laut.de-Kritik
Vor den Stadien werden bereits die roten Teppiche ausgerollt.
Review von Kai ButterweckVor gut anderthalb Jahren ging im Stadionrock-Lager die Angst um. Schuld daran war Gaslight Anthem-Sänger Brian Fallon, der sich nach einem halben Jahrzehnt Breitwand-Rock'n'Roll-Zugehörigkeit seinen Gitarrentechniker Ian Perkins schnappte, die The Horrible Crowes gründete und dem impulsiven musikalischen Treiben der Vergangenheit den Rücken kehrte. Fortan bestimmte die Akustische den Alltag Fallons.
Nicht, dass der charismatische Frontmann nicht wüsste, wie man auch ohne Marshall-Wand im Hintergrund für aufwühlende Momente sorgen kann: Das Debütwerk "Elsie" und die darauf folgende Revival-Tour mit Chuck Ragan und Co. belegten das nur zu eindringlich. Doch ein verschwitzter Fallon, Hymnen schwingend mit der Telecaster unterm Arm, war den eingefleischten Jüngern so lieb und teuer geworden, dass der kollektive Ausatmer der Gefolgschaft kaum zu überhören war, als es nach dem Ende der Akustik-Tour aus dem Munde Fallons hieß: "Wenn man sich das so lange Zeit am Stück gibt, wünscht man sich irgendwann nichts sehnlicher als eine ganze Wand aus Marshall-Boxen, die bis zum Anschlag aufgedreht sind."
Und so krallte sich das Anthem-Oberhaupt seine drei Kollegen, sowie Produzenten-Guru Brendan O Brian (Rage Against The Machine, Bruce Springsteen, Pearl Jam) und düste im Fünfer-Pack - inklusive frisch unterzeichnetem Major-Deal - Richtung Nashville, um endlich wieder richtige Rock'n'Roll-Luft zu schnuppern. Das Ergebnis hört auf den Namen "Handwritten" und darf getrost als der bisherige Schaffenshöhepunkt der Mannen aus New Jersey bezeichnet werden.
Ein 100-seitiger Notizblock des Sängers diente als Quelle des Ganzen. Jede Geschichte, jeder Akkord und jede Gesangslinie des Albums wurde in monatelanger Kleinstarbeit von Hand zu Papier gebracht. Erdig, frei von überflüssigem Ballast und stets den Rückspiegel vor Augen: schon der Opener "45" spiegelt genau das wieder, was die Oldschool-lastige Herangehensweise vermuten lässt. Mit unwiderstehlicher Inbrunst treibt Fallons Organ den Uptempo-Dreieinhalbminüter an. Pünktlich zum Refrain stimmt das Kollektiv mit ein und lässt keinen Zweifel daran aufkommen, wohin die Reise für den Fünfer in Zukunft gehen soll. Stadien dieser Welt, macht euch bereit: "Ich will unbedingt einmal im Giants-Stadium spielen", so Brian Fallon im Vorfeld der Produktion. Raus auf die großen Bühnen. Die Zeit ist reif.
Der ähnlich gestrickte, wenn auch nicht ganz so forsch nach vorne preschende Titeltrack lässt das geistige Auge mit seinen choralen "ooh-ohhs" bereits auf Hochtouren laufen. Bilder von stimmigen Handclap-Choreografien im Verbund mit ohrenbetäubenden Fan-Singalongs schweben auch während des folgenden "Here Comes My Man" unweigerlich durch den Raum. Auch wenn das Quartett hier erstmals etwas auf die Bremse tritt und mit akzentuiertem Tambourine-Spiel ihre Vorliebe für handgemachte Instrumentierung nach außen trägt: Der unwiderstehliche Antrieb bleibt haften.
Gaslight Anthem sind bekannt dafür, ihren Songs eine eher unterschwellige Eingängigkeit beizumischen. Mit Liedern wie "Mullholand Drive" und "Howl" beweist das Quartett jedoch, dass es auch oberflächlich für durchgehende Nachhaltigkeit sorgen kann, ohne dass klassisch strukturierte Melodieläufe mit zunehmender Spieldauer an Substanz verlieren. Vor allem "Howl" ist ein Paradebeispiel dafür. Auf den Punkt und von vorne bis hinten zum Mitsingen animierend, peitscht der Song die Punkrock-Wurzeln der Combo durch die Boxen.
Trotz eines überdimensional dicken roten Sound-Fadens, besticht "Handwritten" insbesondere durch seinen Facettenreichtum. Während große Arenen-Gefühle der Achtziger und Neunziger das Fundament des Albums bilden, driftet die Band aber auch immer wieder gerne ab und macht es sich auf Songs wie "Too Much Blood" oder "Mae" in Zeiten gemütlich, in denen der Boss noch Ansichtskarten aus Asbury Park per Hand verschickte.
Am Ende ("National Anthem") schickt Brian Fallon alle Beteiligten vor die Tür und macht es sich auf einem alten Holzschemel gemütlich. Mit aufwühlendem Gezupfe schließt sich Fallons 100-seitiger Notizblock wieder und es erscheint fast so, als wolle der Sänger noch einmal einen letzten Blick auf die vergangenen zwei Jahre ohne Starkstrom-Unterstützung werfen. Schön, dass sie wieder alle beisammen sind.
50 Kommentare
endlich...freu mich drauf...noch einmal schlafen...zzzzZZZZ
Die beiden Vorgängeralben höre ich immer noch gern, bin mal gespannt auf das neue Werk.
Bin ich eigentlich der einzige, der mit dieser Band so rein gar nichts anfangen kann?
@Deus
ich auch, live mehrfach gesehen. Die Songs sind einfach nur langweilig. Die Band hat für mich nichts.
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"Hier rein, da raus" würde ich sagen. Normaler Radio-Rock-Pop, der aber auch nicht weiter nervt. Aber wenn ein Song zu Ende ist, müsste man mich 2 Sekunden später nicht mehr fragen, was da gerade lief. Würde ich mal aktuell mit Stanfour vergleichen.