nen soft spot für die Jungs, aber dass es jetzt von Album zu Album immer etwas mehr Glitzer wird, finde ich nicht so gut. Reinhören tu ich natürlich trotzdem.